Beruf PanzerknackerEndlich restauriert: Michael Manns Debütfilm „Thief“

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Alle Fotos: OFDb Filmworks

In Michael Manns erstem Film von 1981 sind bereits viele Thematiken angelegt, die das Werk des US-amerikanischen Regisseurs in der Folgezeit bestimmen werden. Nun ist Thief in einer aufwändig gestalteten Sonderauflage in großartiger Bildqualität als Blu-Ray-Box erschienen. Tim Schenkl hat sich das häufig unterschätzte 80er-Meisterwerk noch einmal angeschaut.

Michael Mann hat sich im Laufe seiner Karriere dem Verbrechen von unterschiedlichen Seiten angenähert: In Manhunter verhalf er dem kannibalistischen Serienkiller Dr. Hannibal Lecter zu seinem Leinwanddebüt, in The Insider ließ er Russell Crowe gegen die mörderische Zigarettenindustrie kämpfen, und sein letzter Film Blackhat setzte sich mit der Problematik der Cyberkriminalität als Teil einer immer stärker vernetzten Welt auseinander. Manns große Spezialität sind aber neben seriellen Betrachtungen des Polizeiapparates – er war als Executive-Producer an den TV-Serien Miami Vice und Robbery Homicide Division beteiligt – epische Gangsterporträts wie Heat und Public Enemies. Auch Manns Spielfilmdebüt Thief von 1981 erzählt von einem professionellen Kriminellen.

Frank (James Caan) ist vordergründig Besitzer einer Bar sowie einer Autohandlung in Chicago, eigentlich verdient er sein Geld jedoch als Safeknacker. Nachdem er seine Zwanziger im Knast verbracht hat, ist Frank nun bereits seit einigen Jahren auf freiem Fuß und hat sich innerhalb der Szene den Ruf eines geradezu perfekten Verbrechers erarbeitet. Seine große Stärke ist absolute Professionalität. Frank kommt nicht nur die für Außenstehende geradezu unverständliche Sprache des Einbrechermilieus absolut locker über die Lippen, er weiß auch ganz genau, wie er eventuellen Abhörangriffen aus dem Weg gehen kann und welche weiteren Vorsichtsmaßnahmen er treffen muss, um nicht in das Blickfeld der Polizei zu geraten. Auch bei der Wahl seiner Beute ist er Profi: Bargeld oder Diamanten, etwas anderes kommt für ihn nicht infrage. Kühl, empathielos und präzise – so ist Frank zum Meisterdieb aufgestiegen, und so ist auch die Welt, in der er lebt. Die schroffe Glas- und Stahlarchitektur Chicagos, gesichtslose Großraumbüros, Gefängnisse, Krankenhäuser und anonyme Fabrikhallen, solche (Nicht-)Orte dominieren die Topographie des Films, dessen Farbspektrum besonders von Blau- und Grüntönen beherrscht wird. Dazu kommen glänzende Asphaltflächen im Regen, leuchtende Neonreklamen und die düsteren Synthie-Sounds der deutschen Elektronik-Pioniere Tangerine Dream.

Die Ästhetik vom Thief entspricht aus heutiger Sicht in vielerlei Hinsicht den typischen 80er-Jahre-Klischees, in Wahrheit ist sie jedoch Ausdruck des visionären Geistes eines angehenden Großmeisters des Kinos.

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Unter dem Mikroskop

Michael Mann erforscht den Alltag von Frank mit außergewöhnlicher Akribie – absolut kein Detail scheint ihm vernachlässigbar. Die Kamera seziert mit großer Genauigkeit jede noch so kleine Handlung des Profiverbrechers, wobei sich häufig interessante Dopplungen ergeben. Ein großer Teil der Brillanz von Thief entsteht nämlich dadurch, dass hier zwei detailversessene Profis aufeinandertreffen. Der Regisseur Mann nimmt Frank regelrecht unter die Lupe, legt ihn unter sein Mikroskop, während dieser mit der Präzision eines Herzchirurgen Alarmanlagen deaktiviert und Tresorverriegelungen Stück für Stück in ihre Einzelteile zerlegt. Jedoch zählt Frank trotz aller klinischer Genauigkeit in keiner Weise zu den Bankräubern in Designeranzügen wie Mann sie Jahre später in Heat, Colleteral und Public Enemies zeigt. Frank ist Blue Collar durch und durch. Er trägt nicht nur öfters typische Arbeiterkleidung, er rückt den Tresoren auch mit riesigen Bohrmaschinen, Schweißgräten und Bunsenbrennern zu Leibe, so dass er nach deren Öffnen häufig aussieht wie eine Grubenarbeiter kurz vor dem Feierabend. Auch seine Komplizen entstammen alle eindeutig der Arbeiterklasse.

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Kleinbürgerliche Träume

Manns durchdringender Kamerablick zeigt nicht nur Franks Perfektion bei der Ausübung seiner Profession, er deckt auch gnadenlos dessen Schwächen auf. Diese liegen vor allem im Zwischenmenschlichen. Die Kassiererin Jessie (Tuesday Weld) hat Franks Herz erobert: In einer der eindrucksvollsten Passagen des Films setzt Frank sie erst über seinen eigentlichen Broterwerb ins Bild, um ihr dann in einem Diner eine Art kleine Collage zu präsentieren, die er stets bei sich trägt. Auf dieser sind neben seinem inhaftierten Mentor Okla (Willie Nelson), ein Auto, ein Haus und einige Kinder zu sehen. So stellt Frank sich seine Zukunft vor. Als Jessie sagt, dass sie zeugungsunfähig sei, antwortet Frank, dass man ja adoptieren könne, ohne dabei zu bedenken, dass er als ehemaliger Sträfling bei den Adoptionsbüros nicht gerade offene Türen einrennt, wie Jessie und er in einer der vielen großartigen Szene des Films später schmerzhaft erfahren müssen.

Die scheinbare Unvereinbarkeit von erfolgreichem Berufs- und Familienleben ist eines der großen Themen im filmischen Werk von Michael Mann.

Nicht nur die Gangster in Public Enemies und Heat schlagen sich mit Beziehungsproblemen herum, auch der TV-Journalist Lowell Bergman (Al Pacino) und der Chemiker Jeffrey Wigand (Russell Crowe) in The Insider setzen mit ihren jeweiligen professionellen Obsessionen ihre Partnerschaften immer wieder aufs Spiel. Bei ihrem filmischen Vorgänger Frank ist der Fall jedoch ein wenig anders gelagert. Nicht sein Beruf steht zwischen ihm und Jessie, es ist allein er selbst. Seine Zeit im Gefängnis hat Frank zu einem emotionalen Krüppel gemacht, der nach normalen gesellschaftlichen Normen nicht mehr existieren kann – und genau aus diesem Grund eignet er sich so perfekt für den Beruf des Profiverbrechers. Er ist ein „Lonesome Cowboy“, der von niemanden abhängig ist und fast komplett autark agiert – einzig ein paar treue Kumpanen unterstützen ihn bei seinen Coups. Seinen naiven Traum von einer Familie und einem Haus mit Garten hat er sich zwar über die Jahre erhalten, doch als er versucht, ihn auch zu verwirklichen, muss er schnell einsehen, dass er für ein „normales“ Leben nicht gemacht ist.

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Ein proletarischer Held

Um sich eine finanziell sorgenfreie Zukunft mit Jessie zu ermöglichen, hat Frank in einen Deal eingewilligt, der eine seiner wichtigsten Regeln – absolute Unabhängigkeit – außer acht lässt. Für eine Beteiligung von 830.000$ soll er im Auftrag des väterlich auftretenden Gangsterboss’ Joe in den Tresorraum einer Bank in Los Angeles einbrechen. Nachdem er den Auftrag erfolgreich erledigt hat, will er seinen Anteil an der Beute kassieren, doch Joe versucht ihn hinzuhalten, will das erbeutete Geld für ihn anlegen und ihm lediglich einen deutlich niedrigeren Betrag direkt auszahlen. Außerdem plant er, Franks Fähigkeiten auch in Zukunft für seine Organisation zu nutzen, und hält bereits einen neuen Auftrag parat. Schnell wird deutlich, dass die Welt des organisierten Verbrechens, von der sich der Einzelkämpfer immer fern gehalten hat, nach denselben Regeln funktioniert wie die legale Wirtschaftswelt bzw. die Welt an sich. „Where is my end? I can see that my money is still in your pocket. Which is from the yield of my labor. You are making big profits from my work, my risk, my sweat.“ Mit diesen Worten konfrontiert der Blue-Collar-Criminal den Gangsterboss, um ihm anschließend ein Ultimatum zu setzen: Joe solle ihm den kompletten Betrag innerhalb von 24 Stunden auszahlen, sonst werde es Konsequenzen für ihn haben.

Doch außerhalb seiner eigenen Welt hat Frank nicht das Sagen, wie ihm Joe kurze Zeit später unmissverständlich deutlich macht. „I run you. There is no discussion. I want your work until you are burned out, you are busted or you’re dead“, lässt er den Einbrecher wissen, nachdem er zuvor dessen treuen Kollegen Barry (James Belushi) kaltblütig hat umbringen lassen. Spätestens jetzt realisiert Frank, dass ein gemeinsames Leben mit Jessie als Teil des Systems nur nach den Regeln eben dieses Systems funktionieren kann. Doch mit dieser Welt ist der Profi-Verbrecher nicht kompatibel, er kann und will das Spiel nicht mitspielen. Und so ist es am Ende auch nur konsequent, dass er sowohl die Beziehung zu Jessie beendet als auch alles in die Luft sprengt, was ihn sonst noch an die Gesellschaft bindet. Im Anschluss begibt er sich auf einen Feldzug gegen diejenigen, die ihn gegen seinen Willen zum Teil ihrer Organisation machen und ihn seiner individuellen Freiheit berauben wollen.

Der deutsche Verleihtitel von Thief lautet: Der Einzelgänger. Doch Frank ist nicht nur ein Einzelgänger! Seine konsequente Verweigerungshaltung gegenüber dem gesellschaftlichen Status Quo und sein bedingungsloser Kampf gegen ein System, welches vor allem seine Arbeitskraft ausbeuten will, lassen ihn zu einem Helden der Arbeiterklasse werden. Am Ende des Films steht er zwar völlig alleine da, bleibt aber trotzdem ein Held – wenn auch ein einsamer.

Thief
USA 1981
Regie: Michael Mann
Drehbuch: Michael Mann
Darsteller: James Caan, Tuesday Weld, Robert Prosky, Willie Nelson, James Belushi
Kamera: Donald E. Thorin
Musik: Tangerine Dream
Laufzeit: 125 min (Director’s Cut)
jetzt als Ultimate Edition erhältlich

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