Der Mensch hinter dem SixpackFilmgespräch: „Magic Mike XXL“
1.8.2015 • Film – Gespräch: Tim Schenkl, Alexis WaltzTim Schenkl und Alexis Waltz waren zusammen im Kino und haben sich Magic Mike XXL angeguckt. Danach wurde wie immer über den Film gesprochen.
Magic Mike (2012) war mit über 150 Millionen Box-Office-Umsatz bei nur 7 Millionen Dollar Produktionskosten ein Sensationserfolg. Mit dem Film bereitete Steven Soderbergh langsam seinen Rückzug als Regisseur aus dem Spielfilm-Geschäft vor. Auf Magic Mike folgten seine wohl letzten beiden Kinofilme Side Effects (2013) und Behind the Candelabra (2013). Letzterer wurde bereits von dem US-amerikanischen Pay-TV Sender HBO finanziert. Heutzutage kümmert Soderbergh sich vor allem um seine eigene Fernsehserie The Knick und betätigt sich außerdem als Theaterregisseur. Auch für die Karriere von Channing Tatum und Matthew McConaughey war Magic Mike wegweisend. Beide etablierten sich mit dem Film als Charakterdarsteller und streiften ihre Vergangenheit als Teenie-Schwarm bzw. Romantic-Comedy-Lead ab. Seit letzter Woche läuft nun Magic Mike XXL in den deutschen Kinos. McConaughey ist diesmal nicht mit von der Partie. Die Regie führte Steven Soderberghs ehemaliger Regieassistent Gregory Jacobs. Soderbergh selbst ist als Produzent, Kameramann und Editor in das Projekt involviert.
Zu Beginn von Magic Mike XXL erfährt der Zuschauer, dass Mike (Channing Tatum) aus dem Stripper-Geschäft ausgestiegen ist und nun gemeinsam mit einem einzigen Mitarbeiter, für den er nicht einmal die Krankenversicherungsbeiträge aufbringen kann, eine kleine Möbelmanufaktur betreibt. Ein Anruf des Strippers Tarzan (Kevin Nash) informiert ihn darüber, dass seine ehemaligen Kollegen in der Stadt sind. Mike stattet der Truppe einen Besuch ab und findet heraus, dass sie sich auf einem letzten Trip zu einer Stripper Convention in Myrtle Beach befindet und sich danach endgültig auflösen will. Wieder zuhause angekommen, entdeckt Mike, dass er der alten Magie immer noch verfallen ist und beschließt, an dem Roadtrip teilzunehmen. Gemeinsam macht sich die Truppe auf eine ereignisreiche Odyssee, auf der sie unter anderem auf die soeben geschiedene Nancy (Andi MacDowell) und ihre wohlhabenden Freundinnen sowie auf Magic Mikes ehemalige Geliebte, die schwarze Stripclub-Besitzerin Rome (Jada Pinkett Smith), treffen.
Eine einzige Spaßveranstaltung
Tim Schenkl: Während sich Magic Mike relativ einfach als US-amerikanisches Indie-Drama kategorisieren lässt, tue ich mich bei Magic Mike XXL deutlich schwerer. Der Film weist eindeutig Elemente des Road-Movies, der Buddy-Komödie und des Tanzfilms auf. Allein schon durch die Beteiligung der Indie-Ikone Steven Soderbergh umweht ihn ein Hauch von Arthouse. Marketing-technisch scheint das Ganze jedoch als eine Art Girls-Night-Out-Event promotet zu werden. Wie würdest du den Film einordnen?
Alexis Waltz: Es ist typisch für Soderberghs Karriere, dass er zwischen Indie-Produktionen und Studio-Filmen hin- und herswitcht. Zu seinen Signature Moves gehört es, altgediente, leicht festgefahrene Stars in ein neues (indie-affines, aber doch mainstream-taugliches) Licht zu setzen — wie z.B. Julia Roberts in Erin Brockovich. So ist Magic Mike natürlich auch ein Starvehikel für Channing Tatum. Magic Mike XXL ist sicher schwerer zu fassen. Tatsächlich startet der Film als Buddy-Komödie (ich dachte an Adam Sandlers Grown Ups 2), schwenkt zu einer nur vage an den Plot angebundenen Thematisierung von weiblicher, afroamerikanischer, sexueller Selbstermächtigung in den Südstaaten und endet dann mit einem bedingungslosen Abfeiern von „Male Entertainment“, dem männlichen erotischen Tanz und Striptease.
Tim: Da du die eher ungewöhnlichen Star Auftritte in den Filmen Soderberghs schon ansprichst, lass uns doch gleich mit den Schauspielern beginnen. Ich finde McConaugheys Performance hat Teil1 schon sehr getragen. Genau wie an der Seite von Steve Carell in Foxcatcher konnte Channing Tatum als eine Art Sidekick für McConaughey in Magic Mike durchaus überzeugen. In XXL bleibt er dagegen eher blass. Die Rolle von Joe Manganiello als Big Dick Richie wurde deutlich ausgebaut. Diese Figur verfügt aber nicht über dieselbe Originalität und Abgründigkeit wie Dallas (Matthew McConaughey). Oder was meinst du?
Alexis: Für mich war Mike (Channing Tatum) trotz der starken Präsenz des McConaughey-Charakters die Hauptfigur des ersten Films. Es ist seine (Emanzipations-)Geschichte, seine Erwachsenwerden. Teil 2 ist ein Ensemble-Film, da tritt er zurück. Sein Story Arc ist auch eher klein: Er muss den Mut aufbringen, seinen Freunden zu sagen, dass es mit dem Love Interest aus Teil 1 gar nicht und mit der erträumten Karriere als Möbelbauer nur kümmerlich geklappt hat. B.D.R. ist die spannendere, brisantere Figur: ein Mann, der durch und durch in seiner erotischen Anziehungskraft aufgeht, der lernen muss, dass es für ihn wahrscheinlich nicht mehr viel anderes gibt, zumindest was die Karriere angeht. Sehr lustig ist seine Exit-Strategy-slash-Geschäftsidee: Er will an Tankstellen Kondome und Kaugummis als ein Produkt verkaufen — das gibt es natürlich schon längst.
Tim: Als McConaughey und Tatum 2012 die Rollen der männlichen Stripper Mike und Dallas übernahmen, entstand allein schon durch diesen Casting-Coup ein kleiner Hype um den Film. Dieses Mal versucht man einen ähnlichen Weg zu gehen, indem man Andie MacDowell als angetrunkene, notgeile und frisch geschiedene Südstaaten-Lady und Jada Pinkett Smith als Stripclub-Besitzerin besetzt. Die Beurteilung von schauspielerischen Leistungen ist immer etwas sehr Subjektives. An McConaugheys Darstellung des Dallas hat mir gefallen, dass er sich mit der Rolle auch ein wenig selbst persifliert. Bei Pinkett Smith und MacDowell passiert meiner Meinung nach das genaue Gegenteil, das ist Overacting par excellence, welches sich selbst viel zu wichtig nimmt.
Alexis: Notgeil ist etwas gemein, man könnte auch sagen emanzipiert oder abgeklärt, weil sie sich im Bezug auf B.D.R. ja zunächst keine Hoffnungen macht. Es geht ihr um die Abrechnung mit ihrem Ex-Mann und darum, ihr unerfülltes Liebesleben zu verarbeiten. Die Frage von sexueller Erfüllung war auch schon bei Sex, Lies, & Videotape, mit dem MacDowell und Soderbergh ihren Durchbruch schafften, und auch in anderen Soderbergh Filmen wie Full Frontal ein Thema. Ironisch fand ich das Spiel von McConaughey nicht. Seine Intention ist nicht so klar zu greifen. Er ist ein Dionysos, anziehend und abstoßend zugleich. Pinkett Smith und MacDowell spielen ja echte Menschen mit einer echten Tragik. MacDowell ist (oder war) in ihrer Upperclass-Ehe gefangen, bei Pinkett Smith als Afroamerikanerin scheint der Kampf wesentlich härter und bitterer zu sein. Für Ironie ist da nicht viel Raum.
Tim: Darüber lässt sich streiten. Ich finde, dass es immer etwas Komisches an sich hat, wenn ein relativ cleaner Star eine Rolle in einem eher schmutzigen Indie-Film übernimmt. Das kann schnell peinlich werden. McConaughey ist damit sehr souverän und augenzwinkernd umgegangen (natürlich reagierte er mit der Rolle auch auf den immer wiederkehrende Vorwurf, dass er nichts mehr liebe, als sich mit freiem Oberkörper zu präsentieren). Besonders Jada Pinkett Smith merkt man dahingegen extrem an, dass sie der Welt mit diesem Film beweisen will, dass sie eigentlich eine ernsthafte Schauspielerin ist und nicht nur ein aus Blockbustern bekannter Star.
Du sprachst gerade von Tragik. Teil 1 zeigt die Tragik, die mit dem Beruf des männlichen bzw. auch weiblichen Strippers häufig Hand in Hand geht. Denn wahrscheinlich wählen die wenigsten Menschen diese berufliche Laufbahn aus völlig freien Stücken, sondern eher aus einer gewissen Perspektivlosigkeit und aus Mangel an Alternativen. Dieser Aspekt taucht in XXL fast nicht mehr auf, — abgesehen von einer kurzen Einstellung, in der Tarzan davon spricht, dass er eigentlich gern eine eigene Familie hätte — der Trip der Jungs erscheint wie eine einzige Spaßveranstaltung.
Alexis: Es ist eine Spaßveranstaltung, weil sie den Beruf ja schon weitestgehend aufgegeben haben und nur noch ein letztes Mal bei einer Stripper Convention auftreten wollen. Es geht um den wehmütigen Blick zurück und um die bange Frage, ob man überhaupt zu etwas anderem im Leben taugt als zum Strippen und darum, die „echten“ Menschen hinter (oder in) den Glamour-Bodies zu zeigen. Das macht der Film mit einer für Soderbergh-Verhältnisse ungewöhnlichen Naivität. Insofern hat der Meister seinem früheren Assi, jetzt Regisseur, durchaus einen Freiraum gegeben.
Zwischen Frustration und Selbstverwirklichung
Tim: Ich bin mir nicht so sicher, ob das wirklich so eine gute Idee war. Ich habe schon meine Probleme damit, dass der Film der Kommerzialisierung menschlicher Sexualität so scheinbar völlig kritiklos gegenübersteht, sie geradezu affirmiert. Teil 1 war für mich ein sehr bürgerlicher, relativ verständnisloser Blick auf eine Subkultur. In XXL scheint der Beruf des Strippers jedoch kaum noch hinterfragt zu werden.
Alexis: Dieser Aspekt wird in beiden Filmen durch die handwerkliche Finesse und den Humor der Performances aufgefangen, sodass die Nacktheit nur ein Teil ist. Letztlich ist das ein Aspekt diverser künstlerischer Arbeiten von Lana Del Rey bis Justin Bieber, von Scarlett Johansson bis Ryan Gosling. Das Besondere beim Strippen ist ja, dass es explizit gemacht wird. Die Tragik von verkauftem und gekauftem Sex wird sichtbar.
Tim: Ich halte es, um ehrlich zu sein, für genauso fragwürdig, dass talentierte Sängerinnen, wie beispielsweise Beyoncé oder Rihanna, sich offensichtlich dazu gezwungen sehen, in ihren Musikvideos mehr oder weniger wie Stripperinnen zu agieren. Ich erwarte von einem Filmemacher dann doch eine etwas kritischere Haltung als die, die Gregory Jacobs hier vertritt. Ich würde sogar noch ein wenig weiter gehen: Ich finde, die im ersten Teil vielleicht etwas zu dick und einseitig aufgetragene Tragik im Leben eines männlichen Strippers verschwindet in XXL fast komplett, dafür gibt es immer wieder diesen mitleidigen Blick auf dicke oder gealterte Frauenfiguren, die sich anscheinend nichts sehnlicher wünschen, als von einem muskelbepackten Stripper umgarnt zu werden. Die Tragik wird somit quasi von den männlichen auf die weiblichen Protagonisten verlagert.
Alexis: Wenn man von Beyoncé oder Rihanna spricht, müsste man es den Strippern und ihrem Publikum zu Gute halten, dass sie es freiwillig tun und es nicht verschleiern. Ich habe den „Blick auf dicke oder gealterte Frauenfiguren“ in Teil 2 nicht als mitleidig empfunden. Für mich sagt das: Für den Stripper haben alle Frauen das gleiche Recht auf die Phantasie von sexueller Erfüllung, die er verkauft. Der Jada-Pinkett-Smith-Charakter spricht das weibliche Publikum ihres Stripclubs als Queens an, denen die sexuelle Selbstverwirklichung zusteht. Natürlich verkauft sie ihnen nur eine Antizipation davon, aber immerhin deutet sie einen Grad von Emanzipation und Selbstermächtigung an, der im Leben dieser Frauen noch nicht realisiert ist, denn sonst würden sie ja nicht in den Stripclub gehen. Ich finde, es bleibt ambivalent. Du kannst argumentieren, dass Rome die Frustration der Frauen ausbeutet, um ihnen etwas zu verkaufen, was sie doch nicht glücklich machen wird. Man kann aber auch argumentieren, dass sie ihnen einen Impuls gibt, für ihre realen Leben mehr Erfüllung einzufordern.
Tim: Wie du ja wahrscheinlich schon gemerkt hast, hat mir Magic Mike XXL weniger gefallen. Letztlich ist für mich einfach überhaupt nicht klar, was der Film eigentlich machen will bzw. was er ist. Zusätzlich find ich, dass er einfach auch große handwerkliche Mängel z.B. in Sachen Timing und Schauspielarbeit aufweist. Ich habe nichts gegen Heterogenität beim Filmemachen, aber XXL ist für mich einfach ein relativ krudes Durcheinander.
Alexis: Ich finde eine freie, improvisierte Form nicht per se schlecht. Natürlich findet man sowas wie die genial choreografierte Plansequenz von Tatum und seinem Love Interest unter den Sonnenschirmen aus Teil 1 hier nicht. Wobei die Bilder nicht unoriginell sind. Ich fand das improvisierte Spiel und das Aus-dem-Charakter-Fallen unterhaltsam und charmant. Zum Durcheinander: Ich finde es mutig, wie der Film am Anfang den Stripper-Glam dekonstruiert und diese Monster maskuliner Erotik als relativ banale, hilflose und alberne Menschen zeigt. Dann entfernt er sich von seinem Ensemble und forscht nach den Ursprüngen von Mikes Moves in der afroamerikanischen Kultur. Das finde ich erzählerisch mutig und politisch ambitioniert. Am Ende werden die Erkenntnisse des Selbsterfahrungs-Roadmovies wieder auf die Bühne zurückgebracht und die Hünen erweisen sich als ziemlich naive Menschen.
Toll war’s!
Tim: Interessant ist, dass der Star-Regisseur Steven Soderbergh bei Magic Mike XXL als Kameramann aktiv ist. Ich halte ihn für den vielleicht mutigsten DOP in Hollywood. Den Kamerastil bei den Stripszenen in Teil 1 würde ich als relativ dokumentarisch beschreiben. Meist wird die Strip-Action auf der Bühne relativ distanziert von halb-links oder halb-rechts verfolgt. Im zweiten Teil sind die Tanzchoreografien deutlich ausgefeilter und besonders beim ca. 30-minütigen Endspurt wird viel stärker für die Kamera inszeniert, die jetzt Teil des Geschehens ist.
Alexis: Ich liebe Soderberghs Kameraarbeit auch. Am Ende des Films geht es darum, die Performances der Gang abzufeiern. Das sind Bilder, die man auch seinen Enkeln zeigen kann. In dieser Versöhnlichkeit ist Magic Mike XXL dann durch und durch ein Hollywoodfilm.
Tim: Mit all der dazugehörigen Naivität.
Alexis: Ja, die im ersten Teil von Dallas und The Kid verkörperte dionysisch-diabolische Seite ist verschwunden. Die Message ist jetzt: Toll war’s, und wahrscheinlich wird es nie wieder toller werden. Und sich damit abzufinden, davon handelt der Film.
Tim: Wir leben im Zeitalter der Sequels. Kannst du dir vorstellen, dass es in Zukunft vielleicht noch einen dritten Teil gibt oder war‘s das jetzt für Magic Mike, Big Dick Richie und den Rest der Gang?
Alexis: Nicht wirklich. Dazu ist Soderbergh zu cool. Von dem Franchise-Wesen hat er sich immer ferngehalten und wenn nicht, wie bei der Oceans-Trilogie, immer wieder ziemlich neu angesetzt.
Tim: Böse Zungen würden jetzt behaupten, Soderbergh sei längst zu seinem eigenen Franchise geworden. Aber egal. Ich kann mir auch nur schwer vorstellen, dass Magic Mike irgendwann in seiner Küche steht und den legendären Satz aus The Godfather 3 spricht: „Just when I thought I was out they pull me back in.“ Wir werden es sehen …
Magic Mike XXL
USA 2015
Regie: Gregory Jacobs
Drehbuch: Reid Carolin, Channing Tatum
Darsteller: Channing Tatum, Matt Bomer, Joe Manganiello, Kevin Nash, Adam Rodriguez, Gabriel Iglesias, Andie MacDowell, Jada Pinkett Smith, Amber Heard
Kamera: Steven Soderbergh als Peter Andrews
Schnitt: Steven Soderbergh als Mary Ann Bernard
Laufzeit: 115 min
seit dem 23.07.2015 im Kino