Eisenstein in GuanajuatoPeter Greenaways Comeback im Wettbewerb der Berlinale
14.2.2015 • Film – Text: Christian BlumbergIm Jahr 1931 reiste der sowjetische Regisseur und Theoretiker Sergei Eisenstein nach Mexiko, um einen Film zu drehen, den er nie beendete. In einem Anti-Biopic inszeniert Peter Greenaway diesen Aufenthalt als vorwiegend frivole Episode. Ungezügelter als Eisensteins Sexleben erweist sich jedoch das Kunstwollen des Regisseurs.
Während der Vorbereitungen auf eine Prozession in Guanajuato müssen Sergei Eisenstein und sein mexikanischer Liebhaber Palomino zwei Skelette ergattert haben, lebensgroße Puppen aus Pappmaché, mehrgliedrig und beweglich dank Gelenken aus Draht. Jetzt wollen die Liebenden dem Tod ein Schnippchen schlagen, sie tanzen mit den Skelettpuppen durch ausladende Hotelzimmer. Eine Szene in Greenaways Film, die wohl an einen der bekanntesten Disney-Cartoons erinnern soll, den „Skeleton Dance“ von 1929 – und daran, dass der nicht-fiktionalisierte Eisenstein ein glühender Verehrer Disneys war: In seinem Nachlass fand sich eine halbfertige, euphorische Abhandlung über dessen Animationsfilme. Nur: Wie soll man solche Verweise erkennen, wenn man nicht gerade Eisenstein-Biograph ist? Wahrscheinlich gar nicht. Sie lassen sich oft bloß erahnen. Und so sieht man einen Film, in dem es um vieles, vorwiegend jedoch um körperliche Gelüste geht – und traut ihm nicht. Jedes Detail, jedes Requisit muss befragt werden: Meta-Kniff oder biografischer Verweis? Oder einfach nur dem Drehbuch entsprungen?
Peter Greenaway wird es auf genau diese Unsicherheit abgesehen haben, die angesichts der filmischen Gestaltung noch größer wird: Immer wieder wird das Bild „dreigeteilt“, Kameras fahren endlose Kreise, Perspektiven verzerren sich (was mitunter ziemlich crappy aussieht), Protagonisten agieren vor gemalten Kulissen. Sind das nun formale Verbeugungen, ist das gar die Fortführung der Montagetechniken Eisensteins, jenem russischen Revolutionsregisseur, der die Theorien der Montage prägte wie kaum jemand vor ihm? Oder verlängert sich hier doch eher Greenaways auktorialer Gestaltungswille ins Digitale? Ausgeprägt war dieser Wille schon immer beim Briten, der von der Malerei zum Film gekommen war und dann Filme über Maler drehte, oder auch gerne besonders aufwändig ausgeleuchtete tableaux vivants zu Filmen zusammenschnitt. Greenaways Neigung zum formalen Manierismus konkurriert nun nicht nur um den Goldenen Bären, mit ihr soll auch das Comeback auf der großen Bühne gelingen. Zu oft aber wirkt dies wie das unbedingte Kunstwollen eines Filmemachers, dessen Kunst ein wenig dated ist, den zwar alle schätzen, aber kaum jemand ernsthaft vermisst.
Die Entdeckung der schwulen Identität wird auch als Emanzipationsgeschichte vom Stalinismus erzählt.
„Eisenstein in Guanajuato“ jedenfalls schmeißt sich an sein Publikum heran, will es von der ersten Sekunde mit Witz um Tempo verführen. Dazu gehört auch, dass Greenaway seinen Eisenstein nicht gerade ehrfürchtig behandelt. Er verklärt ihn nicht zum Universalgelehrten, sondern zeigt ihn als überdrehten, Bonmot-spittenden Nervtöter mit Starallüren, dessen Mexiko-Aufenthalt vor allem deshalb zur einer denkwürdigen Episode gerät, weil er hier den Sex kennenlernt – die Initiation übernimmt jener Palomino, der in Mexiko als eine Art Fremdenführer für Eisenstein abgestellt wird. Schon im Vorspann erinnert der Off-Kommentar daran, dass Eisensteins Revolutionsepos „Oktober“ in der westlichen Welt unter dem Titel „Ten Days That Shook the World“ zu sehen war und Greenaways Film vielleicht „Ten Days That Shook Eisenstein“ hätte heißen müssen. Diese Erschütterung ist in Greenaways halbfiktiver Geschichte zunächst eine körperliche. Eine doch ziemlich durchsichtig auf Effekt zielende Szene zeigt minutenlang die anale Entjungferung Eisensteins – nach ihrem Vollzug wird eine Sowjetfahne aus seinem Anus ragen wie eine koloniale Landmarke: Die Entdeckung der schwulen Identität wird in der Folge auch als Emanzipationsgeschichte vom Stalinismus erzählt. Meistens aber geht es doch um Kreatürlichkeit, vor allem der zur Unförmigkeit neigende Körper Eisensteins ist bevorzugtes Motiv. Bauchansatz über leicht eingefallenem Hintern, Penis in verschiedenen Erektionsgraden – schon in „8 1/2 Women“, in dem Vater und Sohn eine Art Harem errichteten, konzentrierte sich Greenaways Kamera keineswegs auf die Frauen, sondern präferierte stets den schlaffen Leib des Seniors.
##Bekannte Muster
„Eisenstein in Guanajuato“ beginnt als gelungenes Verwirrspiel um Realität und Fiktion vor einer exotistischen Inszenierung Mexikos als geradezu märchenhaftem Teil einer anderen, sinnlicheren Welt, wird aber zunehmend zu einem Hybrid aus Anzüglichkeiten und Intellektualismus – eine im sogenannten Autorenkino der 70er- und 80er-Jahre ziemlich prominente Mischform (daran ändert auch das späte Umschlagen des Films ins Melodramatische wenig). Der Fokus auf Eisensteins Pimmel ist bei Greenaway daher auch ein Symptom eines nicht unbedingt fortschrittlichen Kinos. Trotz digitaler Effekte und den spürbaren Innovationsbemühungen dominieren dann doch bekannte Muster. Selbst die formalen Spielereien und die damit einhergehenden Brüche der Erzählung verlieren im Laufe des Films ihre idiosynkratische Kraft und scheinen zunehmend einer angestaubten Agenda zu gehorchen – gerade vor dem Hintergrund, dass es Eisenstein mit „Oktober“, seiner filmischen Chronik der Oktoberrevolution, gelang, inszenierte Bilder in ein kollektives Gedächtnis über einen historischen Vorfall zu schmuggeln, scheinen Greenaways Störmanöver nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine politische Intervention zu sein, indem sie jeden Anspruch auf historische Wahrheiten permanent unterlaufen. In das gleiche Register fällt wohl auch die Verquickung von erzählter Geschichte und historischen Dokumenten – wie die Fotografien oder Filmausschnitte von Eisenstein, die als dokumentarische Beigabe immer dann sofort ins Bild montiert werden, wenn es eben gerade Sinn macht: Greenaway dreht ein Anti-Biopic. Aber eines, welches sich, nachdem es sich etwas ausgetobt hat, doch seltsam altertümlich wirkt. So gerät Greenaways Wettbewerbsbeitrag höchstens halb so aufregend wie er zu sein vorgibt – und hat gerade dem anarchischen Moment Eisensteins letztlich zu wenig entgegenzusetzen.
Eisenstein in Guanajuato, Niederlande/Mexiko/Finnland/Belgien 2015
Regie: Peter Greenaway
Screening während der Berlinale:
Sonntag, 15.02. 21:15 - Friedrichstadt-Palast