„Bei uns müsst ihr euch für den Kater am nächsten Tag nicht schämen!“„Unterm Strich“ in Hamburg ist der erste Spendenclub der Welt
11.9.2015 • Gesellschaft – Interview: Jan-Peter WulfDer Name passt: „Unterm Strich“ ist ein neuer Kellerclub auf der Hamburger Reeperbahn. Schwarzer Raum, gute Lichtanlage, amtlicher Sound, Platz für 300 feiernde Leute. „Unterm Strich“ will, wie jeder andere kommerzielle Club auch, mit Eintritten und Getränkeumsatz Geld erwirtschaften. Viel Geld. Das fließt aber nicht in die Taschen, Zweitwagen und Ayurveda-Kurzurlaube der Besitzer, ihr eigenes Einkommen erzielen die beiden Macher Jannes Vahl und Joko Weykopf mit einer Werbeagentur. Schon seit einigen Jahren sind sie auch die Köpfe des gemeinnützigen Vereins „Clubkinder e.V.“, der in Hamburg mit Partys und Events von HipHop-Konzerten bis zu Buchlesungen Geld für soziale Zwecke einsammelt. Daraus wurde jetzt ein „brick and mortar“-Projekt, ein Club. Was dort, wenn das Putzlicht angeht, unterm Strich und nach Abzug aller Kosten überbleibt, geht komplett an lokale soziale Projekte. Heute eröffnet der vermutlich erste Spendenclub der Welt offiziell, natürlich gab es, wie in jedem anderen Club auch, schon ein Pre-Opening (von dem sind die Bilder). Das Filter hat mit den Diskothekenbetreibern für den guten Zweck gesprochen.
Leute gehen in Clubs, um die Welt draußen und sich treiben zu lassen. Jetzt kommt „Unterm Strich“ und bringt die Welt mit allen Problemen in den Club. Das erinnert ein wenig an Soliparty und soziokulturelles Zentrum. Richtig abgehen tut es bei solchen Partys selten.
Joko: Wir wollen den Leuten mit unserem Charity-Ansatz beim Feiern nicht auf den Sack gehen. Niemand kommt zu einer Party, jedenfalls nicht zum wiederholten Male, weil sie einen wohltätigen Anlass hat. Machen wir langweilige Events, dann kommt keiner. Wir führen den Club ganz regulär, komplett kommerziell, mit professionellem Booking. Mit dem Unterschied, dass die Deals, die wir mit den DJs und den Leuten, die für uns arbeiten, machen, anders sind. Dadurch soll unterm Strich mehr übrig bleiben. Die GmbH, die den Club betreut, ist zu 100% in Hand des Vereins „Clubkinder“. Alle Gewinne gehen dorthin.
Erklärt das bitte mal, wie sieht das genau mit den „anderen Deals“ aus?
Joko: Wir sagen: Du, DJ oder Mitarbeiter, kannst dich engagieren, indem du mit dem Preis runtergehst. Natürlich zahlen wir den Mindestlohn, alle Angestellten sind ordentlich angemeldet, Reise- und Hotelkosten für DJs tragen wir auch. Der Punkt ist, dass wir durch den Charity-Aspekt eine größere Marge schaffen können. Nimmt der DJ, das ist gerade bei einem unserer Bookings so der Fall, nicht wie sonst 1.800 Euro für sein Set, sondern 200, dann bleiben 1.600 Euro mehr übrig. Wir sind aber keine Bettler. Wenn ein Künstler auf seine Gage besteht und wir finden, dass er für dieses Event wichtig ist, dann werden wir das auch zahlen. Das soll jeder selbst entscheiden.
Wolltet ihr schon immer einen eigenen Ort für den „Clubkinder“-Verein?
Jannes: Das ist uns ein bisschen zugefallen. Wir haben zwar schon nach einer Location gesucht, wo wir über Charity-Geschäfte sprechen und mit den Leuten zugleich Spaß haben können, nicht den gängigen Konferenzraum. Jetzt ist es so, dass der Besitzer der Immobilie einen wichtigen Beitrag zu unserem gemeinnützigen Projekt leistet, indem er uns die Miete erlässt. Und er kümmert sich auch um die Annahmen der Getränke. Er macht im gleichen Haus in der Reeperbahn 136 einen eigenen Club.
Das „moondoo“. Ein overgroundiger, sehr hedonistischer Laden.
Jannes: Das ist der hedonistischste Partyclub, den du in Hamburg hast! Alles fancy in Lila und Gold, mit der schwarzen Kreditkarte der Eltern Flaschen bestellen ...
Joko: ... und gleichzeitig waren die Gäste im „moondoo“ immer die Spendenrekordhalter bei unseren Clubkinder-Festivals. Das sind nicht irgendwelche Kids, die sich nur wegballern und sich um nichts scheren. Wenn man denen den guten Zweck, für den sie feiern, so präsentiert, dass sie es nachvollziehen können, dann sind die sehr interessiert. Die haben Herz, man muss sie nur abholen.
Jannes: Die machen jeden Dezember selbst Aktionen im „moondoo“, letztes Mal kam ein fünfstelliger Betrag für die Dialysestation im Kinderhospiz „Sternenbrücke“ in Hamburg zustande.
Das Geld aus „Unterm Strich“ wird auch lokal gespendet. Für Flüchtlingsinitiativen in Wilhelmsburg oder Kinderprojekte auf St. Pauli. Wie läuft das, macht ihr das je Event?
Jannes: Wir haben Themenmonate. Die Info, welches Projekt wir aktuell unterstützen, hängen wir auslaminiert dort hin, wo Geld stattfindet - an den beiden Bars und an der Kasse.
Joko: Und das war es dann auch. Der Charity-Aspekt soll keine Unwucht reinbringen, die Leute sollen bitte volle Pulle feiern. Natürlich geht es hier um richtig was, um echte Probleme: Kinderarmut, Obdachlosigkeit, Flucht. Schwere Themen. Aber das heißt nicht, dass man nicht feiern kann. Im Gegenteil. Wir kommen beide aus den Medien, Jannes war Redaktionsleiter bei einem Stadtmagazin, ich Verlagsleiter bei einer Wochenzeitung. Da bekommt man schon mit, was für ein Geld im Nachtleben unterwegs ist. „Clubkinder“ haben wir ins Leben gerufen, um an diese Geldflüsse ranzukommen und sie umzulenken. Wir glauben nicht an das Bild des Sozialarbeiters, der sich selbst geißelt und vernachlässigt, damit ein Unterschied gemacht wird. Wir wollen ein bisschen was von dem ganzen Geld abzwacken und zurück in die Community stecken. Wir könnten auch einfach den geilsten Club der Stadt machen.
Jannes: Na, ich weiß nicht, ob wir das könnten (lacht).
Ist es leichter, einen Charity-Club aufzumachen als einen herkömmlichen?
Jannes: Leichter ist zumindest der Umgang mit der Konkurrenz. Die sonst vielleicht alles tun würde, um einem das Leben als Newbie schwer zu machen. Da werden wir mitgetragen. Wir haben den großen Machern der Stadt, so donmäßig, vorher auch gesagt, was wir vorhaben und dass wir denen nicht das Geschäft schädigen, sondern Spenden sammeln wollen. Man kann ja auch partizipieren und eine Partyreihe bei uns machen.
Was für Events gibt es bei euch?
Jannes: Das Programm bis Ende Dezember steht. Es wird eine Kater-Holzig-Partyreihe geben, das „Sleaze“-Magazin und „Mit Vergnügen Hamburg“ machen was, die Hiphop-Partyreihe „Yum Yum“ kommt. DJs werden wir immer nur sporadisch ankündigen. Der Eintritt kostet immer neun Euro, ob ein DJ Hell aus München kommt oder ein lokaler DJ zu Fuß vom Nobistor. „Unterm Strich“ soll schon ein bisschen pudelig, ein bisschen gängeviertelig sein. Aber eben nicht selbstwirtschaftend: Das Geld geben wir raus und nutzen es nicht für unser „Kulturzentrum“. Und darauf einigen sich alle, die mitmachen. Wir treffen da, glaube ich, wie zum Beispiel auch „Viva Con Agua“, schon einen Zeitgeist. Das ist eine neue Form für junge Leute, sich zu engagieren. Nicht mit einem Marktstand mit Schirm drüber und Ökopapierflyern, die den Passanten in die Hand gedrückt werden: Guck mal, wie schlimm es den Leuten geht. Sondern mit Spaß, Musik, Backstage, Alkohol und allem was zum Club dazu gehört.
Joko: Haut euch gerne einen Gin Tonic oder zwei mehr rein. Bei uns müsst ihr euch für den Kater nicht am nächsten Tag schämen, es war für einen guten Zweck!
Ihr wollt in erster Linie ein Club sein, und ihr wisst es selbst: Ein Club kann floppen, mit noch so guten Absichten.
Jannes: Ja, dann machen wir halt wieder zu.
Joko: Es ist ein Experiment, wir betreten Neuland. Am Ende punkten wir über den Inhalt. Oder eben nicht.