Feminismus auf Erfolgskurs – doch für wen gilt das?Ein Kommentar zum Weltfrauenkampftag

weltfrauenkampftag

Am 8. März 1917, nach dem julianischem Kalender Russlands der 23. Februar, begann der Streik zahlreicher Arbeiterinnen in Petograd. Zu diesem Zeitpunkt war Nikolaus II. noch autokratischer Herrscher Russlands. Wenige Tage später stürzte ihn die Februarrevolution. Um der enormen Wirkungskraft der Frauen in diesem Szenario zu gedenken, legte man den Weltfrauenkampftag auf den 8. März. Heute, 103 Jahre später, bleibt dieser ein Kampftag. Fairändern lautet das Motto in diesem Jahr. In Zeiten, in denen Menschen von den EU-Außengrenzen mit massiver Gewalt ferngehalten werden, bedeutet dies vor allem eines: Solidarität.

Es gibt viel zu tun in Deutschland und am Frauenkampftag sollten wir demonstrieren, für all die Rechte, die Frauen hier weiterhin vorenthalten bleiben. Das Gender Pay Gap hält sich hartnäckig, Männer dominieren die Vorstände und Online-Debatten haben uns gezeigt, dass sexualisierte Gewalt nach wie vor Alltag vieler Frauen ist. Gleichstellung ist noch lange nicht in Sicht und nicht nur heute sollten wir uns das vor Augen führen. Dennoch sollten wir dabei stets auch unsere Privilegien mitdenken. Denn Privilegien bedeuten Verantwortung.

Wir sind an einem Punkt gelangt, an dem der Feminismus nicht nur wieder allgemein akzeptiert scheint, sondern jegliche öffentliche Gegenposition garantiert ein negatives mediales Echo mit sich zieht. Ein Punkt, an dem Margarete Stokowski wöchentliche Kolumnen bei Spiegel publiziert und #metoo sexualisierter Gewalt zu undenkbarer medialer Präsenz verholfen hat. Definitiv ein Grund zur Freude – doch eben auch zur Obacht. Denn während der Feminismus in den letzten Jahren vom Tabuwort zum Trendwort lancierte und so viel Zuspruch wie lange nicht erhält, weiten sich soziale Disparitäten, Kriege, rechter Terror und der Klimawandel aus und bedrohen die Leben zahlreicher Frauen - weltweit.

Ich bin eine Frau und von auf Grund dieser Tatsache oft von Diskriminierung betroffen. Dennoch traue ich mich heute, als weiße, nicht jüdische Frau auch nach Hanau und Halle noch auf der Straße demonstrieren zu gehen. Als in Deutschland Lebende muss ich weder vor Krieg fliehen, noch Hunger leiden. Als cis-Frau bin ich in der Frauenquote mitgedacht. Als Studentin bringe ich die Voraussetzung mit, mich überhaupt jemals auf eine Stelle zu bewerben, in der die Frauenquote greifen könnte. Das verdanke ich zahlreichen Privilegien, die Selbstverständlichkeit für alle Frauen sein sollten. Auch für mich gilt es noch einige Kämpfe zu kämpfen. Doch es gibt da eben noch ein paar mehr Baustellen.

Ein Jahr danach: Wie #Metoo die Welt verändert hat, titelte die FAZ 2018. Ein ziemlich eurozentrischer Blickwinkel, wenn man bedenkt, dass der Hashtag erst über ein Jahr später überhaupt in indischen Medien erwähnt wurde, viele südamerikanische Frauen nur müde über die Kampagne lächeln konnten und Frauen ohne Internetzugang gar nichts von der Bewegung hatten. Das ist kein whataboutism. Sondern eine Erinnerung daran, Feminismus stets intersektional zu gestalten. Solidarität ist so wichtig wie nie.

Am Frauenkampftag sollten wir heute auch an all die Frauen denken, die derzeit täglich im Mittelmeer ertrinken oder vom griechischen Sicherheitsapparat Tränengas in die Augen gesprüht bekommen. Alles andere ist nicht feministisch. Gerade jetzt, wo der Feminismus wieder en vogue ist, ist es wichtiger denn je, akribisch auf seine Umsetzung zu achten. Und dafür ist unausweichlich, sich apodiktisch das finale Ziel vor Augen zu halten: eine diskriminierungsfreie Gesellschaft. Frei von jeder Form der Diskriminierung. Und frei menschengemachten Grenzen, mit denen Menschen Boden beschützen wollen, auf dem sie zufällig geboren sind.

Wochenend-WalkmanDiesmal mit Session Victim, Intenta und Collectress

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