Gegen das MonopolDas Start-up Alpengummi denkt das Kaugummi neu
13.5.2019 • Gesellschaft – Interview: Ji-Hun KimDie beiden österreichischen Unternehmerinnen Claudia Bergero und Sandra Falkner lernten sich während ihres Studiums in Kopenhagen kennen. Dort entstand die Idee für ihr Produkt Alpengummi. Während ihrer Recherchen stellten beide fest, dass handelsübliche Kaumasse für Kaugummis in der Regel synthetisch aus Erdöl hergestellt wird, mit Weichmachern versetzt und somit potentiell schädlich für Mensch und Natur ist. Ihr Alpengummi wird aus Harz und Bienenwachs hergestellt. Ein Konzept, das nachhaltig ist, aber auch fast vergessenes Handwerk wie die Pecherei wieder in den Fokus rückt. Ji-Hun Kim hat mit den Gründerinnen gesprochen.
Wie kommt man auf die Idee, Kaugummi aus Baumharz herzustellen?
Sandra Falkner: Die kam uns während einer Lehrveranstaltung, in der es um Innovationen im Forstsektor ging. Die Aufgabe war, aus Rohstoffen aus dem Wald ein Produkt oder eine Dienstleistung zu entwickeln. Wir sind so auf das Thema Harz gestoßen und haben festgestellt, wie wenig man darüber weiß. So sind wir eben zum Thema Kaupech gekommen. Über Jahrhunderte haben Menschen in Österreich das Harz von Bäumen gekaut. Nach weiteren Recherche haben wir festgestellt, dass die meisten handelsüblichen Kaugummis aus Kunststoffen bestehen. Sie sind synthetisch und potentiell gesundheitsschädlich. Wir fingen an, mit Harz und Bienenwachs zu experimentieren. Und nach zwei Jahren Entwicklung haben wir die jetzige Rezeptur des Alpengummis gefunden.
Gab es im Vorfeld eine Inspiration oder ein Rolemodel?
Claudia Bergero: Wir haben mit einem Businessplan für eine fiktive Idee angefangen. Dass ein echtes Unternehmen daraus wird ... da sind wir rein gerutscht. Wir haben herausgefunden, dass die Pecherei, also das Handwerk zur Harzgewinnung, in Niederösterreich ein wichtiger Wirtschaftszweig und dass Harz für Österreich generell ein wichtiger Exportartikel war. Heute ist es vom Aussterben bedroht und seit 2011 UNESCO-Weltkulturerbe. Wir haben viel darüber gelernt, woraus normale Kaugummis bestehen.
Was wurde früher sonst aus dem Harz gemacht?
Sandra: Früher wurde es für bei der Bottichbinderei verwendet. Aber auch Lacke und Farben wurden daraus hergestellt. Für die Schifffahrt wurde es zum Abdecken benutzt. Eine Schifffahrt wäre ohne Harz nicht möglich gewesen. Heute verwendet man es noch für das Kolophonium für Geigenbögen, aber auch für Naturfarben und Heilsalben. Das Harz ist nämlich antibakteriell und wundheilend.
Claudia: Baumharz wurde in vielen Kulturen über lange Zeit gekaut. In Russland und Kasachstan gibt es heute noch Kaugummis aus Harz. Dieses hat aber keinen Geschmack und man muss es lange im Mund aufwärmen, damit es nicht splittert. Das ist nicht für jeden was. Das Harz wird dort aber wegen seiner antibakteriellen Wirkung hoch geschätzt. Dann gibt es das mexikanische Chicle, das aus Baumsaft hergestellt wird, die Bäume wachsen aber nur im Regenwald. Aus Chicle waren Kaugummis ursprünglich, auch die von Wrigley’s. In den 1950er-Jahren wurde Chicle durch das billigere Erdöl ersetzt. Ein John Curtis hat aber schon im Jahr 1848 einen Kaugummi verkauft, der aus Fichtenharz und Bienenwachs war. Diese Technik gab es also schon vor rund 200 Jahren, ist aber völlig von der Bildfläche verschwunden.
Wie viel kann man auf diese Art und Weise produzieren?
Claudia: Die Leute müssen das erstmal annehmen. Wir müssen herausfinden, ob Alpengummi normale Kaugummis in der Masse ersetzen kann. Von den Rohstoffen her kann man schon viel abdecken. Wir setzen aber auf lokale Produktionen. Angenommen, wir würden Alpengummi in Südamerika verkaufen, müssen wir nicht das Harz aus Österreich dafür benutzen. Das wäre nicht nachhaltig. In Südamerika gibt es auch Kiefern, das muss man lokal machen und es lässt sich so auch international skalieren. Zur Zeit machen wir alles händisch, aber langfristig könnten wir den europäischen Markt schon ganz gut abdecken.
Ihr startet erste Testläufe mit großen Supermarktketten.
Sandra: Lebensmittel sind ein spezielles Geschäft. Viele setzen auf Gewohnheiten und Alpengummi hat schon ein anderes Kaugefühl als synthetische Kaugummis. Manchen taugt es, manchen nicht. Da ist die Resonanz des Testlaufs wichtig, um genau das herauszufinden. Wir haben schon viele Anfragen aus Deutschland, auch da wird was weiter gehen.
Was war das größte Problem bei der Entwicklung eines solchen Produkts?
Claudia: Dass Harz noch nie als Lebensmittel verkauft wurde. Wir wussten von Anfang an, es könnte schwierig werden. Harze wurden in den Alpenkulturen schon immer gekaut, was Lebensmittelbehörden aber egal ist.
Sandra: Kaumasse kann aus unterschiedlichen Komponenten bestehen. Auf der Zutatenliste steht aber nie genau drauf, woraus sie wirklich gemacht ist. Da heißt es dann schlicht Kaumasse, was eine ziemliche Frechheit gegenüber den Konsumenten ist, die da völlig im Dunkeln tappen. Wir haben herausgefunden, dass Harz durchaus schon mal als Lebensmittel im 19. Jahrhundert zugelassen war. So haben wir eine Argumentationsbasis gefunden, Gutachten erstellt, Analysen machen lassen und die Lebensmittelbehörde davon überzeugen können. Das war ein langer Prozess, wir haben lange geschwitzt.
Claudia: Bei Kaugummis kommt viel dazu. Die Konsistenz, der Geschmack muss lange halten, es war extrem schwierig. Wir dachten erst, wir brauchen einen Kaugummiexperten, der uns hilft. Bis wir drauf gekommen sind: So jemanden gibt’s nicht. Wir haben zwar einen Lebensmitteltechnologen im Team, aber der hat das auch nicht im Studium gelernt. Wir haben alles von Null auf erfinden müssen. Dann gibt es keine Maschinen für so etwas – eine Verpackungsmaschine kostet auch eine Million Euro. Dass man bis dahin alles händisch machen muss, ist nicht leicht.
Sandra: Der Markt wird zu 95 Prozent von einer Firma dominiert. Daher konzentriert sich das Wissen um Kaugummi auch in dieser einen Firma. Da wird natürlich nichts preisgegeben. Bei uns war es viel Trial and Error, bis wir die richtige Rezeptur gefunden haben. Heute schaffen Konsumenten eine größere Nachfrage bezüglich natürlicher Inhaltsstoffe, die wollen wissen, worauf sie herumkauen. Es kamen auch schon Leute aus größeren Firmen auf uns zu, zeigten sich begeistert von der Idee und fragten, wie wir das genau machen. Da muss man aufpassen, was man preisgibt und was nicht. Die Industrie ist durchaus an dem Thema interessiert. Sie ist aber noch nicht so weit wie viele Start-ups in dem Bereich.
Wo geht es mit dem Thema Social Entrepreneurship hin?
Claudia: Das kapitalistische System, so wie es jetzt ist, muss sich ändern. Die Formel geht sich nicht aus. In Zukunft wird es mehr Social Businesses geben. Profit ist bis zu einem gewissen Grad ja nichts schlechtes. Ein nachhaltiges Geschäft muss auch wirtschaftlich nachhaltig sein. Die Gewinne lassen sich jederzeit in gute Projekte stecken.
Sandra: In Zukunft wird es ohne Social Entrepreneurship gar nicht gehen. Es geht immer um die Menschen. Man darf nicht nur auf sich selbst schauen. Das Umfeld und den Blick auf das Größere darf man nicht verlieren. Wir setzen uns aber auch für Kulturen ein, die man bei uns fast vergessen hat. Wir versuchen, Innovation mit Tradition zu vereinen und zukunftsfähig zu machen.
Thema Nachhaltigkeit: Was muss noch passieren?
Claudia: Beim Thema Kaumasse zum Beispiel, dass deklariert wird, was genau drin ist. Die Politik muss für Transparenz sorgen. Das war vor vier Jahren mit der Palmöl-Debatte das Gleiche. Davor standen nur pflanzliche Fette und Öle drauf. Niemand wusste, dass da Palmöl verarbeitet wurde. 2014 hat sich das geändert und seitdem hat das Thema viel mehr zugenommen, weil die Leute verstehen und nun entscheiden können, ob sie ein Produkt kaufen oder nicht. Das fehlt bei Kaugummi und anderen Produkten. Man kann schwierig zwischen gut und nachhaltig entscheiden, wenn die Unternehmen verschweigen, was abgeht.