Die ganze Woche über filtert unsere Redaktion Themen, Trends und Phänomene. Immer sonntags stellen wir hier in der Leseliste Artikel zusammen, die uns positiv aufgefallen sind. Twitter aus, Leselampe an!
##Online gleich Offline und zurück
Einst war das Internet ein Sammelbecken voll Alter Egos. Dank Avatar konnte man der sein, der man wollte: aynonym und völlig losgelöst vom Real Life, wie der Zocker zu sagen pflegt. Doch die Zeiten haben sich dramatisch verändert. Profile im Internet, der zugehörige Output und die damit verknüpften Daten werden Teil unseres eigens konstruierten Selbst. Das ist weder Dystopie noch Utopie, nur banale Realität. Joachim Hentschel hat das für die deutsche Ausgabe der WIRED analysiert und fragt ganz treffend:
„Ersetzen wir Descartes’ «Ich denke, also bin ich» durch «Ich googelte und fand mich?“
##Essen am Ende
Essen ist ein Zeitkiller. Schon das Sandwich – Brot mit Fleisch dazwischen – ist angeblich entstanden, weil der gleichnamige Lord nicht vom Kartenspiel ablassen wollte, um seinen Braten zu Tisch zu sich zu nehmen. Auch Rob Rhinehart und seine beiden rund um die Uhr arbeitenden Start-Up-Mitstreiter nervte der Zeitverlust bei der genussbefreiten Aufnahme von Tiefkühl- und Junk Food plus Vitamintabletten ging. Er entwickelte Soylent, benannt nach den lebenserhaltenden Waffeln aus dem Endzeit-Klassiker „Soylent Green“: ein Mix mit Eiweiß aus Reis, Fett aus Rapsöl, Kohlenhydrate aus Maltodextrin und Hafermehl, Omega-3-Fettsäuren, Vitamine, Mineralien, und das Ganze weitgehend geschmacklos. Das Konzept von Soylent ist der radikale Gegenentwurf zur ökologischen Food-Renaissance, und das mitten im grünen Kalifornien. Lizzie Widdicombe hat für The New Yorker die Gründer besucht und probiert. Der Artikel ist jetzt deutschsprachig bei Effilee erschienen.
„Der Studentenkühlschrank der Zukunft enthält Miller Lite und einen Krug voll Soylent.“
##Bilderterror
Die propagandistischen Hinrichtungsbilder des so genannten „Islamischen Staats“ schockieren. So sehr, dass man nicht hingucken (lassen) mag. Die Bilder werden in offiziellen Medien weitgehend tabuisiert. Doch sie stehen nicht außerhalb oder konträr zu jeglicher Bildlogik, wie wir sie bisher erlebt haben – ebenso wenig, wie der pseudoreligiös begründete Terror, den sie ikonisieren, außerhalb der Kriegslogik steht, wie wir sie bisher erlebt haben. Man verstehe den Terror nicht, wenn man ihn als Widerpart des globalen Marktgeschehens sehe, er sei Teil davon, ebenso wie seine Bilderfabrikation Teil der Mediengeschichte sei, so Georg Seeßlen in seinem klugen Essay über die „Bilderfalle“, in der wir stecken.
„Kind fällt mit Plastikbadewanne um. Gelächter. Klick. Frau wird auf offener Straße von Scharfschützen erschossen. Klick.“
##William Gibson
Übermorgen erscheint „The Peripheral“, der neue Roman des Cyberpunk-Erfinders William Gibson. Nach mehreren Büchern über eine dystopische, und deshalb umso realere Gegenwart, spielt die neue Geschichte wieder in der Zukunft. Nicht dass das irgendeinen Unterschied machen würde, heute, 2014. Zach Baron hat den Autor für GQ zu Hause besucht, um mit ihm über genau diesen Widerspruch zu sprechen. Heute, morgen, Gegenwart, Zukunft: zwei Zeitachsen, die genauso verwaschen ineinanderlaufen, wie die graue Farbe des Himmels, die der eines schlafenden Fernsehsenders ähnelt. Es läuft nicht gut mit der Zukunft. Äh, Gegenwart. Der Welt.
„Der Tenor von Gibsons neuem Buch? Richten wir uns darauf ein, dass wir gefickt sind.“