„DJane sollte man aus dem Vokabular streichen“Clara Moto über Sexismus und Nachholbedarf in der elektronischen Musikszene
25.9.2015 • Kultur – Interview: Ji-Hun Kim, Foto: Susann MassuteDie aus Graz stammende und heute in Berlin lebende Musikerin, Produzentin und DJ Clara Moto releaste ihre erste EP 2007. Internationale Aufmerksamkeit, und das nicht nur bei House-Liebhabern, erlangte sie vor allem durch ihre beiden Alben „Polyamour“ und „Blue Distance“, die auf dem französischen Label Infiné erschienen sind. An diesem Wochenende spielt Clara auf dem Perspectives-Festival in Berlin, das von dem seit Jahren aktiven Netzwerk Female Pressure organisiert wird. Denn obwohl wir das Jahr 2015 schreiben, spielen Sexismus und falsch verstandener Feminismus immer noch eine wesentliche Rolle in der elektronischen Musikszene. Kein einfaches, ein brisantes Thema. Es wird Zeit, darüber zu sprechen.
Gibt es eine Künstlerin, die du bewunderst?
Björk fand ich schon immer toll. Kürzlich habe ich sie in Berlin gesehen und es war umwerfend. Von Björk war auch die erste CD, die ich von meinem Taschengeld gekauft habe. War es „Homogenic’“ oder „Debut“? Eines der beiden. Sie hat mich auf jeden Fall lange Zeit begleitet. Über sie gab es kürzlich doch auch eine Debatte. Es gab Leute, die haben moniert, dass sie immer mit männlichen Produzenten arbeite und angeblich doch nichts in der Hinsicht abliefern würde. Man stellt sich das ja immer so vor, als säße ein Typ am Mischpult, der alles alleine macht und die Sängerin darf ein bisschen dazu singen. Die Macherinnen von Female Pressure haben darauf einen Tumblr gestartet, das Fotos von Frauen in Studios in aller Welt zeigt. Das war eine gute Initiative, die veranschaulicht, dass es sehr wohl Frauen gibt, die selbst produzieren und eigenständig Musik machen.
Das Klischee von Frauen, die keinen Plan von Technik haben und nicht in der Lage sind, Musik zu produzieren – hast du damit selber Erfahrungen gemacht?
Gerade bei Björk, die ja wirklich eine große Künstlerin ist, finde ich die Vorwürfe schon schwach. Ich arbeite ja auch alleine im Studio, kaufe gerne Synthesizer und andere Geräte. Ich bin sehr an Musiktechnik interessiert und finde es toll, dass es in Berlin viele Meet-ups, Workshops und Weiterbildungsmöglichkeiten in dem Bereich gibt. Native oder Ableton veranstalten ja auch viel in der Richtung. Da bin ich gerne dabei.
Wo aber auch ein Großteil Männer sein dürften.
Auf jeden Fall. Je spezifischer die Themen werden, desto männerlastiger sind die Events.
Wie wirst du in solchen Runden wahrgenommen?
Es ist schwierig, einen Zugang zu den Leuten zu finden. Je nerdiger die Themen werden, umso komplizierter ist die Kommunikation in solchen Runden. Sie wirken schon sehr geschlossen. Ich unterstelle gar keine Absicht, das sind eher Dynamiken, die sich aber regelmäßig zeigen.
Was sind deine Lieblings-Geräte?
Mein Lieblings-Synthesizer ist auf jeden Fall der DX-7. Den habe ich ganz lange, den hat mein Vater mir gekauft, als ich fünf Jahre alt war. Ich finde es aber noch immer schwierig, den richtig zu programmieren. Der hat seine Tücken. Aber man tüftelt herum und irgendwann kommt was Lustiges heraus. Das geht immer. Ich habe von einer neuen Software gehört, mit der man Presets einfacher auf einem DX-7 speichern kann. Das wollte ich mir demnächst anschauen und ausprobieren.
Und dann saß die fünfjährige Clara im Kinderzimmer und hat Riffs von Van Halen nachgespielt?
So in etwa. Mit meinem Bruder habe ich viele Hörspiele aufgenommen. Es gibt ja auch viele Geräusche, die man mit so einem Ding spielen kann. Parallel habe ich aber auch Klavierstunden bekommen.
Wie bist du zur elektronischen Musik gekommen?
In den 90ern habe ich noch viel HipHop gehört. Zur elektronischen Musik bin ich über Freunde gekommen. Ich habe in Grazer WGs gewohnt, zu der Zeit mit dem Auflegen angefangen und dann begann ich zu produzieren. Später habe ich in Graz erste Workshops für Mädchen und Frauen veranstaltet, in denen es ums Musikmachen ging. Da gab es ein großes Interesse und weil ich schon ein bisschen früher damit angefangen hatte, habe ich meine Erfahrungen geteilt: Wie funktioniert Ableton? Wie funktioniert ein Track? Welche Schritte sind wichtig?
Erzähl mir mehr von deinen Workshops. Was waren deine Erfahrungen?
Wenn du Runden hast, in denen hauptsächlich Frauen sind, ist die Hemmschwelle niedriger, auch mal öfter nachzufragen, Dinge intensiver auszuprobieren. Ich habe es selbst gemerkt, dass man in einer Männerrunde unsicherer ist und nicht bei jeder Sache nachhakt und Fragen stellt.
Wie war es für dich in Plattenläden zu gehen? Ich kenne Geschichten von Freundinnen, die seit vielen Jahren auflegen und sagen: „Ich bin so froh, dass es heute Beatport und Traktor gibt. Dann muss ich nicht mehr in Plattenläden und mich von männlichen Plattenhändlern runtermachen lassen.“
In Graz haben wir halt viel bei Kompakt und Co. online bestellt, daher kann ich dazu gar nicht so viel sagen (lacht). In Wien war man dann mal in einem Laden, aber eher selten. Wenn ich heute aber ins Hardwax gehe, glaube ich, dass die Kundschaft durchaus gemischt ist. Da haben sich die Verhältnisse geändert. Hoffentlich.
Bei Festivals wie Perspectives spielen ja ausschließlich Frauen. Kritiker merken immer wieder an, dass das ja bereits problematisch sei, dass man durch solche Entweder-Oder-Sachen den Diskurs auch nicht weiter bringt. Was denkst du dazu?
Ich denke, allein dass es solche Festivals gibt, ist Zeichen genug, dass es so etwas braucht. Ich schaue mir viele Line-ups aus dieser Perspektive an. Da gibt es immer nur eine Frau oder vielleicht zwei, die an einem Clubabend auflegen. Wenn überhaupt. Ich frage mich immer, warum das so ist. Es gibt doch so viele Frauen, die das machen. Ich finde es gut, wenn Female Pressure mit so etwas für eine Sensibilisierung sorgt. Natürlich wäre es schön, wenn man keine Unterscheidungen mehr machte zwischen Frauen-Festivals und anderen. Aber es ist weiterhin notwendig. Es geht nicht anders. Es wäre schön, nicht darüber sprechen zu müssen. Guck dir die Resident-Advisor-Jahrescharts an. Da gab es letztes Jahr in den Top 30 keine einzige Frau unter den besten DJs. Bei den Live-Acts gibt es keine einzige Frau in der Liste. Das ist die letzten Jahre alles sogar noch schlimmer geworden. Und anscheinend machen bei diesen Umfragen schon ein paar Leute mit. Das zeigt ja, wie die Wahrnehmung und die Realität da draußen aussieht.
Mir ist im Kontext von Events wie jenen von Female Pressure aufgefallen, dass die bekannteren Protagonistinnen wie Ellen Allien, Magda oder Anja Schneider dort nicht stattfinden. Da würde man sich doch wünschen, dass da ein bisschen mehr kooperiert wird.
Ich glaube ja, dass viele sich nicht positionieren wollen, auch weil die Angst besteht, sich in der Szene unbeliebt zu machen. Bei dem Thema Frauen oder Feminismus verdrehen die allermeisten schon die Augen, bevor man einen Satz dazu gesagt hat. Da ist es bestimmt einfacher, sich unpolitisch zu geben und keine konkrete Stellung zu beziehen. Es ist immer bequemer, wenn man versucht, nicht anzuecken.
Wenn man das so hört, dann will man sich die Zukunft gar nicht ausmalen.
Unsere Szene ist ja ein Mikrokosmos und klar repräsentiert das auch ein Weltbild, das da draußen stattfindet. Es gibt ja durchaus Ansätze in die richtige Richtung. Vor 20 Jahren wurde man von Tontechnikern noch angebrüllt, wenn man als Frau nur in die Nähe eines DJ-Mischpults gekommen ist. Mit sowas haben Künstlerinnen wie Electric Indigo öfter zu tun gehabt als ich heute. Aber das heißt nicht, dass es keinen Sexismus mehr gibt. Es wird ja noch komplizierter, weil sehr viele behaupten, man habe es als Mädchen doch so viel leichter als DJ Erfolg zu haben. Das höre ich sehr oft.
„Quoten wären meiner Meinung nach ein sinnvolles Mittel. Gerade bei Festivals, die durch Förderung oder Kulturfonds finanziert werden – vor allem da sollte auf eine bessere Verteilung geachtet werden. Ich würde gerne auf jedem Festival ein mindestens zu 50 Prozent weibliches Line-up sehen. Und ich sehe wirklich keinen einzigen Grund, wieso das nicht umsetzbar sein sollte.“
Warum? Also aus der Sicht derjenigen, die das behaupten?
Es heißt: Es gibt ja nicht so viele von euch. Da ist die Aufmerksamkeit gleich vorprogrammiert.
In Wirklichkeit ist es aber wie?
Ich kann da nur von mir sprechen. Es kann schon sein, dass man als vermeintlicher Exot zu Beginn mehr Aufmerksamkeit bekommt. Aber langfristig ist es definitiv schwieriger, sich da oben durchzusetzen. Siehe die DJ-Polls, aber auch die Gehälter spielen da bestimmt eine Rolle. Das ist weiterhin ein Tabuthema, darüber wird wenig öffentlich gesprochen. Es wäre mal interessant aufzuschlüsseln, was die Top-DJs der Männer und die Top-DJs der Frauen so verdienen und die Zahlen zu vergleichen. Ich wette, dass Frauen eindeutig weniger verdienen.
Angenommen, du wärst Techno-Präsidentin. Was würdest du tun?
Quoten wären meiner Meinung nach schon ein sinnvolles Mittel. Gerade bei Festivals, die durch Förderung oder Kulturfonds finanziert werden – vor allem da sollte auf eine bessere Verteilung geachtet werden. Ich würde gerne auf jedem Festival ein mindestens zu 50 Prozent weibliches Line-up sehen. Und ich sehe wirklich keinen einzigen Grund, wieso das nicht umsetzbar sein sollte.
Es mag daran liegen, dass wahrscheinlich ein Großteil der Club-Besitzer, Festival-Betreiber, Booker und alle anderen in den entscheidenden Positionen männlich sind.
Bestimmt. Aber es gibt durchaus Ansätze für Diskurse. Ich finde es gut, dass man wie hier darüber spricht. In den Medien müsste mehr darüber gesprochen werden, man müsste weiter für das Thema sensibilisieren, Künstlerinnen mehr und besser fördern.
Sind bekanntere DJs wie Maya Jane Coles oder Nina Kraviz Ausnahmen?
Klar. Mindestens genauso schlimm ist, dass das Aussehen eine so wichtige Rolle spielt. Gerade Nina Kraviz, über sie wird in Foren immer wieder nur übers Aussehen gesprochen. Da vergeht einem echt die Freude.
„Etwas, das ich oft zu hören bekomme ist: „Du bist meine Lieblings-DJane" oder „Du bist meine liebste weibliche DJ“, so als wäre Frau-sein ein eigenes Subgenre.“
Wann hat man das letzte Mal DJane zu dir gesagt?
Ach, das passiert immer noch oft. Eigentlich finde ich es ja gut, wenn man Ärztin und Arzt sagt oder Anwältin und Anwalt. Aber DJane ist ein wirklich schwieriger Begriff. Den sollte man aus dem Vokabular streichen. Es ist auch ein so unbeholfener Ausdruck.
Ich mag den Begriff auch überhaupt nicht.
Etwas, das ich oft zu hören bekomme ist: „Du bist meine Lieblings-DJane“ oder „Du bist meine liebste weibliche DJ“, als wäre Frau-sein ein eigenes Subgenre. Da wird dann abgestuft, weil all die, die das sagen, haben natürlich auch einen männlichen Lieblings-DJ. Das mit dem Lieblingsfrauen-DJ, das kriege ich sehr häufig zu hören. Damit tue ich mich schwer: Es ist natürlich nett gemeint, aber zeigt, wie männlich dominiert die Wahrnehmung noch immer ist. Ein anderes Phänomen ist mir auch noch aufgefallen, vor allem in Frankreich. Da werde ich regelmäßig aufgefordert: „Jetzt lach doch mal!“ oder Menschen positionieren sich vors Pult, gucken mich an und ziehen ihre Mundwinkel mit den Fingern hoch. Das ist regelmäßig der Fall und ich weiß nicht, ob es je einem Mann passiert ist, der hinter dem DJ-Pult steht. Das finde ich wirklich schrecklich. Dabei konzentriert man sich doch nur und will seine Arbeit möglichst gut machen.
Das ist krass.
Viele Frauen sagen ja, dass sie durch ihre Musik und nicht durch ihr Frau-sein im Vordergrund stehen möchten. Ich kann nur sagen, das wäre schön. Aber die Realität sieht anders aus und wie soll das funktionieren?
Wusstest du, was dich erwartet, als du mit dem Musikmachen angefangen hast?
Ich will es mal so sagen: Als ich jünger war und studiert habe, habe ich parallel in Bars gearbeitet. Dort ist der Sexismus um einiges schlimmer als hinterm DJ-Pult. Da hat man als DJ eine definitiv bessere Situation. Aber es zeigt ja, dass es noch immer ein gesellschaftliches Problem ist, das nicht nur die Musikszene betrifft, sondern in anderen Lebensbereichen noch viel verwurzelter ist.
Glaubst du, es fehlt da an Bewegungen? Kann man sich eine Art Riot Grrrls im House- oder Techno-Konzept vorstellen? Sollte man radikaler und auch politischer auftreten als bislang?
Das fände ich super. Aber wie erwähnt: Ich würde mir wünschen, dass sich die wirklich berühmten Künstlerinnen und DJs positionieren, engagieren und einsetzen.
Das passiert weiterhin zu wenig.
Leider ja. Ich habe auch bis jetzt kaum weibliche Club-Betreiber und Festival-Leiter getroffen. Wenn sich das änderte, würde vielleicht auch eine andere Basis geschaffen. Ich wünsche mir auch, dass Frauen häufiger gemeinsam ins Studio gehen, zusammen Tracks und Projekte machen, sich besser austauschen und vernetzen. Es gab doch mal die von Native Instruments initiierte Boyband „Mostly Robot“ mit Jamie Lidell, Tim Exile und weiteren. Wieso macht man das nicht mal mit Frauen? Wo liegt das Problem? Ich habe ja auch das Gefühl, dass man als Frau von Männern seltener für Projekte angefragt wird. Das ist mir sehr selten passiert und wenn, dann haben sich die Situationen im Studio immer ein bisschen seltsam angefühlt. Jungs machen ja irgendwie immer etwas zusammen, Kollaboration hier, gemeinsam Jamsession und Auftritte da. Stärkere Netzwerke und ein besserer Austausch unter Frauen, das könnte einen positiven Effekt haben.