„Erst erzogen mich meine Eltern, dann das Nachtdigital“Wie mache ich ein Festival? – Ein Interview
10.8.2014 • Kultur – Interview: Ji-Hun Kim, Bilder: Susann MassuteEs gibt Festivals und es gibt Festivals. Es gibt welche, da geht es um schnelle Bespaßung, ums Große und vor allem ums Geld. Und es gibt Veranstaltungen wie das Nachtdigital.
Das Nachtdigital folgte von Beginn an seinen eigenen Gesetzen. Als eintägiges Open Air gestartet, hat es sich in den vergangenen 17 Jahren zu einer Institution der elektronischen Musikwochenenden etabliert. Gründe hierfür sind neben dem Schauplatz (ein Schullandheim mit kleinem See in Olganitz), die überschaubare Größe von 3.000 Besuchern, die ausgeflippt-familiäre Atmosphäre und die ausgewählten DJs und Liveacts. Seit vielen Jahren ist der Leipziger DJ Steffen Bennemann für die musikalische Programmierung verantwortlich. Wir trafen ihn kurz nach seinem Set am Festivalsamstag um 11:30. Steffen trägt Sonnenbrille. Sowohl er wie auch der Reporter haben nicht viel geschlafen. Eine gute Ausgangsposition.
Seit wann bist du beim Nachtdigital dabei und was kannst du uns zu der Geschichte des Festivals erzählen?
Alles ging vor 17 Jahren los und das Ganze war damals noch ein eintägiges Open Air. Das war Ende der 90er und ursprünglich für Leute aus der Region gedacht. Ich war jung. Das erste Mal richtig auf einem Rave. Ich bin seit dem vierten Nachtdigital dabei. Ab dem neunten Mal wurde es zu einem richtigen Festival: mit zwei Bühnen, Camping und über das Wochenende. Zu Beginn gab es einige schlechte Jahre mit miesem Wetter. Da musste draufgezahlt werden und jedes Jahr wurde diskutiert, ob man überhaupt weitermachen kann. Irgendwann musste Leo, einer der Hauptorganisatoren, einen Kredit von 10.000 Euro aufnehmen, um das Festival zu retten. Komischerweise ab genau dem Zeitpunkt hat das Nachtdigital funktioniert. Ich glaube, ab dem zehnten war es das erste Mal ausverkauft und in den letzten Jahren hat sich das Nachtdigital noch mal steil entwickelt.
Wie beschreibst du das ND im Vergleich zu anderen Festivals?
Es gibt zwei Unterschiede. Zum einen haben wir die limitierte Größe von 3.000 Leuten und zum anderen organisiert das Festival keine professionelle Firma. Es gibt keine Event GmbH oder so was. Wir sind ein riesengroßer Freundeskreis, der sich für diese Sache einmal im Jahr zusammenfindet. Die wenigsten haben irgendwas mit Veranstaltungen zu tun und sind beruflich ganz anders unterwegs. Man sieht das als eine Art Hobby. Oder auch Ausgleich (lacht).
Ich stelle es mir schwierig vor, ein Festival als Hobby zu betreiben.
Ich hab oft gesagt: Wenn wir das Festival nicht hätten, dann würden wir uns alle nicht mehr kennen. Das Team hat sich im Laufe der Jahre unterschiedlich entwickelt: Viele ziehen weg, kriegen Kinder, haben feste Jobs. Man würde sich sonst vielleicht nur noch zufällig über den Weg laufen. Das Festival hält uns alle zusammen. Das ist ein Riesenunterschied im Vergleich zu anderen Veranstaltungen dieser Art. Wir machen das ND natürlich auch für die Leute, aber ganz ehrlich: Zum größten Teil machen wir das für uns selber. Vielleicht hätten wir sonst ein langweiliges Leben (lacht).
Wie viele Leute sind involviert?
Ein kleinerer Kern arbeitet über das ganze Jahr daran. Es ist aber schwierig zu beziffern, wie viele das genau sind. Dieses Jahr haben wir 200 Helfer.
Irgendwann wird man aber professioneller und muss profitabel denken, oder nicht?
In der Tat wurde es unabsichtlich professioneller. Wir wurden aber nicht professioneller, weil wir Aufträge von BMW bekommen, sondern weil wir ein besseres Festival haben wollten. Oder anders, keiner verdient Geld mit diesem Event. Bei keinem ist das Festival so etwas wie ein Hauptjob, mit dem er sein Lebensunterhalt bestreiten muss. Heißt, wir haben eine moralische, aber keine finanzielle Verpflichtung der Sache gegenüber.
Du bist für das musikalische Programm des Festivals verantwortlich. Wie sieht deine Arbeit genau aus?
Als ich angefangen habe, durfte ich die Webseite bauen. Irgendwann habe ich die Pressearbeit übernommen und ein bisschen aufgelegt. Ich wollte mich aber bei der Sache mehr engagieren. Leo und Michel, die von Anfang an dabei sind, haben zu der Zeit noch das Booking gemacht. Mit der Zeit haben sich aber die Kompetenzen herauskristallisiert. Beim Leo laufen quasi alle Drähte zusammen. Die Buchhaltung macht er auch deshalb, weil er sehr gewissenhaft ist und ein Händchen dafür hat. Michel arbeitet bei einem Technikladen, also lag es nahe, dass er den technischen Bereich verantwortet. Wir haben früher alle aufgelegt. Leider bin nur noch ich nur als DJ übrig geblieben, spiel die Wochenenden in Clubs, informiere mich über neue Musik. So ist das allmählich mein Bereich geworden. Wir haben dennoch größere Booking-Runden, wo alle ihre Vorschläge machen. Dabei musste ich eine Menge lernen. Wäre es nach mir gegangen, wäre das Festival experimenteller und verkopfter geworden.
Die anderen mussten mir einige Male nahelegen, dass es bei einem Festival auch um die Party geht. Es soll Spaß machen und kein Vortrag an der Uni sein.
Was lernt man im Laufe eines Festivals?
Im Bereich Booking selber nicht so viel. Man telefoniert mit Agenten, dabei lernt man natürlich, was man sagen muss, damit die Leute anfangen sich für die Sache zu interessieren. Viel interessanter ist aber, dass man sozial unglaublich viel lernt. Gerade wenn man eine so heterogene Gruppe ist. Ich habe immer gesagt: Ich hatte zuerst die Erziehung meiner Eltern und meiner Familie und danach kam die Erziehung durchs Nachtdigital. Man wird ein anderer Mensch, wenn man viele Jahre mitmacht. Da braucht es manchmal ein bisschen, um Dinge zu kapieren. Wie zum Beispiel, dass Techno nicht dumm sein muss (lacht).
Mittlerweile ist das Nachtdigital aber ein Selbstläufer.
Finanziell vielleicht. Die Karten verkaufen sich mittlerweile schnell. Aber das Interessante ist, dass wir uns jedes Jahr neue Projekte aufhalsen, bei denen alle wieder dazulernen müssen. Dieses Jahr machen wir zum ersten Mal das Catering selbst. In den vergangenen Jahren wurde die Kritik am Essen immer lauter. Also fragten wir uns: Wieso machen wir es nicht selbst? So können wir Qualität, Preise und das Angebot kontrollieren. Aber dann bist du plötzlich Großgastronom. Das hat von uns zuvor noch nie jemand gemacht. Klar, dass bei so was auch mal Quatsch passiert. Das Schwierigste ist nicht nur das Level zu halten, man will es jedes Jahr eigentlich besser machen.
Gibt es viele Grundsatzdiskussionen, wenn man so organisiert ist?
Ab und zu. Alle paar Jahre gibt es die ganz große Diskussion. Wenn es um Ticketpreise geht oder auch wie viele Tage das Festival dauern soll. Es könnten ja auch zwei oder fünf Tage sein.
Es geht dabei nicht um die Größe des Festivals?
Irgendwann haben wir mal gesagt: Wir beschränken das Kontingent der Tickets auf 3.000, um den Verkauf ein bisschen anzukurbeln. Wir sind zu dem Zeitpunkt aber nie davon ausgegangen, dass man je mehr als 3.000 verkaufen könnte. Wir saßen in der Falle und kamen aus der Masche irgendwie nicht mehr raus. Es ist Fluch und Segen zugleich. Man könnte es größer machen, man sieht ja auch den Bedarf da draußen. Aber jeder, der hier hinkommt, weiß, es sind 3.000 Leute hier. Es ist eine Art Markenzeichen geworden.
Da sehen wir uns eher in der Tradition von Festivals wie dem Freerotation, dass man sagt: Wir wachsen nicht. Es geht nicht und wir wollen es nicht.
Seit wann arbeitet ihr mit Sponsoren zusammen?
Eigentlich von Anfang an. Bereits beim ersten Mal war z.B. das Erlebnisbad „Platsch“ in Oschatz, das kurz zuvor eröffnet hat, als Sponsor dabei. Es ging von Beginn an auch darum, in dieser Gegend gemeinsam Aufbauarbeit zu leisten. Mit einigen Partnern arbeiten wir seit vielen Jahren zusammen. Uns geht es weniger um Profit als um Realisation von Ideen. So sehen viele Deals auch so aus, dass der Kunde fragt, ob wir ein interessantes Projekt hätten, welches sie finanzieren könnten. Vor einigen Jahren haben wir so bspw. eine Insel in den See gebaut. Ich kann besser mit solchen Kooperationen leben, statt einfach nur die Hand aufzuhalten und Bargeld entgegenzunehmen.
Ich sehe das überhaupt nicht als Vorwurf.
Wir haben viele Sponsoren massiv erzogen. Wir lassen zu, dass ein paar Schirme am Strand aufgestellt werden. Es ist aber kontraproduktiv, wenn ein riesiges Banner von der Bühne hängt. Das haben viele am Anfang nicht verstanden. Lieber gestalten wir selber mit befreundeten Künstlern ein Banner und integrieren die Logos. Da haben alle mehr von.
Das Nachtdigital ist mittlerweile selber zur Marke geworden. Es gibt einen Film, Merchandising, ein Plattenlabel …
Bei solchen Dingen ärgert es mich manchmal, dass wir das alle nur nebenbei machen. Ich glaube, dass wir viel mehr aus der Sache machen könnten. Aber vielleicht macht es das auch wieder so schön. Jetzt anzufangen, zehn Releases im Jahr zu produzieren, ist unmöglich. Man will ja Bock auf etwas haben und nicht nur irgendwas verkaufen.
Was sind die Pläne?
Auf jeden Fall bis zum Nachtdigital 20 weitermachen. Alex Neuschulz hat mit Manamana glaub ich beim ND 14 gespielt und ein Cap mit ND 19 getragen. Das hat er mit Tape einfach drauf geklebt. Damals mussten wir alle lachen, da die wenigsten davon ausgegangen sind, dass es überhaupt so lange weitergeht. Aber jetzt feiern wir schon die 17 und 19 ist gar nicht mehr weit weg. So lange es Leute gibt, die das mitmachen, machen wir weiter.
Und wenn eine große Agentur anklopft und das Festival übernehmen will?
Wir haben schon Angebote gehabt. Seltsamerweise auch zu der Zeit, als es dem Festival finanziell nicht so gut ging. Die Sache ist, keiner weiß so reicht, wie viel das alles wert ist. Auch weil sich niemand die Mühe macht, das herauszufinden (lacht).
Was sind die großen Momente des Nachtdigital gewesen?
Musikalisch gesehen gab es einige Momente, die viel verändert haben. 2004/2005 hat Magda hier gespielt und das war für viele eine Erleuchtung. Wie geil Minimal auf einmal war. Es war irgendwie unfassbar. Keiner hat verstanden, was die Frau da macht oder besser nicht gemacht hat (lacht). 2007 hat James Holden hier gespielt, das war ein einschneidender Moment als er für André Galuzzi eingesprungen ist. Vor zwei Jahren hat Erobique gespielt, das war ein krasses Erlebnis. Die Wighnomy Brothers waren schon immer wichtig für das Nachtdigital. Gabor (Robag Wruhme) spielt immer noch fast jedes Jahr. Auch als Manamana dazu kamen, haben sie viel beeinflusst. Wir kannten uns vorher ja gar nicht so gut. Aber irgendwann dachten wir, die sind jetzt mal dran. Auch weil die in Leipzig so viele gute Gigs gespielt haben. Seitdem sind sie jedes Jahr dabei.
Seit einiger Zeit darf bei euch auch Lambada und ABBA gespielt werden.
Eben das mussten wir lernen: Dass man sich nicht so ernst nehmen darf.