„Benutze dein Gehirn, dein Equipment wird folgen“Die Warp-Legende Clark im Interview

Clark Press Pic Tim Saccenti 2017

Foto: Tim Saccenti

Seit über 18 Jahren veröffentlicht Chris Clark bei Warp Records Musik und ist längst zu einer der Ikonen der britischen Elektronik-Szene geworden. Im Dunstkreis des IDM angefangen, kommt von Clark mittlerweile auch mal die große Rave-Geste – emotional, brachial und verzerrt darf es sein. Der Brite macht aber nicht nur Musik für Clubs und Festivals, sondern auch Filmmusik und Klänge für zeitgenössischen Tanz. Raoul Kranz traf den Künstler vor einiger Zeit in Berlin. Ein Gespräch über Gegensätze beim Produzieren, Mut beim Performen, Rock'n'Roll und seine letzte Platte „Death Peak“.

Deine Liveshow „Death Peak“ ist ein intensiver Rave-Workout, du hast damit unter anderem das Berliner Funkhaus abgerissen. Wie performst du genau? Du benutzt Ableton Live und Hardware?
Es handelt sich um eine Art Frankenstein-Monster-Version der Album-Tracks. Ich programmiere Einiges an Synthesizern live. Dafür habe ich ein paar kleine Kisten bei mir: zum Beispiel die Drummaschine Elektron Rhythm und diverse Effektpedale. Die improvisierten Teile machen mir auf der Bühne am meisten Spaß. Am Ende geht es darum, sich die ganze Zeit zu beschäftigen. Ich werde tatsächlich nervöser, wenn ich weniger mache. Es ist komisch. Der Traum von mir wäre, einen wirklich erstaunlichen Track direkt vor tausend Leuten zu machen – und dass es funktioniert. Manchmal funktioniert so eine Improvisation nicht. Man fühlt das irgendwie, und dennoch lassen sich die Leute oft darauf ein. Obwohl oder vielleicht auch gerade weil man ein Risiko eingeht, sich fast ein bisschen blamiert.

Vor Jahren habe ich dich im alten Festsaal Kreuzberg in Berlin gesehen, am Ende ist dein Laptop abgestürzt und du hast einfach an den Maschinen weiter performt. Erinnerst du dich?
Oh ja, das war witzig, eine halbe Stunde lang nur eine Drummaschine zu haben. Ich denke, live kannst du dir mehr erlauben. Ich erinnere mich an die Liveshows 2009 zum 20-jährigen Jubiläum von Warp Records. Da habe ich 30 Minuten bevor das Taxi kam angefangen das Set vorzubereiten. Am Ende waren alle viel zu betrunken, um irgendwas zu merken. Aber natürlich war das nicht durchdacht und heute würde ich sowas auch nicht mehr machen.

„Marcel Dettmann nannte ich in Japan tagelang Thor. Ich weiß nicht, ob er das witzig fand. Ich fand es ziemlich witzig.“

Du arbeitest auch mit professionellen Tänzern, unter anderem mit der Choreografin Melanie Lane. Sie ist außerdem deine Ehefrau.
Ich habe ungefähr acht Scores für sie gemacht. Wir haben über die Jahre viel miteinander gearbeitet. Es fühlt sich sehr natürlich an, wie eine Weiterentwicklung eigentlich.

Hast du selber auch einen Background im Tanz?
Abgesehen davon nein. Das wäre ja was! Vielleicht sollten wir mal die Rollen tauschen. Das könnte dann die nächste Single werden (lacht). Aber es stimmt schon, dass Leute aus unserer Ecke eher seltsam und komisch über Tanz denken. Sie sind schlichtweg nicht damit vertraut. Aber am Ende machen wir doch Tanzmusik, was soll daran also komisch sein?

Es ist nicht, wie wenn du oder ich tanzen?
Es ist nicht wie „La La Land“.

In Berlin hast du viele Shows im Berghain gespielt, Marcel Dettmann hat einen Edit von deinem Track „Sodium Trimmers“ angefertigt. Also gibt es da eine Verbindung?
Durchaus. Ich erinnere mich an einen Gig mit Marcel Dettmann in Japan vor ungefähr drei Jahren. Er ist ein sehr netter Kerl. Ich nannte ihn die ganze Zeit Thor – wie der Donnergott aus den Kinofilmen. Keine Ahnung, ob er das witzig fand. Ich fand es ziemlich witzig.

Du bist über die Jahre auf ziemlich ausgedehnten Touren gewesen, unter anderem mit Nathan Fake, der auch schon einen Remix für dich gemacht hat.
Wir sind gute Freunde. Wir waren 2014 zusammen mit Jon Hopkins auf Tour. In einem Auto quer durch Amerika. Da lernt man sich ziemlich gut kennen. Sein Album „Providence“ ist so großartig. Er hat alles auf einem alten Synthesizer, dem Korg Prophecy, geschrieben. Eigentlich ein richtig schlechter Synth aus den 90ern. Aber ich mag diese Idee, ziemlich preiswerte Technologie zu benutzen.

Du benutzt alles mögliche, um Musik zu produzieren, Software und Hardware, erschwinglich bis teuer?
Wenn du keine Musik mit billigem Equipment machen kannst, solltest du überhaupt keine Musik machen. Das glaube ich wirklich. Benutze dein Gehirn zuerst, hoffentlich wird dein Equipment folgen.

Brauchst du besondere Momente zur Inspiration, um so emotionale und intensive Musik zu produzieren? Oder gehst du einfach eine Runde spazieren und dann kommen die Ideen?
Das mache ich tatsächlich. Ich habe kürzlich gelernt, wertzuschätzen, wie gut es ist, einfach einen richtig langen Spaziergang zu machen, aber sich immer noch darauf zu konzentrieren, was für Musik du schreiben willst. Ziemlich oft, es ist sonderbar, schaffst du mehr, wenn du einfach zwei Stunden spazieren gehst, als an einem ganzen Tag im Studio. Musik zu produzieren ist hauptsächlich eine unglamouröse Aufgabe. Um wirklich chaotisches Material zu machen, das dich befriedigt, brachst du tatsächlich Ordnung und Ruhe. Es ist komisch, aber ich brauche Stille, um gute Musik zu machen – und Routine. Ich brauche diese Struktur von Arbeitsethik.

Von deinen Rave-Mutationen über Indie-Electronica auf „Iradelphic“ zu Tanz- und Filmmusik scheint bei dir alles möglich. Was dürfen wir als nächstes erwarten? Clark goes Free Jazz – oder Punk?
Es wird wahrscheinlich kein Country und Western. Aber ansonsten weiß ich es nicht wirklich. Ich lasse mich viel von Rockmusik inspirieren und mag die Idee, elektronische Musik zu machen, aber eben mit einem anderen Satz von Einflüssen. My Bloody Valentine hat „Death Peak“ beeinflusst, ziemlich sogar. Aber auch Bands wie Shellac und Tortoise spielen eine große Rolle.

Wegen der großen Intensität dieser Musik?
Genau, neben Klangfarbe, Sättigung und Grunge-Ästhetik. Ich mag es, das mit einem digitalen Werkzeugkoffer und Synthesizern einzufangen. Auch die Band Suicide mag ich total. Ich habe mir nicht viel Tanzmusik angehört zu der Zeit, in der ich „Death Peak“ gemacht habe. Aber es ist im Wesentlichen Tanzmusik. Keine Ahnung, frag niemals Künstler nach ihren Einflüssen. Sie reden doch nur Mist (lacht).

Ich schätze, du könntest ein Genre erfinden wie Grunge Electronica?
Ich bin ein Fan von Verzerrung. Aber es muss kontrolliert sein. Wenn Leute an Verzerrung denken, denken sie an dieses unkontrollierbare, chaotische Ding. Bei mir ist das so: Wenn es ein kleines bisschen zu viel ist, macht es mich verrückt, aber wenn es zu wenig ist, macht es mich auch verrückt. Ich will alles unter Kontrolle haben. Es ist eine endlose Suche.

Wie ist es mit deiner neunten LP „Death Peak“ gelaufen?
Es war spaßig. Ich hatte ein freies Jahr in Australien und habe dort die erste Hälfte vom Album gemacht und dann die Bearbeitung in England mitten im Nirgendwo abgeschlossen.

Warum die Stimmen und Chöre in jedem Track auf „Death Peak“?
Das ist mir wirklich erst am Ende aufgefallen. Ich habe vorher schon mit Stimmen gearbeitet, aber dieses Mal hat es sich anders angefühlt. Am Ende der Abmischung merkte ich erst, wie viele Synthesizer und Stimmen zusammenliefen und ich konnte nicht mehr sagen, was Synth und was Stimme war. Das war ein sehr befriedigendes Gefühl. Ich möchte mich mit Musik selbst verwirren. Ich will absolut kontrolliert sein, aber auch an einen Punkt kommen, an dem ich selbst nicht weiß, wie es passiert ist. Wie ein Hund, der seinen Schwanz jagt.

Bedeuten dir Meinungen der Leute da draußen viel?
Es ist eine abstrakte Sache, die Meinung von jemanden zu berücksichtigen, den du niemals getroffen hast. Ich schreibe Musik für Freunde und Familie. Ziemlich oft denke ich, das ist ein Track für diese oder jene Person. Du musst annehmen, dass du für den intelligentesten, neugierigsten Zuhörer überhaupt schreibst, der genau wie du die ganzen Fehler bemerkt.

Du wurdest Anfang 20 von Warp Records unter Vertrag genommen und bist jetzt seit 18 Jahren Vollzeit-Musiker. Wie fühlt sich das an?
Ziemlich erstaunlich, dass das schon so lange läuft.

Fragst du dich manchmal, was du sonst gemacht hättest?
Nein, ich habe mir früh gedacht, dass es toll wäre, für den Rest meines Lebens einfach nur Musik zu machen. Manchmal fühlt sich das wie ein idealistischer Traum an.

Wie war es, als neuer Aphex Twin gehandelt zu werden?
Eine gute Herausforderung. Es war nie ausgesprochenes Ziel, diese Fußstapfen auszufüllen. Aber es gibt schlimmere Referenzen. Ziemlich schwer zu behaupten, dass „Selected Ambient Works“ nicht der Start von etwas ziemlich Fantastischem war. Für mich ist das ähnlich bedeutsam wie die Pixies.

Mix der Woche: A Love From Outer SpaceAndrew Weatherall und Sean Johnston zerlegen die Zürcher Zukunft

Ganz schön schauerlichFilmkritik: „3 Tage in Quiberon“ von Emily Atef