Fish and Nintendo-ChipsDer Beat-Virtuose Submerse im Interview
16.10.2017 • Sounds – Text: Ji-Hun KimDer Engländer Rob Orme aka Submerse ist einer der zur Zeit elegantesten und begnadetsten Beatmaker auf dem Planeten. Kürzlich erschien sein neues Album „Are You Anywhere“ auf dem Label Project: Mooncircle. Seit rund sieben Jahren lebt und arbeitet Submerse in der japanischen Hauptstadt Tokio. Ein Schritt, den er nie bereut hat. Denn neben Musik sind vor allem Games seine große Leidenschaft. Da ist man im Geburtsland von Super Mario, PlayStation und Final Fantasy natürlich bestens aufgehoben. Wir sprachen mit Rob über sein neues Album, warum Japan für ihn ein so spannender Ort ist, über Tokioter Beatschrauber-Szenen, den Brexit aus der Ferne und Heimweh mit Fish and Chips.
Das ist jetzt dein zweites Album auf Project: Mooncircle. Wobei du auch schon viele lange EPs releast hast, die wiederum fast Alben sind. Bisschen verwirrend.
Das mit dem zweiten Album stimmt. Dazu habe ich fünf EPs veröffentlicht.
Dann bleiben wir doch erstmal bei deinem neuen Album.
Meine letzte EP „Awake“ war vom Ansatz her sehr atmosphärisch und ambient. Danach habe ich erstmal Pause gemacht, mich mit anderen Dingen beschäftigt. Ich habe viel Musik der Achtziger gehört.
Zum Beispiel?
Viele japanische Sachen aus der Zeit. Folk, R’n’B aus den Neunzigern wie von Keith Sweat. Bei dem neuen Album wollte ich wieder vermehrt Sachen mit Grooves machen. Ich habe viel mit Tempi experimentiert. Bin ein bisschen zu meinen alten Sachen zurück gekehrt, die auch mal gerne ein bisschen gechillter waren. Diesmal gab es einen besonderen Fokus auf Basslines. Ich habe mich viel ihren Bewegungen und Dynamiken beschäftigt. Das dauerte in etwa neun Monate, bis es fertig war.
Wie würdest du die Entwicklung hin zu dem Album beschreiben?
Bei mir kamen einige Synths wie der Yamaha DX-5 und DX-7 dazu, was dazu geführt hat, dass ich noch nie so viele Keyboards gespielt habe wie auf diesen Aufnahmen. Ich habe weniger gesamplet als sonst, was einem mehr Freiheiten in Bezug auf Melodien und Harmonien gibt. Bei jedem Track gibt es eigentlich den DX-5, diverse Kontakt-Patches, Synths für Basslines. Ich wollte ein bisschen von der SP-404 weg, die ich bis dahin viel genutzt habe. Zu Beginn meiner Karriere habe ich mich intensiv damit auseinander gesetzt, wie man einen schmutzigen LoFi-Sound produzieren kann. Es ist ja eher so, dass man heute etwas Sauberes hat und dann künstlich akustischen Schmutz dazu produziert. Das war diesmal nicht ganz so ausgeprägt. Beim Mixing gab es weniger Kompression, weniger EQs, es gibt weniger Texturen im Hintergrund. Ich denke, dass es dadurch klarer geworden ist. Ich muss nicht mehr jeden verbleibenden Frequenzbereich mit weißem und rosa Rauschen zukleistern. Bei den neuen Sachen sind Drums, Keys, Bass und Lead eindeutiger positioniert.
Du bist in England aufgewachsen.
In der Nähe von Liverpool.
Und wie lange bist du jetzt schon in Japan?
Fast sieben Jahre.
Ich finde das beeindruckend. Ich kenne einige, die nach Japan auswandern wollten und nach wenigen Jahren frustriert zurück gekehrt sind, weil sie desaströs gescheitert sind. Wie hast du das gemacht?
Ich bin 2010 nach Japan mit einem einjährigen Arbeitsvisum gekommen, davor war ich schon mal für einen Monat hier. Ich wollte als Kind schon immer nach Japan. Das Essen, Videospiele und die Popkultur haben mich schon immer interessiert. In Liverpool war ich ein bisschen gelangweilt. Ich kannte alles, es war nie viel los. Also habe ich ein Work-and-Holiday-Visa beantragt und bin für ein Jahr hin. Am Ende des Jahres dachte ich, das ist doch noch immer zu kurz. So bin ich für ein paar Tage nach Korea und dann zurück nach Japan mit einem normalen Touristenvisum. Danach dachte ich immer noch, das ist zu kurz. Da wurde mir allmählich klar, dass ich bleiben will. Glücklicherweise konnte ich während dieser Zeit viele Beziehungen aufbauen, habe für einige Spielestudios und japanische Fernsehsender gearbeitet, habe für Sony und BMG Musikverträge ausgearbeitet – das mit meiner Musik zusammen hat mir früh eine solide Basis als Selbstständiger gegeben. Die guten Kontakte zu den Firmen ermöglichten mir im Land zu bleiben.
Du arbeitest immer noch für die Gaming-Industrie?
Ja. Da geht es viel um Vertragsarbeit. Aber es ist gut, bei den Leuten auf dem Schirm zu sein, die einen immer wieder mit Jobs versorgen.
Japanische Szenen gelten als relativ geschlossen, da kommt man als Außenstehender gar nicht so schnell rein. Wie ist es dir ergangen?
Ich weiß, was du meinst, und ein bisschen stimmt das auch. Als ich das allererste Mal nach Japan kam, hatte ich das Glück, ein paar Gigs spielen zu können. Dabei habe ich einige großartige Menschen kennen gelernt, die ebenfalls sehr dankbar waren, mich kennenzulernen. Als ich dann wieder zurückkam, habe ich diese Kontakte vertieft und mehr Leute getroffen. Ich habe jede Woche irgendwo in Tokio aufgelegt, war aktiv unterwegs, habe mit anderen Künstlern kollaboriert. Das hat enorm geholfen. So ist mein Netzwerk immer weiter gewachsen. Aber du hast recht. Generell ist die Kultur relativ isoliert. Aber wenn man einmal drin ist, dann lernt man umso schneller so gut wie jeden kennen. Künstler, die Installationen machen, Spieledesigner, Soundproducer und viele mehr.
Japanisch sprechen hilft dabei bestimmt auch. Wie gut ist dein Japanisch?
Ganz gut. Ich habe früh angefangen, Unterricht zu nehmen. Es könnte natürlich besser sein.
Wie haben deine Eltern und Freunde reagiert, als du meintest: Ich geh dann mal nach Japan.
Meine Eltern waren vielleicht nicht ganz so begeistert, weil Japan natürlich weit weg ist. Aber als sie merkten, dass ich es wirklich will, haben sie mich ziehen lassen und mich unterstützt. Einmal im Jahr kommen sie mich besuchen. Darüber bin ich sehr glücklich.
Es gibt diverse Kollaborationen auf deinem Album. Aber mir sind klanglich auch einige Referenzen aufgefallen, die vom Gaming kommen. SID-Chip-ähnliche Sounds und japanisch inspirierte Hooklines meine ich vernommen zu haben.
Musik von Videogames war das erste Musikgenre überhaupt, das ich wirklich geliebt habe. Ich bin mit Videospielen aufgewachsen, praktisch jeder Stil hat es damals in irgendeiner Form in Videospiele geschafft. Noch heute höre ich gerne Game-Soundtracks.
„Wenn in Tokio ein Mann mit rosa Kirby-T-Shirt durch die Straßen läuft, denkt jeder erstmal: Wow, ist das ein cooles Shirt. Ich kann mir gut einige Regionen in Europa vorstellen, wo so etwas weniger gut ankommen würde.“
Was zum Beispiel?
Klassiker wie Legend of Zelda, Final Fantasy. Aber auch die sinfonischeren Arrangements wie bei Dark Souls. In den letzten paar Jahren gab es einen Boom mit Indie-Games und es gibt da soundmäßig ein Retro-Revival. Heute können kleine Entwicklerteams Games auf Steam oder PSN veröffentlichen und da gibt es die Tendenz, dass viele Retro-Sounds mit Chiptunes wieder voll angesagt sind. Für einen Fan wie mich sind auch diese Sachen total spannend. Ich habe auch schon mit GameBoys und Chips Musik gemacht, das ist aber von dem, was ich sonst tue, Welten entfernt. Bei dem neuen Album habe ich ein paar Sounds mit dem Super-Nintendo-Chip gemacht. Das Schwierigste dabei war, das Grundgefühl von R’n’B, guten Beats und HipHop beizubehalten und dabei nicht wie ein Soundtrack von Super Mario zu klingen. Es war daher gar nicht so leicht, das zusammen zu kriegen. Wenn es geklappt hat, fand ich es aber ziemlich gut.
Die Gaming-Kultur ist in Japan eine ganz andere als in Europa. Wie würdest du die grundlegenden Unterschiede beschreiben?
Videospiele waren von Beginn an Teil der japanischen Kultur. Sony, Nintendo, Sega – all die großen Namen kommen von hier. Games und Gaming werden nicht stigmatisiert, man wird nicht als Nerd oder Geek abgestempelt. Einige Spieleserien sind kulturell so akzeptiert und populär: Das gibt es in Europa nicht. Als vor einigen Monaten das neue Dragon Quest herauskam, hat es jeder gespielt. Auch all jene, die sonst keine Videospiele spielen. Das ist derart in der Normalität verankert und so groß, dass du in jedem Supermarkt den Titelsong des Spiels hörst, das Thema ist in den Nachrichten, das ganze Merchandise vom Spielzeug bis hin zum Essen, das dir in Form der Game-Character serviert wird. Gehen in Europa Menschen Games so leidenschaftlich nach, sind sie gleich irgendwelche Außenseiter ohne soziales Leben.
Siehst du da Nachholbedarf im Westen?
Da gibt es schon mal ästhetische Grundunterschiede. Im Westen sind Videospiele auf junge Männer ausgerichtet und daher sind die Spiele auch sehr männlich. In Japan ist alles sehr viel heller, greller und bunter. Wenn in Tokio ein Mann mit rosa Kirby-T-Shirt durch die Straßen läuft, denkt jeder erstmal: Wow, ist das ein cooles Shirt. Ich kann mir gut einige Regionen in Europa vorstellen, wo so etwas weniger gut ankommen würde.
„Manchmal ist das Leben in Japan schon wie auf einem anderen Planeten.“
Was war die größte Herausforderung für dich in Japan ein Leben aufzubauen?
Anfangs habe ich mir viele Sorgen um die Etikette, Traditionen und Benimmregeln gemacht. Ich wollte so wenig Fehler wie möglich machen, musste aber feststellen, dass Tokio nicht viel anders als New York oder London ist. Natürlich gibt es eine andere Kultur, aber das Leben in Großstädten ähnelt sich dann doch. Die andere Sache ist, dass die Szene in Japan wirklich klein und überschaubar ist, wenn es um die Genres Beats und Elektronik geht. Das hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Es gibt in Japan bekannte Künstler, die bei Major-Labels wie Sony gesignt sind, aber auch nur in Japan eine Rolle spielen. Die Japaner sind generell schon sehr stolz auf ihr Land, ihre Kultur und Künstler. Den meisten geht es gar nicht so sehr darum, in den USA oder Europa bekannt zu sein. Manchmal ist das Leben hier schon wie auf einem anderen Planeten. Es erschließt sich aber sehr viel, sobald man die Sprache spricht.
Glaubst du, dass man die Szenen besser verknüpfen könnte? Du bist ursprünglich aus England, lebst in Tokio. Dein Label Project: Mooncircle sitzt in Berlin.
Ich finde das sehr wichtig. Vor allem der persönliche Austausch kann viel bringen und mir wurde in Japan viel Hilfe angeboten. In Japan gibt es so viele talentierte Produzenten. Die meisten sind aber ziemlich scheu, sprechen nicht so gut Englisch – aber sie alle hätten gerne mehr Verbindungen außerhalb Japans, und ich würde mir sehr wünschen, wenn sie die Möglichkeit bekämen, um die Welt zu reisen, zu touren und Kontakte zu anderen Szenen zu knüpfen. Da gibt es Raum, den man füllen kann. Es gibt aber auch die Wahrnehmung gerade im japanischen Underground, dass man es dann geschafft hat, wenn man etwas auf einem ausländischen Label veröffentlicht hat, egal wie klein es ist. Sie fühlen sich dann eher bestätigt, als wenn sie bei Sony etwas releasen. Die meisten wissen aber gar nicht, wie man so etwas macht. Die wenigsten schreiben aggressive E-Mails: Hey, das ist meine neue Musik, check das mal aus! Man kann sagen, dass viele hier eher reserviert sind. Ich glaube schon, dass man da mehr tun könnte, um die Szenen besser zu verbinden.
„Der Fisch in Japan ist viel besser. Aber wahrscheinlich braucht man gerade für gute Fish and Chips den billigen, schlechten Fisch aus England.“
Ich habe mit diversen japanischen Künstlern gesprochen und es entspricht auch meinem Eindruck, den ich von Städten wie Tokio bekommen habe. In Japan wird sehr viel Kultur aufgesogen. Es gibt die größten Buch- und Schallplattenläden und Videotheken, viel größer und umfangreicher als man es sich in London oder New York je vorstellen könnte. Es herrscht ein riesiges Wissen über westliche Popkultur, Jazz, Film etc., aber wie bei einem Staubsauger, der alles drumherum aufsaugt, lässt er nichts mehr heraus. Es bleibt quasi in Japan, beziehungsweise wird in eigene Kulturformen wie die Mangakultur oder J-Pop überführt.
Viele Anime, Manga und Games sind sehr japanspezifisch. Viele dieser Themen lassen sich auch gar nicht so leicht auf die westliche Kultur überführen. Einiges ändert sich aber, auch weil man in Japan allmählich merkt, dass es doch eine Wahrnehmung diesbezüglich gibt. Viele sind überrascht, wenn sie feststellen, wie groß das Interesse im Westen für Anime, Cosplay und Videospiele wirklich ist. Den Hype, den es in Japan um Spiele wie Dragon Quest gibt, kann man wohl am ehesten noch mit einem neuen Star-Wars-Film oder einem Herr-der-Ringe-Film vergleichen.
Wann gründest du nun dein eigenes Label für japanische Künstler? Arbeitest du in Zukunft weiter für Gaming-Projekte?
Gute Frage (lacht). Games würden mich weiterhin sehr interessieren. Ich spreche gerade mit diversen Indie-Entwicklern in Japan über gemeinsame Projekte. Das ist schon ein Zukunftstraum. Mit meinem Kollegen fitz ambro$e, der auch auf dem Album zu hören ist, arbeite ich an gemeinsamen Tracks. Da könnte gut so was wie ein Album entstehen. Ich freue mich, mit der aktuellen LP Gigs zu spielen, Asien zu bereisen und zu touren.
Wie war es im letzten Jahr für dich überhaupt, auf der anderen Seite der Welt vom Brexit mitzubekommen?
Es war wie im Katastrophenfilm. Schrecklich. Man sieht die ganzen News im Internet, ist aber physisch nicht vor Ort und dadurch hat es etwas Surreales für mich bekommen. In den japanischen Medien fand das Thema auch gar nicht so große Beachtung. Da ging es wenn eher um die politischen Tendenzen in den USA. So wurde ich auch nicht täglich mit dem Thema konfrontiert. Ich wäre nie davon ausgegangen, dass es so weit kommt. Da ich aber auch keine britischen Freunde in Japan habe, gibt es niemanden, mit dem ich irgendwie über das Thema sprechen könnte. Es fühlt sich tatsächlich komisch an. Wie schon gesagt: wie in einem schrägen, absurden Film. Als ich am gleichen Tag aber bei meiner Bank war und gesehen habe, wie sich das auf den Wechselkurs von Yen und Pfund ausgewirkt hat, war mir schnell klar: Das passiert hier wirklich.
Ich kenne Briten hier in Berlin, die weinen mussten.
Das kann ich gut verstehen. So was kann sich die Hölle nicht ausdenken. Es tat mir vor allem für meine Freunde und meine Familie leid. Die sind alle verflucht. Auch wenn es zynisch klingt, war ich in dem Moment für mich fast froh, in Japan zu leben.
Wenn du dennoch Heimweh bekommst? Welches Essen fehlt dir am meisten?
Das ist so Klischee, aber es sind Fish and Chips. Ich habe versucht, es hier zu bekommen, aber es ist einfach nicht das Gleiche.
Wobei der Fisch in Japan doch gut ist.
Das stimmt. Der Fisch in Japan ist viel besser. Aber wahrscheinlich braucht man gerade für gute Fish and Chips den billigen, schlechten Fisch aus England. Das ist aber auch das Einzige. Wobei: Ein zünftiges Sunday Breakfast könnte ich auch noch mal vorstellen. Sonst ist die japanische Küche in so gut wie allen Belangen besser als die britische – muss man einfach so sagen.