Haru Specks ist ein DJ der besonderen Art. Er legt nicht nur auf, sondern redet auch ausgesprochen gerne über das, was er auf den Plattenteller legt. Sein Spitzname: „lebende Jukebox“. Der Name des Formats: „Vinylpredigt“. Seit 2012 macht er das, mittlerweile in ganz Deutschland und nicht mehr nur in seiner Wahlheimat Düsseldorf. Jetzt hat die Reihe auch in Berlin begonnen.
Fünfzehn Menschen der gehobenen Altersklasse sitzen auf Stühlen und Sofas und lauschen. Ein andächtig rhythmisches Kopfnicken hier, ein dezentes Fusswippen dort, Musik läuft. Was ist passiert? Ist man hier der finalen Erkenntnis erlegen, dass der faltige Hintern endgültig das Tanzverbot gebietet? Falsch. Haru Specks aka Diethelm Kröhl hält seine erste Berliner Vinylpredigt im POP Plattenladen in Kreuzberg. Wer wie ich der Meinung ist, dass man durchaus am Sonntagmorgen in die Kirche gehen könnte, so der Mann auf der Kanzel auch etwas zu sagen hätte, der wird hier, nicht nur der Form halber, fündig.
Specks zelebriert seine Predigt zum Thema „Leiden ist Scheiße“ und unterlegt seine Rede mit dreizehn Hörbeispielen unterschiedlichster Zeiten und Genres. Schon der erste Beitrag von Napalm Death „You Suffer (But Why)“ malt der Zuhörerschaft ein Grinsen auf die Lippen, ist dieses musikgeschichtlich rekordverdächtige Stücklein doch nur eine Sekunde lang und wurde im Erscheinungsjahr 1987 von John Peel dutzendfach hintereinander gespielt und abgefeiert. Zu hören ist nur ein knurrendes, aufbrummendes Gitarrenriff und aus. Specks nimmt nun den Titel des Tracks zum Anlass, um sein Thema langsam auszufalten. Er redet über Ängste, Depressionen, nennt Zahlen, Anlässe, lässt Anekdoten einfließen und wickelt sein Publikum mit gut gesetzter Hintergrundinformation in eine wohlige Gemeinschaftserfahrung, um zum Ende hin bei Revolution und Gegenwehr zu enden.
Das ihm dies so einfach gelingt ist umso mehr erstaunlich, da die angespielten Stücke äußerst gängige Gassenhauer sind. Radiohead, Walker Brothers und Curtis Mayfield werden in einem größeren Zusammenhang vorgestellt. Bekanntes neu erfahrbar zu machen ist jetzt nicht Specks eigene Erfindung, dennoch erobert er in seiner breiten Spanne zwischen bübisch schüchternem Verhaspeln und vollmundiger Behauptung seine Gemeinde ohne Gegenwehr.
Jetzt könnte man natürlich relativ einfach unterstellen, hier tratschen nur Nerd und Nerd über ihre Schätzchen, was soll‘s? Zugegebenermaßen hätten jüngere Leute mit dem Angesprochenen möglicherweise Schwierigkeiten. Aus mangelnder Vertrautheit mit den Songs, oder einfach, weil sie sie nicht mögen. Dies ist aber nur eine These und ließe sich schnell widerlegen, denn auch der Mann aus dem Häuschen mit dem Kreuz drauf arbeitet mit Beispielen, die nicht notwendigerweise allen Anwesenden zu eigen sind. Zwischendurch lässt er sie gemeinsam singen (was bei Specks Predigt Gott sei Dank nicht der Fall war), und bittet zum Schluss um eine Kollekte. Ein Hut wurde auch bei dieser Veranstaltung gereicht, für Specks eher ein ungewöhnlicher Fall, da er für seihe Reihe normalerweise Geld verlangt - denn, so der Prediger: „Wenn man für etwas bezahlt, hört man auch zu.“ Dies Wort in Gottes Gehör. Wer nicht dabei war, hat was Neues verpasst. Amen.
Alle kommenden Termine der Vinylpredigten auf dieser Webseite. Die Playlist von „Leiden ist Scheiße“ gleich hier.
Ein Interview mit Diethelm Kröhl zum Thema Vinylpredigt kann man hier lesen.