Im schnelllebigen Geschäft der Popmusik hat sich der Name Colin Vearncombe nicht ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Wohl aber sein großer Hit „Wonderful Life“. 1987 überflutete diese melancholische Ballade die weltweiten Charts. Wirklich etwas von ihm gehört hat man danach nie wieder, auch wenn er nach wie vor Musik machte und im vergangenen Jahr sogar in Deutschland auf Tour war. Gestern ist Vearncombe an den Folgen eines schweren Autounfalls gestorben. Jan-Peter Wulf erinnert an den Künstler.
Ich kann mich noch gut an diesen Moment erinnern: Es ist Morgen, es ist 1987 und ich sitze mit meinem Vater am Frühstückstisch und es läuft Radio. Wir sitzen an dem kleinen, ausziehbaren Frühstückstisch in der Küche, den es damals in der Wohnung meiner Eltern noch gab, eine schmale Resopalplatte. Das heißt, es muss ein Wochentag gewesen sein, da wurde nur gefrühstückt, wenn es morgens schnell gehen musste. Jedenfalls lief Radio, wie so oft morgens, NDR 2 dürfte es gewesen sein. Dieser Song kommt, mein Vater sagt: „Oh, den mag ich,“ und drückt auf die Record-Taste am Kassettendeck des weißen Achtziger-Jahre-Radios.
Meine Urszene. Ich hatte mir bis zu diesem Tag nie darüber Gedanken gemacht, dass man auch Musik aus dem Radio aufnehmen könnte. Die Taste links neben der Play-Taste kannte ich zwar; Kassetten vollgequatscht, das hatte ich am bleischweren, handkoffergroßen Kassetten-Abspielgerät von SABA, welches mein Vater sich von seinem ersten Geld gekauft hatte, schon öfters mal. Mit externem Mikro. Aber Musik aus dem Radio bis zu diesem Tag in meinem elften Lebensjahr nicht. Danach sollte mich diese Kulturtechnik nicht wieder loslassen, von einer ausgiebigen Dokumentation des Jahres 1988 bis zu wöchentlichen Mitschnitten der Steve Mason Experience auf BFBS. TDK hat mit dem Modell SA-90 eine Menge Geld an mir verdient.
##Lupenreiner Pop
Dass dieser Moment so entscheidend war, muss auch mit dem Song selbst zu tun gehabt haben. Es war „Wonderful Life“ von Black. Den mochte ich auch. Sehr. Ein lupenreiner Popsong, der 22 Wochen lang in den Charts war und im Radio rauf- und runtergespielt wurde. Das Lied wie mein Vater auf Kassette aufzunehmen, inklusive des vollständigen Synthie-Intros, war meine große Aufgabe in dieser Zeit. Zum Glück gab es Chart-Sendungen im Radio, in denen der nächste Titel angekündigt wurde. Mitsamt dem Vorwissen der Platzierungen aus der Vorwoche konnte man Zeige- und Mittelfinger rechtzeitig in Stellung bringen.
Es ist nur wenige Wochen her, seit ich „Wonderful Life“ und „Everything Is Coming Up Roses“, den zweiten Hit des Two-Hit-Wonders Black, mal wieder gehört habe. Nicht zufällig im Radio, aktiv ausgewählt im Musicstreamingdienst auf dem Smartphone, per Bluetooth auf die Boombox geschossen. Zeiten ändern sich, doch dieser Song spiegelt immer noch die ganze Klasse jener – Alert, jetzt wird es nostalgo-pessimistisch – großen Achtziger-Jahre-Popmusik wieder, die es heute kaum noch gibt. Der klassische Aufbau mit zwei Strophen, Solo-Bridge und Wiederholung des Refrains. Die Künstlichkeit des Sounds, der ich bis heute verfallen bin (meine Eltern meinten später, ich solle nicht so viel computergesteuerte Musik hören, während sie gerne mal ein Enya-Album anmachten). Der Rhythmus, der sich aus der perkussiven Melodie selbst speist, nicht aus übersattem Bass, die weiche und zugleich markante Stimme, die Rick Astley immer gerne gehabt hätte, und nicht zuletzt der – mir bei den ersten Anhörungen als Kind natürlich nichtssagende und folglich egale – Text über ein wundervolles Leben mit angeblich leicht ironischem Touch. Wobei ich mir in diesem Punkt gar nicht so sicher bin.
##Ein kleines Masterpiece
Denn später, vermutlich bei Formel Eins, entdeckte ich dann das Video zum Song. Das ist mir so nachdrücklich in Erinnerung geblieben wie das Stück selbst: Ein kleines Masterpiece, immer noch eines meiner Top-Ten-Musikvideos aller Zeiten. Schwarzweiß, mit Kamerafahren am Strand entlang, Tele-Effekten, Slow-Motion-Aufnahmen von vorbeilaufenden Hundehaltern und Freizeitpark-Attraktionen. Vor allem aber Gesichter. Portraits von echten Menschen. Eine philanthrope Working-Class-Hommage, aufgenommen in den Seebädern Sourthport und Wallasey. Wonderful simple life. Gedreht hat es Gerard de Thame und gewann damit beim New York Film Festival 1988 in der Musikvideo-Kategorie. Heute dreht er Werbefilme für Auto- und Sportschuhhersteller.
Ich + Ich haben sich an der Ästhetik des Videos für „So soll es bleiben“ bedient und sind damit in meinen Augen ebenso gescheitert wie Hurts mit ihrem Eighties-Pastiche „Wonderful Life“, das versucht, Gefühl und Klang dieser Zeit aufzugreifen. Von durch die Bank gräßlichen Coverversionen (Ace of Base! Hyperchild! Scooter! Julio Iglesias auf Spanisch!) ganz abgesehen. Die Schönlinge von Hurts, Imitate der Black-Zeitgenossen Bros, sehen im Clip zum ihrem „Wonderful Life“ auch nur halb so smart aus wie der junge Colin Vearncombe, der Mensch hinter dem Musikprojekt Black. Im typischen Popper-Dress jener Zeit streift er durch die sanft vom Wind gewogenen Felder und Wiesen. Ein Mann mit sanftem Blick.
Gestern ist Vearncombe im Alter von 53 Jahren an den Folgen eines schweren Autounfalls gestorben.