Wochenend-WalkmanDiesmal mit Xaver Fischer Trio, Everything Is Recorded by Richard Russell und Maarten van der Vleuten

WW03032018 anistart

Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute hören wir das Xaver Fischer Trio, Everything Is Recorded by Richard Russell und Maarten van der Vleuten.

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Xaver Fischer Trio – II

Jan-Peter: Funk war nie mein Faible, aber in den Düsseldorfer Club Unique bin ich mit meinen Studienfreunden und Filter-Autoren Sulgi Lie und Dirk Reinink doch das eine oder andere Mal gegangen, und das sehr gerne. Mitten in dieser schrecklichen Altbieraltstadt so ein entspannter Ort. Funky Atmosphäre, schöne Menschen, König-Pils aus denkbar unpraktischen Tulpengläsern auf dem Dancefloor. Da hatten wir schon ein paar nette Abende. Das Unique musste schließlich irgendeinem blöden Gastroprojekt weichen, die Partys gingen im Rheingoldsaal und im Coffy weiter. Zudem das Label Unique Records. Der Kopf dahinter war Henry Storch, ein Idealist, Musiknerd und freundlicher Mensch, ein Clubbetreiber und Labelmacher, den man immer anrufen konnte, wenn man was über die Clubszene wissen wollte, der sich gerne Zeit nahm, der nie nicht zurückrief und sogar die eine oder andere Platte, wir sprechen von Vinyl, mit persönlichen Zeilen in die Post gab – Promotion als Chefsache statt massenhaft versandter „hi all, hope you're all good“-Mails mit zwei Vorhör-Links drunter. Henry Storch und die Unique-Crew haben Düsseldorf ein bisschen britisch-cool gemacht, so wie es der ebenfalls dem Wandel der Zeit zum Opfer gefallene Atomic Club einst für München getan hat. Traurigerweise ist Storch vor einigen Tagen, viel zu früh, gestorben, noch vor Vollendung des fünfzigsten Lebensjahrs. Ihm zu Ehren läuft in meinem Walkman dieses Wochenende eines der früheren Alben auf dem Label, das ich auch als Nichtfunker immer noch gerne höre: „II“ vom Xaver Fischer Trio.

Everything is Recorded by Richard Russell Cover WW 20180302

Everything Is Recorded by Richard Russell

Benedikt: Der Titel dieser Platte lässt sich durchaus als Statement lesen. Musikgeschichtsschreibung am Ende, alles schon mal da gewesen – manch Filter-Redakteur würde dem vielleicht sogar zustimmen. Andererseits könnte der Labelvater von XL Recordings bei dieser Lesart ja gleich seinen Job niederlegen. Un-vor-stellbar. Allein in den letzten zwei Jahren veröffentlichte das Label Musik von King Krule, Arca, Radiohead, Frank Ocean, The xx, Kaytranada, Special Request, auch die Karrieren von M.I.A., Jack White und sogar Tyler, The Creator lassen sich kaum ohne XL denken. Und dann ist da ja noch der ganz große Erfolg namens Adele Adkins, was im Prinzip bedeutet, dass sogar Mutti einen Bezug zu XL und damit zu Richard Russell hat. Bleiben wir also zuversichtlich, dass Russell die Musik und den Pop noch lange nicht für zu Ende erzählt hält. Kennt man Entstehungsgeschichte dieses Albums lässt sich „Everything Is Recorded“ zum Glück auch ganz anders interpretieren. Über Monate hinweg hat Russell zahlreiche Musiker in sein Londoner Studio geladen und zusammen Musik machen lassen. Da trafen dann zum Beispiel Ibeyi, Kamasi Washington und Sampha aufeinander („Mountains Of Gold“). Oder Infinite (der bislang noch recht unbekannte Sohn von Ghostface Killah) und Peter Gabriel („Purify“). Auch der Londoner Rapper Giggs („Wet Looking Road“) und sogar Damon Albarn, der das Piano im Stück „Cane“ spielt, kamen und gingen. Richard Russell wirkte dabei mehr als Regisseur und Produzent im Hintergrund, der mal ein Sample und ein Pattern einwirft, denn als aktiver Musiker. Die ließ er stattdessen einfach mal machen und eine gute Zeit zusammen haben. Maximale künstlerische Freiheit, das XL-Credo seit jeher, greift auch hier – wird aber noch ergänzt um die Jazz-Denke der totalen Improvisation und Interaktion. Und als Russell den Punkt, an dem „alles aufgenommen ist“, für erreicht hielt, baute er aus den Aufnahmen der offenen Jam-Sessions dieses Album zusammen. Weil der Versuch, den Sound dieser Platte in wenigen Worten zu umreißen, nur scheitern kann, versuche ich das hier erst gar nicht, sondern verweise einfach auf den unten stehenden Play-Button.

WW-Maarten van der Vleuten

Maarten van der Vleuten Presents Integrity

Thaddeus: 48V Phantom Power, Cliche, Cryptic, D. Huystee, DJ Dusk, DJ G-Spot, Dutch Department Of Techno, E144, E414, Error 144, Error 441, Flash Back, Flux, Frantic, G.S.G, Gangrene, In-Existence, Integrity, M.A.W.A. Inc., Major Malfunction, MAWA, N.Cantado, Orpheus, Party Marty, Phlux, Pultec, The Noise Architect, V48, Vandervleuten, Zimt: Herr van der Vleuten war und ist in seiner langjährigen Karriere nicht gerade zimperlich mit Pseudonymen und Projekten. An meinen Ohren ging er bislang vollkommen vorüber, zumindest wissentlich. Dabei hat er auf R&S veröffentlicht, auf Djax Uo, Apollo und Klang Elektronik. Diese Compilation hier fasst die Highlights seiner Veröffentlichungen auf Outrage zusammen, einem Sublabel von R&S – allesamt erschienen 1992. Dem Jahr also, in dem unserer letztjährige Kolumne spielte und die mit einem Interview mit Renaat Vandepapeliere, dem Chef von R&S zu Ende ging. Die Tracks von van der Vleuten fluffen ganz wunderbar, lieben Detroiter Understatement ebenso wie britische Piano-Riffs. Die 909 zischelt, die Flächen atmen Afterhour-freie und balearische Abgeschossenheit. Musik, die so pur und irgendwie unschuldig ist, dass sie damals wie heute nirgendwo wirklich hinpasst. Und nicht zuletzt deshalb ein weitere Gegenentwurf zu dem Dancefloor ist, den immer mehr Menschen so langweilig und verbraucht finden. Ein Heizstrahler ist immer dann besonders gut, wenn man auf ihm auch noch ein paar Pillen aufbackt.

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