Metall-Porno – So entsteht ein SmartphoneDinge Design müssen – Teil 22

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Es gibt kein Gerät, das wir tagtäglich öfter in die Hand nehmen als unser Smartphone. Das produziert Ansprüche: Leicht muss es sein, technisch am besten alles bieten, was aktuell möglich ist, ein tolles Display haben, einen dicken Akku und schnellen Prozessor. Vor allem aber muss es sich gut anfühlen. Sonst würde man es ja nicht so gerne in die Hand nehmen. Ein Kunststoff-Gehäuse? Passé. Metall ist der Hype-Werkstoff der Stunde. Leicht und sehr robust und irgendwie handschmeichlerisch. Wie aufwendig es ist, so ein Chassis zu bauen, hat uns Rodrigo del Prado erklärt. Er ist Mitgründer der hierzulande noch ziemlich unbekannten spanischen Firma „BQ“. Deren neues Smartphone, das „Aquaris X5 Cyanogen“ ist seit wenigen Tagen auch in Deutschland auf dem Markt. Der Versuch eines Foto-Essays. Fotografiert mit – natürlich – einem Smartphone.

Dieses Ungetüm ist kein überproportioniertes Bleigieß-Experiment von Silvester. Es ist die Ursprungsform eines Handy-Gehäuses. Der praktische „Griff“ unten und die bizarre Symmetrie oben gehören natürlich nicht dazu, die werden gleich zu Beginn des anspruchsvollen Prozesses von einer mächtigen Maschine abgestanzt. Der Teil in der Mitte aber, das wird das Chassis eines Telefons. Wenn man das weiß, kann man es sogar erkennen, oder? Hier der Beweis.

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Aluminium als Hauptmaterial für Telefone, Tablets und Laptops: Das hat sich Apple ausgedacht. Aus offensichtlich guten Gründen. Die Geräte sind stabil. Der Werkstoff wird mittlerweile auch von praktisch jedem anderen Hersteller genutzt. Und auch wenn die Herstellung sehr energieaufwendig ist – das wissen wir spätestens seit Getränkedosen genau aus diesem Grund so einen zu recht schlechten Ruf haben –, lässt sie sich in packenden Bildern und Filmen werbewirksam nutzen. Der dicke Block Alu wird von einer CNC-Maschine so lange präzise bearbeitet, bis die benötigte Bauform fertig ist. Apple und andere zeigen regelmäßig auf ihren Pressekonferenzen diesen Prozess in schick geschnittenen Videos.
Bei einem Pressetermin legen die Mitarbeiter von „BQ“ über 20 verschiedene Chassis auf den Tisch. Unterschiedliche Bearbeitungsgrade der Stücke verdeutlichen den Fortschritt auf dem Weg vom rohen Metall-Ei zum perfekt geschliffenen, geglätteten, gehärteten und polierten Smartphone-Korpus zeigt. Das geht uns, die User, ja eigentlich gar nichts an, muss uns nicht interessieren, immerhin wird diese Veredelung von Maschinen und nicht von Kinderhänden erledigt. Faszinierend ist es aber dennoch. Weil man sich eben gar nicht so recht vorstellen kann, wie der Diamantschleifer um die Kanten fährt und der Bohrer die benötigten Löcher stanzt.

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Frühes Stadium mit scharfen und unebenen Kanten.

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Oben: das immer noch „rohe Ei“, allerdings schon mit ersten Kunststoff-Einsätzen, hier für Antennen und den USB-Port. Unten: ohne die Dummy-Einsätze, dafür schon etwas polierter.

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Es entwickelt sich. Schritt für Schritt ...

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... und wird immer präziser veredelt und poliert.

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Gut zu erkennen: Die Kunststoff-Teile, die den später eingesetzten Komponenten Halt geben. Schritt 10 von 25.

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Fertig! Schritt 25 von 25

„BQ“? Wer oder was ist das eigentlich? Die Firma gibt es seit 2003 und kaufte zunächst in China USB-Sticks im großen Stil, um sie dann zu bedrucken und so als Werbegeschenke zu individualisieren. Das Geschäft lief glänzend, langweilte die Gründer aber bald. Denn sie waren Ingenieure und keine Marketingmenschen. 2009 startete man ein neues Business: Für einen spanischen Verlag brachte man einen E-Reader auf den Weg. Auch den kaufte man in China ein und klebte nur ein eigenes Etikett drauf: „booq“.

Auch das lief wie geschmiert und Schritt für Schritt begann man, in Spanien selbst Hardware zu entwickeln. Erst Tablets, dann Smartphones. Schon 2013 ist „BQ“ die Nummer zwei in Spanien, wenn es um Smartphones geht. Und die haben meist einen Twist. So gab es es 2015 das erste Telefon überhaupt mit der Linux-Variante „Ubuntu“. Und auch das neue „Aquaris X5 Cyanogen“ ist nicht einfach nur das 345.834 Android-Handy. Es läuft mit „Cyanogen OS“, einem auf Android basierenden Betriebssystem mit Fokus auf Individualisierungsmöglichkeiten des Interfaces, Sicherheit und einer durch eine weltweit aktive Community konsequente Weiterentwicklung. Das ist alles sehr nerdig und auch nicht weiter wichtig. Der Mobilfunker O2 hat das Telefon frisch im Programm, bestimmt auch, um im eigenen Marketing endlich nicht immer nur Android und iOS droppen zu müssen.

Wichtiger ist da schon, dass „BQ“ der mittlerweile drittgrößte Hersteller von 3D-Druckern weltweit ist, sich auf dem Bildungssektor engagiert – gerade auch im heimischen Spanien – und für Schulen spezielle und preisgünstige Arduino-Boards und DIY-Kits für den Roboter-Bau anbietet. Komplett mit Open-Source-Software. „Es geht uns darum, ein neues Bewusstsein zu schaffen“, sagt Rodrigo del Prado. „Technik ist toll. Aber man braucht mehr als Software-Skills, um sie zu bauen. Wir haben zehn Jahre benötigt, um unser erstes Telefon selbstständig zu entwickeln. Es fehlt an Know-how in Europa. In China können Studenten ein Smartphone als Abschlussarbeit auf der Uni designen, bauen und dann verkaufen. Bei uns gibt es die Infrastruktur nicht mehr dafür. Mit unserer 3D-Druck- und Robotics-Initiative wollen wir gegensteuern.“ Das ist natürlich ehrenhaft und vor allem tolles Marketing, hat dann aber doch einen wahren Kern. Ja, auch „BQ“ lässt seine Telefone in China fertigen. Die Entwicklung jedoch wird zu 100 Prozent in Spanien erledigt. Vom Motherboard über die spezielle Audiotechnik bis eben zum Chassis. Klar macht Apple das und Samsung und LG und Sony und HTC auch. Aber „BQ“ ist eine kleine Firma, hat 1.200 Mitarbeiter und hatte 2014 einen Jahresumsatz von gerade mal 202 Millionen Euro.

À propos Motherboard:

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Vier Mal Smartphone-Hirn ...

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... und das Telefon kurz vor der finalen Montage.

Ob sich „BQ“ am hart umkämpften Telefon-Markt wird behaupten können? 2014 wurden bereits knapp anderthalb Millionen Telefone verkauft. Peanuts im Vergleich mit den Großen, „BQ“ ist aber auch nur in wenigen Ländern präsent. Sympathisch ist das alles auf jeden Fall. Und wenn es mit den Telefonen doch nicht so laufen sollte, dass es sich mittelfristig rechnet, hat man immer noch die 3D-Drucker. Die baut das Unternehmen sogar in Spanien. Die immer noch angeschlagene Wirtschaft des Landes wird es „BQ“ danken. Wer so ein Telefon kauft, kann hinterher immer noch behaupten: Mein Handy war mal ein Bleigieß-Tennisschläger. Das ist mehr Zukunft als Apple und Samsung zusammen.

Das „Aquaris X5 Cyanogen“ kostet 240 Euro und ist in Deutschland exklusiv bei O2 erhältlich. Mehr bei BQ

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