Review: Apple Watch Series 2Der Todesstern hat den Planeten umkreist
10.10.2016 • Technik & Wissen – Text & Fotos: Thaddeus HerrmannIm vergangenen Jahr betrat Apple mit der Watch neues Terrain. Ein Terrain, von dem man noch nicht so richtig wusste, wie man es sinnvoll, nachhaltig und erfolgreich würde bedienen können. Ein Erfolg war die Apple Watch dennoch. Und das, obwohl sie spröde wirkte, nicht fertig entwickelt, ohne klaren Fokus. 2016 ändert sich das dank einer Mischung aus neuer Software und viel besserer Hardware. Apple hat die Smartwatch fertig.
Smartwatches sind dann am besten, wenn man rein gar nichts von ihnen erwartet.
Das ist das ungefähre Resümee nach ziemlich genau 15 Monaten mit der ersten Apple Watch. Getragen habe ich sie dabei jeden Tag. Schon nach kurzer Zeit war mir die Uhr wirklich ans Herz gewachsen. In ebenso kurzer Zeit hatte ich mich aber auch von den Versprechungen verabschiedet, die Apple immer wieder angepriesen hatte. Fragte mich in den ersten Wochen jemand danach, was die Uhr denn nun alle könne, sagte ich eigentlich immer sowas wie: Naja, nicht so wahnsinnig viel. Zeigt die Uhrzeit und zählt meine Schritte. Der Rest funktioniert irgendwie noch nicht so richtig.
Technologisches Frühchen
Wenn Apple neue Produkte vorstellt, Hard- oder Software, fällt auch den Veranstaltungen oft ein Satz wie: Wir sind gespannt, was ihr damit für tolle Dinge machen werdet. Das Problem der Apple Watch in ihrem ersten Lebensjahr war jedoch, dass sich damit kaum tolle Dinge anstellen ließen. Entwickler hatten sich auf die neue Plattform gestürzt, oft genug, ohne die Uhr dabei schon in der Hand zu haben, ihre iPhone-Apps umgebaut und mit Erweiterungen versehen, die auf der Smartwatch laufen und einem für die unterschiedlichsten Dinge den ständigen Griff zum Telefon ersparen sollten. Für die meisten Anwendungsszenarien blieb das ein Wunschtraum. Zu lange Ladezeiten oder nicht durchdachte Interfaces bremsten die Utopie aus. Es hatte nicht sein sollen. New York Times, Twitter, Slack, Deutsche Bahn, Amazon, DHL: alles Blödsinn.
Fitness funzt ab dem ersten Tag
Es gab aber auch Dinge, die beherrschte die Apple Watch vom ersten Tag an. Die Übergabe von iMessages zum Beispiel, mit gut gelösten Wegen, auf eingehende Chats zu antworten. Oder die Navigation von A nach B, bei der die Uhr immer dann am Handgelenk vibriert, wenn man links oder rechts abbiegen muss. Vor allem jedoch überzeugte mich die erste Apple Watch als Fitness-Tracker. Zwar war sie weit vom Feature-Umfang anderer Tracker und vor allem von Sportuhren entfernt, die Basics funktionierten jedoch perfekt. Dabei saugen die grünen LEDs des Herzfrequenzmessers den Akku leer wie nichts, die Erfassung der Daten ist aber problemlos und genau diese Daten nicht in die Wolke eines Drittanbieters kippen zu müssen, ist ein weiterer Bonus. Klar, gelernte Dinge wie die Überwachung des Schlafs gehen nicht mit der Apple Watch – das ist weder vorgesehen noch möglich: Nachts muss die Uhr an das Ladegerät. Die Aufzeichnung tagsüber ließ und lässt jedoch nichts zu wünschen übrig. Zumindest dann, wenn man kein Extremsportler ist.
Was für ein Glück, dass genau dieses Feature mittlerweile auch bei Apple im Fokus steht.
Alles von vorn
Im vergangenen Sommer zeigte Apple auf der Entwicklerkonferenz WWDC, wie man sich die Zukunft der Uhr vorstellt. Da war von Verbesserungen die Rede, von mehr Geschwindigkeit, neuen Features. Tatsächlich handelte es sich aber um einen kompletten Paradigmen-Wechsel. Welche Dinge stehen im Vordergrund, wie kann man sie schnellstmöglich umsetzen, besser integrieren? Apple warf das gesamte Bedienkonzept der Smartwatch über den Haufen. Erlebt man nicht alle Tage sowas. Es muss hoch hergegangen sein in den vorangegangenen Monaten. Wie können wir dieses verdammte Ding nur besser machen? Welche Möglichkeiten haben wir? Das Resultat war das neue Betriebssystem watchOS 3.
Angetreten für mehr Geschwindigkeit und wichtiger noch: mehr Übersichtlichkeit sowie die Entscheidung, Apps, die man oft verwendet, aktiv zu halten und im Hintergrund regelmäßig mit neuen Informationen zu versorgen. Sodass man nicht zwei Minuten warten muss, um herauszufinden, wie das Wetter denn nun wirklich wird in den nächsten Stunden, nicht mehr „live dabei“ sein muss, während die Uhr das Telefon bittet, doch mal eben im Netz nachzuschauen und diese Informationen dann auf dem kleinen Display platziert, das währenddessen in der Regel sowieso schon wieder ausgegangen war, um Strom zu sparen. Momente wie diese waren oft genug ein anachronistisches Perpetuum Mobile. Hinterher ist man immer schlauer: watchOS 3 war und ist die Software, mit der die Uhr von Anfang an hätte ausgestattet sein müssen. Einen solch rumpelnden Start hatte Apple seit langer Zeit nicht mehr bei neuen Produkten hingelegt. watchOS 3 versprach, selbst die „alte“ Uhr zu einer neuen zu machen. Und dass es auch eine neue Smartwatch geben würde, war ohnehin klar. Und genau die ist jetzt da: die Series 2.
Was mit Sport
Wenn dieser Text online geht, trage ich die neue Apple Watch seit drei Wochen und ein paar Zerquetschten. Was sie von der ersten Uhr unterscheidet, ist hinlänglich bekannt und beweist, welchen vornehmlichen Zweck man bei Apple mittlerweile für die Uhr definiert hat, einen Zweck, der mehr als sinnvoll erscheint. Neben den klassischen Möglichkeiten (Uhrzeit! iMessage! Musik! Stoppuhr! Siri!) stehen vor allem die Fitness und der Sport im Vordergrund. Die neue Apple Watch hat GPS und ist somit nicht mehr auf das Telefon zur Positionsbestimmung angewiesen. Das macht Läufer glücklich, die berechtigterweise keine Lust haben, sich das iPhone an den Arm zu gurten. Die neue Apple Watch ist komplett wasserdicht, was sie für Schwimmer interessant macht, einen aber auch stressfrei duschen und bei Regen nicht hektisch unter den nächsten Unterstand flüchten lässt.
Wer wirklich regelmäßig schwimmt, kann sich über ein Feature freuen, das sich so nur Apple ausdenken kann: Über die Öffnung des Lautsprechers kann Wasser ins Innere der Uhr gelangen. Ist das Training beendet, wird genau dieser Lautsprecher aktiviert, um mit Schallwellen das restliche Wasser aus dem Gehäuse zu beamen. Kann man auch auf dem Trockenen ausprobieren, macht tolle Geräusche und ist so derartig Future, dass man gleich Han Solo anrufen möchte. Die neue Apple Watch hat einen neuen Prozessor, eine größere Batterie (vielleicht am allerwichtigsten) und ein frisches, viel helleres Display. 1.000 Nits. Das ist, äh, wirklich ziemlich sehr hell und hilft vor allem bei grellem Sonnenlicht (also wieder ab Mai 2017).
Apple Watch Series 2
- S2 Chip
- GPS, waserdicht bis 50 Meter
- doppelt so helles OLED-Display
- Gehäuseboden aus Keramik
- Gewicht: 28,2 Gramm (38mm), 34,2 Gramm (42mm)
- ab 419 Euro
Bei Amazon kaufen
Apple Watch Series 1
- S1P Chip
- spritzwassergeschützt
- OLED-Display
- Gehäuseboden aus Kompositmaterial
- Gewicht: 25 Gramm (38mm), 30 Gramm (42mm)
- ab 319 Euro
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Die kleinen Dinge machen bei der Apple Watch Series 2 den großen Unterschied.
Dass die Uhr nun wasserdicht ist, nehme ich persönlich gerne mit, also doppelten Boden der Sicherheit sozusagen, der ledigliche Spritzwasserschutz des ersten Modells war jedoch nie ein Problem für mich. Auch GPS bringt für mich keinen persönlichen Vorteil, beides aber gehört natürlich zur Grundausstattung eines Sport-Gadgets. Und genau das ist die neue Apple Watch neben ihrer Rolle als modisches Accessoire und second screen für das iPhone. Für mich sind es eher die kleinen Dinge, die den großen Unterschied ausmachen. Und die liegen vor allem in der besseren Performance, im neuen Chip begründet. Nicht nur auf der Uhr selbst, sondern auch beim Datenaustausch mit dem iPhone läuft hier alles um Welten besser, was zu deutlich weniger Frustration führt.
Die die gab es des Öfteren bei der ersten Uhr, wo man sich immer wieder fragen musste, ob sie gerade einfach nur keine Lust hat (nichts Ungewöhnliches bei Apple-Geräten: sind ja auch nur Menschen), ob etwas komplett abgestürzt ist oder die Hälfte der Information auf dem Weg von A nach B irgendwie und irgendwo hin stiften gegangen ist. Das läuft jetzt alles, das ist gut. Und es läuft auf der neuen Uhr deutlich besser als auf der alten mit der neuen Software. Ein paar Tage habe ich genau diese Kombination ausprobiert (alte Hardware, neue Software) und hatte dabei oft genug den Eindruck, der alte Chip sei mit der neuen Software ganz gut überfordert. Zu guter Letzt (wir sind wieder bei der neuen Uhr, der Series 2) ist da noch die Akkulaufzeit. Die hat mächtig zugelegt, was Funktionen wie die Schlafüberwachung in machbare Nähe bringt. Gerüchten zufolge arbeitet Apple bereits daran.
Meine Uhr und ich
Haben diese Verbesserungen und Neuerungen mein Verhältnis zur Apple Watch nun grundlegend geändert? Nein. Ich bin froh, dass vieles besser funktioniert, nutze die Uhr aber immer noch für die gleichen Dinge. Daran dürfte sich auch mittelfristig nichts ändern. Zwar laden die News der New York Times auf der Uhr jetzt deutlich schneller, den Artikel-Teaser will ich dort dennoch nicht lesen.
Eine Smartwatch ist allein durch die Display-Größe ein Gerät, auf dem sich nicht alles bewerkstelligen lässt.
Apple hat vor anderthalb Jahren von seinem Raumschiff aus die Uhr auf den Planeten Erde geworfen, ohne genau zu wissen, was die Menschen damit machen würden. Ein bisschen hiervon, ein bisschen davon, eine Prise von dem und noch von dem, nichts Halbes und nichts Ganzes eben, was in genau dieser Mischung einige Käufer sicher glücklich gemacht hat, viele jedoch bestimmt auch eher ratlos zurückgelassen hat. Das Raumschiff kreiste ein Jahr um die Welt und beobachtete diese Reaktionen ganz genau. Nun scheint der Fokus gefunden. Mit neuer, aufgeräumter Software und verbesserter Hardware. Wie die Geschichte der Apple Watch weitergeht, ist tatsächlich spannend und bedarf wiederum unserer genauen Beobachtung.
Zumal es noch noch eine zweite neue Uhr gibt: die Series 1. Sie verzichtet auf GPS, das hellere Display und den Schutz vor Wasser, hat aber den schnelleren, neuen Prozessor. Und sie kostet 100 Euro weniger. Das dürfte für viele das relevante Modell sein.
PS: Die Uhr aus Gold gehört der Vergangenheit an. Das neue Spitzenmodell ist aus Keramik und kostet einen Bruchteil des Bling-Dingens. War überfällig.