Heinz Emigholz: The Airstrip (Aufbruch der Moderne Teil III)Die Bilder reichen nicht mehr
15.9.2014 • Film – Text: Christian BlumbergGebäude, Bomben und Koteletts: Mit „The Airstrip“ reformiert Heinz Emigholz seine Architekturfilmreihe.
„The Airstrip“ ist Teil 21 von Heinz Emigholz' Filmreihe „Photographie und jenseits“. Und innerhalb dieser wiederum der dritte Teil der Unterreihe „Aufbruch der Moderne“. Für Neueinsteiger stellt das jedoch kein Problem dar – und auch bei aufmerksamen Verfolgern der Reihe dürften sich keine Ermüdungserscheinungen einstellen, denn „The Airstrip“ bildet eine filmische Zäsur: Emigholz gibt die formale Strenge seiner Reihe auf, verlässt sich nicht länger allein auf die Bilder, beginnt stattdessen zu erzählen. Es geht primär um Architektur, aber es geht auch um alles.
Wenn nun der Eindruck entsteht, „The Airstrip“ sei ein ganz besonders unterhaltsamer Film, muss vielleicht daran erinnert werden, wie die Vorgängerfilme der Reihe „Aufbruch der Moderne“ funktionierten: Diese hatten das überwiegend aus Beton bestehende Werk der Bauingenieure bzw. Architekten Pier Luigi Nervi und den Brüdern Auguste und Gustave Perret gezeigt und bestanden fast ausschließlich aus fixen Einstellungen, deren Abfolge sich nach der Chronologie der gezeigten Bauwerke richtete. Diese Tableaus waren zwar vergleichsweise hochfrequent montiert (Emigholz geht es nur bedingt um Kontemplation) und aus Perspektiven aufgenommen, die im Zusammenhang mit klassischer Architekturfotografie eher ungewohnt sind – dennoch verlangte das formale Korsett selbst dem geneigten Publikum einiges ab, zumal die Filme über die volle Länge unkommentiert blieben. Hardcore Documentaries nannte Emigholz sie selbst einmal, wohl auch im Hinblick auf das Auslassen inszenatorischer Mittel. Sein nüchterner Formalismus duldete keine Ästhetisierung: Emigholz leuchtete die abgefilmten Gebäude nicht künstlich aus, benutzte keine Weitwinkelobjektive (etwa um größere Objekte in nur einer Einstellung unterbringen zu können) – dies alles war auch Teil einer visuelle Strategie des Nicht-Dramatisierens.
Insofern ist es schon beinahe eine Sensation, wenn in „The Airstrip“ eine heisere Natja Brunckhorst beginnt, diese Architekturaufnahmen nun doch zu „dramatisieren“, indem sie aus dem Off eine Geschichte erzählt, die in der Stunde Null ansetzt und in ebenjener Stunde endet. Diese Erzählung, eher ein Gedankenstrang, reicht von den Ursprüngen modernistischer Architektur Europas bis zu den Nördlichen Marianen im Westpazifik, dem Ort, von dem aus 1945 die beiden mit Atombomben bestückten Langstreckenbomber Richtung Japan starteten. In diesem Gedankenstrang kreuzen sich verschiedene Geschichten des 20. Jahrhunderts – vor allem Expansion, Krieg und Architektur werden immer wieder kurzgeschlossen. Statt des im Untertitel angekündigten Aufbruchs ergibt sich so eher die Verfallsgeschichte einer Epoche, aber auch eine Meditation über Formen der Zirkularität: Zerstörung, Neuaufbau, neuerliche Zerstörung – immer herum um die Stunde Null. Logisch, dass Emigholz sich in „The Airstrip“ nicht länger nur einem Architekten widmet.
Wer Emigholz Filme besonders für ihre Sachlichkeit schätzte, wird mit dem historiographischen Anspruch von „The Airstrip“ möglicherweise hadern. Aber der Film formuliert keine historiographischen Forderungen. Seine Geschichten sind dafür zu divers und zu lose zusammengebunden. Zugleich ist Emigholz' Erzählung auch eine Rückgriff auf eine originäre Qualität des Kinos, das ja immerzu erzählt. Und, nächstes Novum, sie tut es mit Humor. Der offensivste Seitenhieb auf Konventionen des Essayfilms – ein überhaupt fragwürdiger Genrebegriff, der im Zusammenhang mit Emigholz jedoch gern bemüht wird – dürfte jene Sequenz sein, in der eine Lagerhalle für tiefgekühlte Fleischwaren in Montevideo abfotografiert wird. Der Film ist da schon eine Stunde alt und der Kommentar fordert gerade ein gesetzlich verankertes Verbot von Musikeinsatz in Dokumentarfilmen.
Natürlich setzt just in jenem Moment die Musik ein, „Red Moth“ der Band Kreidler – deren musikalischen Exkursionen durchaus auch als Architekturen beschrieben werden können. Als wäre das nicht Kalauer genug, fliegen durch die folgenden Einstellungen animierte Koteletts (sic). Dieser Gag - der als Outtake auch für das Musikvideo zum besagten Kreidler-Stück benutzt wurde - schafft aber auch eine neue Tonalität des Films: Man muss schon schmunzeln, wenn Emigholz später Ulrich Müthers modernistische Bushaltestelle zeigt, und wie die inzwischen von WC-Containern und einer Lidl-Filiale eingeklemmt im Seebad Linz (Rügen) steht.
Ebenfalls gegen Ende des Films gibt es noch eine Anfahrt auf den Flugplatz von Tinian, der den mit den Atombomben beladenen B-29-Flugzeugen als Startplatz diente (die Sequenz existiert in einer extended version wiederum als Musikvideo zu „Rote Wüste“ von Kreidler). Hier gerät nun auch die Kamera selbst in Bewegung, auch wenn sie nur gefahren wird. Spätestens in dieser Szene sprengt Emigholz das formale Korsett seiner Reihe endgültig – und bleibt einem filmischen Formalismus doch bedingungslos verpflichtet.
„The Airstrip“ startet am 2. Oktober in den deutschen Kinos. Vertrieb: Filmgalerie 451.
Eine Vorabpremiere findet am 17. September in der Berliner Volksbühne statt. Dort werden auch Kreidler auftreten.