Mach mich zum Star, hol mich hier rausFilmgespräch: Terrence Malicks neuer Film „Song to Song“

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Alle Fotos: © Studiocanal

Terrence Malick ist eines der letzten enfant terribles des US-amerikanischen Kinos: Der einstige Heidegger-Übersetzer dreht mit den größten Schauspielstars Hollywoods kompromisslose und provokative Filme, die mit ihrer assoziativen Montage und ihrer freien Inszenierung das Spielfilmformat an seine Grenzen bringen. Sein distinktiver visueller Stil, der geprägt ist von schwelgerischen Weitwinkel-Aufnahmen und pitoresken Gegenlichteinstellungen, inspirierte darüber hinaus Generationen von Filmstudenten. Malicks unbeschränktem, scheinbar unorganisierten Blick auf die Welt und seiner größtenteils auf Improvisation basierenden Schauspielführung stehen jedoch fest umrissene gedankliche Konzepte gegenüber. Die New-Hollywood-Legende hadert mit unserer modernen Welt. In To the Wonder (2012) nahm der Regisseur die Liebe zwischen Mann und Frau auseinander, in Knight of Cups (2015) das Hollywood-Millieu, in seinem neue Film Song to Song, der zu großen Teilen in Malicks Heimatstadt Austin gedreht wurde, geht es um die Rockmusik. Dabei steht nicht weniger auf dem Spiel als die Frage, ob Musik noch als Lebensentwurf taugt. Die Verortung des Film in der lokalen Szene von Austin ist jedoch wenig konkret, was viele US-Kritiker erzürnte. Tim Schenkl und Alexis Waltz erklären, warum diese Kritik den assoziativen Ansatz Malicks verfehlt, und was uns seine philosophische Analyse über den Zustand der heutigen Musikkultur erzählt.

Tim: Das Filmschaffen von Terrence Malick hat mit Tree of Life von 2011 einen relativ signifikanten Turn genommen. Arbeiten wie Badlands oder The Thin Red Line lassen sich inhaltlich noch relativ einfach zusammenfassen, obwohl es natürlich auch hier schon eine Bedeutungsebene gibt, die von der Geschichte abgekoppelt ist. Ab Tree of Life werden Malicks Filme dann jedoch deutlich essayistischer und ein roter Faden lässt sich auf der Handlungsebene kaum noch festmachen. In Song to Song werden die Figuren, abgesehen von Faye, gespielt von Rooney Mara, nicht einmal mehr namentlich eingeführt – man kann diese Information nur noch dem Abspann entnehmen. Faye ist eine junge Musikerin, die in einer Beziehung mit dem Musikproduzenten Cook lebt. Auf einer Party lernt sie dessen Protegé, den Singer-Songwriter BV kennen. Die beiden verlieben sich und beginnen eine Affäre, was letztlich zur Folge hat, dass Cook in einer scheinbaren Trotzreaktion die Kellnerin Rhonda heiratet.

Alexis: Das Liebespaar sind Faye und BV, Faye hat jedoch gleichzeitig etwas mit Cook. „I am a good liar“, sagt sie. Bei Song to Song handelt es sich nicht um einen psychologischen Liebesfilm, sondern um ein Existenzdrama. Faye ist ein haltloser, unverwurzelter, orientierungsloser Mensch. Sie zeigt potentiellen Mietern Wohnungen, sie arbeitet als Dogwalkerin, sie ist Cooks Rezeptionistin. „Nothing felt real. Every kiss felt half of what it should be“, sagt sie am Anfang im Voice-Over. Sie ist ein Drifter, aber alles andere als naiv. „I thought I had to know the right people, get close to them“, erklärt sie während sie uns auf einem Festival kokette Blicke zuwirft. „I thought he could help me, if I paid my dues“, kommentiert sie zynisch, während sie mit Cook in dessen aufgemotzter Villa Sex hat. Sie handelt aus Berechnung, sie hat aber kein Ziel, sie kämpft gegen ihre innere Leere und Unbestimmtheit an. So hat sie keine bestimmte Idee, was die Gegenleistung für den Sex mit Cook sein könnte. Sie erhofft sich einen Lebensinhalt und keine bestimmte Karriere. Faye wird von der Erotik und der Macht des düsteren Cooks anzogen. Dass er sie beobachtet und umkreist wie ein Jäger die Beute, erschreckt und erregt sie gleichermaßen.

Tim: Faye ist auf der Suche nach einem freiheitlichen Leben. Cook fasziniert sie, da er keinerlei moralischen Kompass besitzt. Dadurch ist er in der Lage, andere Menschen für seine eigenen Ziele zu benutzen. Dies lässt ihn für sie frei erscheinen. Der von Ryan Gosling gespielte BV ist aus einem anderen Holz geschnitzt. Er erinnert relativ stark an Sebastian aus La La Land.

Alexis: Cook ist der Teufel, BV der Charmeur, Faye ist die Lebensgier. Diese Archetypen werden aber ständig durch Malicks improvisatorische Inszenierung gebrochen. Michael Fassbenders Rolle als Cook ist am greifbarsten. Gosling verliert sich in Spielereien. Er setzt Faye eine Raupe ins Haar, er faltet eine Serviette zu einem Brathühnchen, er taucht in einer Leopardenweste auf und fragt: „What’s funny?“. Zum anderen interessiert er sich im Gegensatz zu Faye wirklich für Musik. Cook verspricht ihm den Erfolg. Es entsteht eine burlesk ausgespielte Männerfreundschaft mit ständigen Rangeleien. „How long have you been living here?“, fragt BV Cook im riesigen Park vor dessen Villa. „Two weeks“, antwortet dieser und fügt hinzu: „It’s all for sale.“ Besitz ist nicht etwas, mit dem man verbunden ist, sondern reine Machtdemonstration. BV ist von Cook angezogen, lässt sich aber nicht von ihm verführen. Später erkennt er, dass Cook ihn betrogen hat und bricht mit ihm. Faye ist auf eine komplexere Weise von Cook fasziniert, sie wird korrumpiert und benutzt. Sie hat Angst vor ihm, sie genießt es aber auch, in seiner düsteren Aura zu stehen.

Tim: Seit Tree of Life strukturiert Malick seine Filme, wie bereits gesagt, nicht mehr so stark durch einen kongruenten Handlungsstrang, sondern eher dialektisch. Er legt Gegensatzpaare fest und dekliniert diese durch. Ein häufiges Motiv ist dabei die Differenz von Vater und Mutter. Um diese geht es in Song to Song auch.

Der Film kreist jedoch vor allem um die Pole hell und dunkel, frei und unfrei.

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The Return of the Punk-Opas

Alexis: Die geordneten Verhältnisse werden durch die Familien von Faye, BV und Rhonda dargestellt, die amerikanisch-bürgerlich ausgerichtet sind. Fayes Vater macht sich Sorgen wegen der Orientierungslosigkeit seiner Tochter. BVs Bruder macht BV Vorwürfe, da dieser sich nicht um die psychisch kranke Mutter kümmert. Rhonda ist selbst noch eine „altmodische“ Persönlichkeit. Sie opfert sich für ihre verwitwete Mutter. Nachdem Cook dieser ein Haus geschenkt hat, glaubt sie, ihn heiraten zu müssen. Später zerbricht sie an seiner Rücksichtslosigkeit und seiner Perversion: Cook zwingt sie, mit Faye einen Threesome zu haben. Faye kann sich irgendwann von Cook lösen und hat eine Affäre mit einer Französin, die lustiger Weise auch im Immobilienbereich tätig ist und zwar als Housesitterin. Die leer stehenden Immobilien sind aber natürlich eine Metapher für die Leere im Inneren von Faye. Es ist der erste Film Malicks mit einer weiblichen Hauptfigur. Es geht aber hier anders als bei To the Wonder nicht um die Geschlechterdifferenz. Das Thema von Identität, Orientierungslosigkeit und Leere betrifft Frauen und Männer gleichermaßen.

Tim: Die weibliche Hauptfigur ist nicht die einzige Neuerung. Während Malicks vorherigen Werken häufig vorgeworfen wurde, ein Klassik-Best-of für den Soundtrack zu verwenden, fängt Song to Song gleich mit einer wirklich wilden Tanzszene auf dem SXSW-Festival an, bei der elektronische Musik läuft – später ist dann neben Klassik viel Rock- und Pop-Musik zu hören. Darüber hinaus drehte Malick zum ersten Mal so gut wie ausschließlich digital, was dem Film im Vergleich zu seinen früheren Arbeiten einen deutlich raueren Look verleiht. Ich fand es außerdem spannend, dass viele der Spielszenen offensichtlich an Originalschauplätzen unter Dokumentarfilmbedingungen entstanden sind.

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Alexis: Pitchfork und Stereogum haben den Film gehasst. Das ist keine Überraschung: An der gegenwärtigen Musikkultur läßt Malick kein gutes Haar. In der von dir erwähnten Szene auf dem SXSW-Festival tanzen die Zuschauer wilden Pogo, erklettern sich gegenseitig, um sich in die Menge zu stürzen. Dazu läuft aber der sterilste EDM und Kirmestechno. Es gibt viele interessante Bilder von Festivalsituationen, in denen zu sehen ist, wie wenig Kontakt zwischen den Musikern auf den Bühnen und den gigantischen Crowds existiert. So dokumentiert Malick die Ekstaseproduktion des Festivalbetriebs im postekstatischen Zeitalter. Mara, Fassbender und Gosling sind durch und durch Post-Ekstase.

Als Agenten des früheren Zeitalters treten Flea und Anthony Kiedis von den Red Hot Chili Peppers, Iggy Pop und Patti Smith auf. Die Faltenlandschaften in ihren Gesichtern drücken ein Erleben aus, das BV und Faye nicht zuzutrauen ist.

Tim: Diese Lesart würde ich jetzt nicht komplett unterschreiben. Ich habe den Film vor allem als eine Suche nach einem zeitgenössischen Freiheitsbegriff verstanden. Sex, Drugs und Rock'n'Roll scheinen für Malick immer noch der Prototyp eines freiheitlichen, wilden Lebens zu sein. Das wirkt für mich teilweise schon arg überholt, geradezu gestrig. Kanye West sagt ja nicht umsonst, dass die Hip-Hopper die neuen Rockstars seien. Dies scheint bei Malick jedoch noch nicht angekommen zu sein. Er bringt es fertig, einen Film über die „zeitgenössische“ Musikszene zu drehen, in dem nicht eine einzige schwarze Figur vorkommt, dafür laufen aber die beiden Punk-Opas Iggy Pop und Johnny Rotten durchs Bild.

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Alexis: Es irritiert durchaus, dass im Film fast nur weiße Amerikaner vorkommen. Gleichzeitig ist Austin eine Rockstadt und zugleich maßt Malick sich nicht an, von afroamerikanischen Verhältnissen zu sprechen. Und das Thema der Leere und Orientierungslosigkeit betrifft Kanye und die afroamerikanische Kultur vielleicht einfach weniger. „I wanted a life at any price“, sagt Faye. Dabei gelingt es ihr überhaupt nicht, sich in irgendeiner Weise zur Musik in Beziehung zu setzen. Die Gitarre, die sie einmal um den Hals hängen hat, bleibt ein Fremdkörper. Sie kann nicht connecten. Von der Thematik des Sinnverlusts ist ja besonders das weiße Amerika betroffen. Weiße Amerikaner im Alter zwischen 45 und 54 begehen doppelt so oft Selbstmord wie der Bevölkerungsdurchschnitt.
Für Malick sind Iggy Pop und Johnny Rotten immer noch der Benchmark der Transgression, des Rock'n'Roll. Was wäre das weiße Modell der Überschreitung heute, das man Malick entgegensetzen könnte? Animal Collective oder nächtelanges Schrauben am Modularsynthesizer? Ekstase kommt da selten auf. Und Bands wie Grizzly Bear oder die Dirty Projectors verpassen der Rockmusik einen ziemlich bürgerlichen Habitus. Diesen Schritt ins Bürgerliche macht Malick nicht mit. Seine Bildwelten sind entgrenzt und wurzellos. So scheint er dem jungen Rocker oder der jungen Rockerin zu sagen: „Das wird doch nichts. Such dir lieber eine ehrliche Arbeit!“

Song to Song
USA 2017
Regie & Drehbuch: Terrence Malick
Darsteller: Michael Fassbender, Ryan Gosling, Rooney Mara, Natalie Portman, Holly Hunter, Cate Blanchet, Val Kilmer
Kamera: Emmanuel Lubezki
Musik: Die Antwoord, Black Lips, Gyptian, Gal Pals, Patti Smith, Bob Dylan, Otis Redding, Lykke Li u.a.
Laufzeit: 129 min
ab dem 25.5.2017 im Kino

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