„Das Recht zu feiern besteht genauso wie das Recht zu schlafen“Interview: Seit einem Jahr ist Hendrik Meier der Nachtbürgermeister von Mannheim – der erste und einzige Deutschlands
10.10.2019 • Gesellschaft – Interview: Thaddeus HerrmannWeltweit gibt es aktuell rund 40 Städte, die sich Nachtbürgermeister leisten: Menschen, die zwischen den Akteuren des Nachtlebens – Gastronomen und Club-Betreibern – sowie den Anwohnern und der Kommune vermitteln. Die viel zitierte „Nachtökonomie“ ist ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor, provoziert aber auch Probleme: von Lärmbelästigung bis zur Gentrifizierung ganzer Stadtviertel. In Deutschland gibt es bislang nur einen dieser „Night Mayor“, und zwar in Mannheim. Seit gut einem Jahr kümmert sich Hendrik Meier darum, das Miteinander zwischen allen Beteiligten zu verbessern. Zeit für eine Bilanz: Von seiner Arbeit könnten sich andere Metropol-Regionen die eine oder andere Scheibe abschneiden.
Das Konfliktpotenzial einer florierenden Nachtökonomie kennst du schon seit langer Zeit.
Absolut. Noch vor meiner Zeit als Booker mit eigener Agentur habe ich in Nürnberg Veranstaltungen gemacht, auch viel im Bereich der elektronischen Musik. Da war so ziemlich alles dabei – von illegalen Raves unter der Brücke über professionelle Festivals bis zu Club-Formaten und After Hours. Die Thematik ist dabei immer die gleiche: Auf der einen Seite steht die freie Kreativ-Szene und auf der anderen stehen die Anwohner im Verbund mit dem etablierten Kulturbetrieb. Der Kulturbegriff ist natürlich schwierig, weil niemand wirklich weiß, was damit eigentlich gemeint ist. Denn letztendlich geht es nur darum, was förderfähig ist und was nicht. Ich halte das für Schwachsinn. Damit habe ich auch heute als Night Mayor in Mannheim tagtäglich zu tun. Hier ist eine semi-professionelle Sub- und Clubkultur entstanden, die Protagonisten versuchen sich mit dem gut aufzustellen, was sie gerne machen. Natürlich gibt es da keinen direkten Draht in die Stadtverwaltung. Es ist meine Aufgabe, an dieser Stelle zu vermitteln und den Kontakt herzustellen. Das ist nicht immer einfach, aber nach einem Jahr Arbeit sind wir schon einen guten Schritt vorangekommen.
Wie viele Betriebe fallen in Mannheim in die Kategorie der Nachtökonomie?
Es geht um rund 130 Clubs und Bars, von denen etwa 40 eine wirklich relevante Größe haben. Das konzentriert sich auf einige spezielle Viertel: den Jungbusch natürlich, die Neckarstadt-West und die Quadrate. Dazu kommt noch die Schwetzingerstadt, in der es sehr viele Restaurants gibt, und wo vor allem die Tagesgastronomie wichtig ist – ein Konzept, das auch im Jungbusch immer relevanter wird. Aus gutem Grund.
„65 Prozent der Bewohner im Jungbusch haben einen Migrationshintergrund. Da ist es natürlich klar, dass sich die Menschen überrannt fühlen, wenn am Wochenende die Studenten einfallen, gegen die Wände pissen und in die Ecke kotzen.“
Warum?
Wenn man versucht, einen Bezirk, in dem sich die Anwohner über nächtlichen Lärm beschweren, auch tagsüber zu beleben, entzerrt sich die Situation oft. Das ist ein klares Zeichen: Es ist gut, wenn Menschen hier sind. Es geht darum, das zu steuern und sicherzustellen, dass die Leute nicht nur zwischen 22 Uhr und 5 Uhr morgens kommen, sondern dem Kiez auch tagsüber eine Identität geben. Im Jungbusch ist das besonders wichtig. 65 Prozent der Bewohner haben einen Migrationshintergrund. Da ist es natürlich klar, dass sich die Menschen überrannt fühlen, wenn am Wochenende die Studenten einfallen, gegen die Wände pissen und in die Ecke kotzen. Ein solches Miteinander braucht Regeln. Daran haben wir das vergangene Dreivierteljahr im Rathaus gearbeitet – mit Anwohnerverbänden, Maklern, den Kreativen, Barbetreibern und dem Quartiersmanagement. Dabei haben wir zunächst herausgearbeitet, wie wir alle unseren Bezirk eigentlich haben wollen, und dann die „Jungbusch-Vereinbarung“ aufgesetzt, einen 10-Punkte-Plan, den wir seitdem öffentlich machen. Damit alle auch wirklich verstehen, worum es geht und wie man sich zu verhalten hat. Ein Großteil der Besucher hat das mittlerweile verstanden. Jetzt müssen wir nur noch den Rest erreichen. Die, die immer noch glauben, man könne da hingehen und machen, was man will.
Das funktioniert in allen Städten nach dem gleichen Muster. Die Kreativen zieht es in die Bezirke, in denen die Mieten noch erschwinglich sind. Und dann verändert sich das Viertel Schritt für Schritt. Oft auch mit dramatischen Folgen für die ursprünglichen Bewohner. Wie gehst du mit dieser Gentrifizierung um?
Im Jungbusch begann das vor ungefähr sieben Jahren. Erst kamen die Kreativen, dann die Bars, schließlich wurden viele Häuser saniert. Dabei sind viele Probleme noch nicht verschwunden. Drogen-Kriminalität, Gewalt und Prostitution zum Beispiel. Da muss man wirklich alle ins Boot holen und im Interesse des Bezirks und der Menschen die bestmögliche Lösung finden. Ich rede auch mit Immobilieninvestoren, das muss ich sogar. Mir ist die Zukunft des Bezirks wichtig. Da kann es auch okay sein, den Mietvertrag einer alteingesessenen Bar nicht mehr zu verlängern, wenn die ein Hotspot für Ärger ist. Das Gute ist, dass ich alle Beteiligten kenne. Die, die für die Gentrifizierung mutmaßlich verantwortlich sind, aber auch die, die im Quartiersmanagement das Viertel sozialpädagogisch leiten. Ganz verhindern kann man Auswüchse natürlich nicht. Auch in Jungbusch gibt es mittlerweile teure Lofts. Die sind nicht mal besonders schön gelegen, aber die Menschen ziehen trotzdem dahin. Und wundern und beschweren sich dann darüber, dass vor ihrer Tür gekifft wird und im „Hafen 49“ Techno-Open-Airs veranstaltet werden. Im persönlichen Gespräch sagen sie mir dann, dass sie diese Wohnungen nie hätten kaufen sollen.
„Ich bemühe mich, die Situation zu entschärfen, höre allen zu, kläre auf und korrigiere auch Argumentationen, die so einfach nicht haltbar sind – auf beiden Seiten.“
Wie moderierst du solche Konflikte?
Der Dialog ist immer der erste Schritt. Letztendlich müssen ja die Anwohner und Club-Betreiber miteinander reden. Es geht also darum, Vertrauen aufzubauen. Zunächst zwischen mir und den Beschwerdeführern, damit ich sie mit den Gastronomen zusammenbringen kann. Wenn sich zwischen diesen beiden Parteien kein Draht entwickelt, dann kann man es vergessen. Ich versuche zu vermitteln, damit nicht jeder auf eigene Faust für sich kämpft und man sich immer nur gegenseitig anschwärzt. Da hat das Ordnungsamt dann irgendwann nämlich auch keine Lust mehr, jeder Beschwerde nachzugehen. Ich bemühe mich, die Situation zu entschärfen, höre allen zu, kläre auf und korrigiere auch Argumentationen, die so einfach nicht haltbar sind – auf beiden Seiten. Die Sachlichkeit kommt früher oder später von ganz allein. Und genau in solchen Momenten können Gespräche dann auch fruchtbar sein und positiv enden. Beide Seiten lernen sich kennen, sprechen miteinander, merken, dass sie viele Probleme ähnlich empfinden. Im Idealfall finden sie dann gemeinsam eine Lösung, die auch auf Verständnis für die jeweils andere Seite beruht. Man arrangiert sich.
Wie ist die generelle Stimmung innerhalb der Stadtverwaltung und beim Ordnungsamt gegenüber der Nachtökonomie in Mannheim? Bist du da auf verbrannte Erde gestoßen?
Ich hatte zunächst das Gefühl, dass das, was nachts in der Stadt passiert, schlicht nicht verstanden wird. Da musste ich viel Aufklärungsarbeit leisten. Mittlerweile wird diese Seite Mannheims jedoch auch in den Ämtern sehr geschätzt. Das merkt man zum Beispiel daran, dass die Verantwortlichen alle mit den gleichen Begriffen arbeiten. Das Stichwort „Nachtkultur“ wird im Ordnungsamt genauso verwendet wie „Agent Of Chance“. Es wurde verstanden, dass das Recht, eine gute Zeit zu haben und feiern zu können, genauso besteht, wie das Recht, in Ruhe schlafen zu können. Ich entlaste die Behörden natürlich auch. Wir haben einmal im Monat einen runden Tisch initiiert – mit Polizei und Ordnungsamt. Es ist gut und spannend zu beobachten, wie ich bei denen mit meinem Job mittlerweile akzeptiert bin. Ich werde dort ernst genommen und auch mit Interna versorgt. Meine Priorität ist und bleibt jedoch, die Nachtkultur zu stärken, neue Akzente zu setzen. Das geht aber nur, wenn auch die Gastronomen professionell arbeiten und sich an die verabredeten Regeln halten. Zum Beispiel also tatsächlich die Außenbestuhlung um 22 Uhr reinzuräumen und nicht erst um Mitternacht. Diese Professionalität stärkt ihre Position. Auch darauf muss man immer wieder hinweisen, aber mittlerweile funktioniert das gut.
Du machst den Job jetzt seit gut einem Jahr. Wie sieht deine persönliche Bilanz aus?
Einerseits hat sich der Dialog verbessert, das ist wirklich essenziell. Auch die Wege sind kürzer geworden zwischen den unterschiedlichen Behörden. Mir ist aber besonders wichtig, dass der Job nicht nach hinten losgegangen ist. Die Nachtkultur ist und bliebt ein sehr fragiles Gebilde. Diesem Bereich gegenüber wird es immer eine gewisse Skepsis geben. Und dass die Behörden genau dieses Skepsis nicht mehr haben, ist ein sehr gutes Zeichen. Es ist ja auch wirklich einiges passiert: Wir haben Initiativen zum Thema sexuelle Gewalt gegen Frauen in Clubs gestartet, Pfandkästen eingeführt, Refills, die Toiletten in Bars und Clubs können kostenlos von allen genutzt werden, mobile Blitzer sind im Einsatz. Wir reden mit den Verkehrsbetrieben, um sicherzustellen, dass alle nicht nur in den Club kommen, sondern auch wieder nach Hause. Seit September gibt das Nachttaxi für Frauen, wo jede Fahrt mit sieben Euro von der Stadt bezuschusst wird. Da greift mittlerweile viel ineinander. Es geht mir auch darum, dass das Thema Nachtbürgermeister mehr Gehör findet und in anderen Städten übernommen wird. Ende Oktober machen wir dazu eine Konferenz – „NØK“ –, zu der wir Vertreter anderer Kommunen einladen und in Workshops ganz konkret deren Situation vor Ort beleuchten wollen. Dabei möchte das gleiche Konzept anwenden, das auch hier in Mannheim läuft: mit allen reden, nicht nur den Behörden, sondern auch Leuten aus der Szene. Ich wäre sehr dankbar, wenn es in Deutschland noch ein paar mehr Night Mayors geben würde. Im Moment bin ich ja Einzelkämpfer. Das mediale Interesse ist zwar groß, der Austausch mit anderen Städten würde mir aber auch gut tun. Um die Arbeit weiter voranzutreiben, würde ich mir auch wünschen, dass meine Stelle noch enger mit der Stadt Mannheim assoziiert wird. Aktuell arbeite ich für die Abteilung Kulturelle Stadtentwicklung bei „Startup Mannheim“ – einer Tochterfirma der Stadt. Das erschließt sich vielen nicht, aber auch da sind wir dran. Aber: Bei allen Wünschen zur Veränderung und Weiterentwicklung darf man nie vergessen, dass wir hier mit unserer Arbeit noch ganz am Anfang stehen. Die Szene ist klein. Jeder kämpft im Moment noch für sich. Es geht darum, dass wir uns alle besser kennenlernen und eine gemeinsame Stoßrichtung und Stimme entwickeln. Erst dann können wir wirklich geschlossen auftreten.