Die Flüchtlingskrise aus medizinischer SichtEin Interview mit der Charité-Oberärztin Meryam Schouler-Ocak

Migranten-Medizin-full

Meryam Schouler-Ocak ist Psychotherapeutin und leitende Oberärztin an der Berliner Charité. Arbeitsschwerpunkt der in der Türkei geborenen Ärztin: Die medizinische und psychotherapeutische Begleitung von Migranten, Flüchtlingen und Asylbewerbern. Monika Herrmann sprach mit ihr über Probleme, die sich angesichts der hohen Flüchtlingszahlen jetzt verstärken.

Frau Dr. Schouler-Ocak, die Psychotherapeuten-Kammer hat vor kurzem verstärkte Therapieangebote für Flüchtlinge angemahnt. Wie notwendig sind die?
Ich finde es sehr gut, dass sich die Kammer hier eingeschaltet hat. Die Therapie-Angebote für Migranten sind nicht ausreichend. Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass nicht alle Flüchtlinge und Asylbewerber, die jetzt nach Deutschland kommen und traumatisierende Erfahrungen gemacht haben, auch wirklich traumatisiert sind. Nicht jeder braucht gleich eine Psychotherapie. Zunächst einmal ist für viele sehr wichtig, ein Gefühl der Sicherheit, Kontrolle und des Vertrauens zu bilden. Perspektivisch steht die Gewissheit im Mittelpunk, ein Bleiberecht zu bekommen und natürlich eine sinngebende bzw. sinnstiftende Beschäftigung.

Warum ist das so wichtig?
Weil die Selbstheilungskräfte dadurch wieder in Gang gebracht werden. In dieser Phase sind die Menschen mit dem Ankommen beschäftigt. Stützende, klärende und entlastende Gespräche können sehr hilfreich sein. Bei psychischen Störungen sind selbstverständlich auch fachärztliche Behandlungen wirksam. Erst wenn all diese Maßnahmen nicht greifen und die Symptome der traumainduzierten Störungen fortbestehen, sollte eine psychotherapeutische Behandlung eingeleitet werden.

Meryam Schouler-Ocak Portait

Meryam Schouler-Ocak ist seit 2010 leitende Oberärztin der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig Krankenhaus. Foto: St. Hedwig Krankenhaus / Sylvia Thomas-Mundt

Ihr Schwerpunkt ist die Migranten-Medizin. Welche Besonderheiten sind da generell zu beachten?
Zunächst muss die Verständigung gewährleistet werden. Dies kann durch muttersprachliche Behandlung erfolgen. Wenn dies nicht geht, müssen qualifizierte Dolmetscher helfen. Denn in der Therapie ist die Sprache das Hauptarbeitsinstrument. Allerdings ist die Finanzierung der Dolmetscherkosten nach wie vor nicht geklärt. Sie werden von den Krankenkassen nicht übernommen. Hier besteht ein großer Klärungsbedarf.

Mit welchen Symptomen kommen die Migranten zu Ihnen?
Bei traumatisierten Patienten, Flüchtlingen beispielsweise, können es –unabhängig vom Geschlecht – Alpträume, Flashbacks, Ängste, Schlafstörungen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sein. Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, kommen etwa mit Unterleibsstörungen.

Die meisten Flüchtlinge werden in Deutschland bleiben. Sind Ärzte und Therapeuten darauf eingestellt?
Nein, die Ärzte und Therapeuten waren leider nicht einmal auf die bereits seit Jahrzehnten in Deutschland lebenden Migranten vorbereitet. Jetzt müssen sie sich auch zusätzlich auf die Flüchtlinge und Asylbewerber einstellen. Es bestehen verschiedene Zugangsbarrieren: fehlende interkulturelle Kompetenz, fehlende Offenheit und die fehlenden qualifizierten Dolmetscher.

Die Menschen kommen aus anderen Kulturen: Psychotherapie und psychische Krankheiten sind dort ja oft noch Tabus.
Genau. Wir wissen natürlich aus unserer bisherigen Arbeit mit Migranten, dass in unterschiedlichen Kulturen verschiedene Erklärungen für Störungen herangezogen werden. Das Verständnis von Psychiatrie, Therapie und Behandlungserwartungen ist regional sehr unterschiedlich. Und es gibt klare Tabuthemen: Scham, Schuld, Ehre und der Umgang mit Kranken. Sich hier auszukennen und reagieren zu können, ist für uns sehr hilfreich.

Sie haben selbst einen so genannten Migrationshintergrund. Können Sie sich besser einfühlen in die Probleme der Flüchtlinge als ihre „deutsch-deutschen“ KollegInnen?
Ich denke ja. Ich weiß, wie es sich anfühlt, nicht dazuzugehören, die anderen nicht zu verstehen. Einer ethnischen Minderheit anzugehören, macht etwas mit den Menschen. Sie sind viel mehr der sozialen Exklusion ausgesetzt. Viele Migranten berichten, dass es für sie leichter sei, sich einem anderen Migranten gegenüber zu öffnen.

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