Quartiermeister – Das Spenden-BierBrauen, trinken, helfen: Soziales Engagement als Geschäftsidee

quartiermeister lead neu

Kann man mit Alkohol Gutes tun, sozialen Mehrwert schaffen? Darf man das? Beim Projekt „Quartiermeister“ findet man: Ja, das kann und das darf man. Das Berliner Unternehmen verkauft seit fünf Jahren Bier, um damit soziale Projekte in der Stadt zu unterstützen. Verkauft wird im Lebensmittel-Einzelhandel, in Bars und in einigen Spätis. Bislang wurde das Bier fremdgebraut, neuerdings stellt man – in Wittichenau, woher auch das erste Quartiermeister-Pils kommt – ein eigenes Bier, ein Bio-Bier her. Dafür ist Matheo Gundermann verantwortlich. Ein jungenhafter, sportlicher Typ, der wenig in das Klischeebild des klassischen, gut bebauchten Brauers passt. So, wie das Unternehmen quer zum klassischen Bierkonzern steht. Aber wie genau funktioniert das Prinzip Quartiermeister? Das Filter hat mit dem Jungbrauer über sein Bier, das Unternehmen und dessen Vision gesprochen.

Das Bio-Bier schmeckt etwas bitterer als herkömmliches Pils von den großen Brauereien.
Genau, damit wollten wir dem allgemeinen Pils-Trend entgegengehen. Wir geben viel Hopfen rein und benutzen die Aromahopfensorten Perle, Tradition und Mittelfrüh aus der Hallertau. Es wird lange kalt gelagert, damit es seinen perfekten Geschmack bekommt. Wir wollten ein Pils, das die Nische zwischen Massen- und Genussprodukt besetzt.

Seid ihr zufrieden?
Die Leute rennen uns ziemlich die Bude ein.

Lange, kalte Lagerung, was heißt das denn genau?

Normalerweise verlässt ein Pils nach drei, vier Wochen Lagerung die Brauerei. Unser Bio-Pils erst nach sieben Wochen, es liegt bei null Grad im Tank. Dabei fallen die Gerbstoffe aus. Auf herkömmlichem Weg bewirkt man das mit Klärungsmittel, das nach der Filtration wieder aus dem Bier entfernt wird. Für ein Bio-Bier ist das aber nicht zulässig. Deswegen lagern wir länger.

Quartierbier Gif

Ein Bio-Bier passt ja gut zu einem Unternehmen wie eurem, das sich sozial engagiert.

Der Schritt lag nahe, geplant war es schon länger. Es ist aber nicht so einfach, gemäß der Biostandards zu produzieren. Unsere Brauerei hat sich dafür extra biozertifizieren lassen.

Eure Biere sieht man mittlerweile oft in der Stadt. Aber wie genau funktioniert Quartiermeister eigentlich?
100 Prozent des Gewinns werden in Sozialprojekte in der Nachbarschaft gespendet. Gewinn ist, was nach den Kosten für Gehälter oder Büroräume übrig bleibt. Wir sind ein Sozialunternehmen nach außen wie nach innen. Das heißt, wir wollen davon auch leben können. Was aber noch nicht so ganz klappt …

… inwiefern nicht?
Die ersten drei Jahre war Quartiermeister komplett ehrenamtlich. Es war einfach nicht genug Geld da, um sich selbst etwas bezahlen zu können. Seit anderthalb Jahren zahlen wir uns Gehälter aus. Die waren am Anfang sehr klein und werden nun staffelweise erhöht.

Ihr seid also keine gemeinnützige GmbH.
Wir sind eine GbR und wollen langfristig eine GmbH werden. Dazu gibt es den Verein, der das Unternehmen und seine Prinzipien kontrolliert. Mitmachen kann jeder. Der Verein hat die Befugnis, Wege zu weisen und Gelder zu vergeben. Er trifft auch die Vorauswahl der Projekte, die dann von den Konsumentinnen und Konsumenten auf der Webseite gewählt werden: Alle anderthalb Monate werden vier Projekte online zur Wahl gestellt, die beiden mit den meisten Stimmen nach sechs Wochen bekommen je 1.000 Euro. Anfangs hat das Team von Quartiermeister diese Projekte selbst ausgesucht, aber es wurde schnell klar: Wir sind kein Spiegel der Gesellschaft. Die Leute sollen selbst entscheiden.

Wie viel Geld ist bislang zusammengekommen?
Insgesamt haben wir bislang über 40.000 Euro in über 40 Projekte gegeben. Dieses Jahr allein 17.000 Euro, die haben wir mit dem Verkauf von 200.000 Liter Bier erwirtschaftet.

Die Kombination aus Getränkehersteller und einem Verein, der über die Verwendung des Geldes bestimmt, kennt man vom Tafelwasser „Viva con Agua“.
Ja, aber das Verhältnis ist ein ganz anderes: Deren Unternehmen ist klein, der Verein ist deutschlandweit aktiv mit zigtausend Mitgliedern. Wir haben fünfzig.

Und ihr konzentriert euch auf Berlin.
Wir sind vor allem in Berlin aktiv, haben aber letztes Jahr auch in Leipzig angefangen, Bier zu verkaufen. 2015 kam noch Dresden dazu. Wir haben uns gesagt: Bis 200 Kilometer ist für uns regional, deswegen können wir das Bier, das in der Lausitz gebraut wird, in diesen Städten verkaufen. Die in den Städten erzielten Gewinne bleiben in den Städten.

In Städten wie München oder Hamburg ginge das mit dem bisherigen Bier nicht.
In München wollen wir bald starten und dort ein anderes Bier brauen, ein Helles. Wir suchen gerade nach einer Brauerei, was nicht leicht ist, weil es nur wenige unabhängige gibt. Mit den Großen wollen wir nichts zu tun haben. Nach Hamburg soll es auch gehen.

Wachstum. Ein klassisches Wirtschaftsmodell.

Wachstum, aber langsam und nach unseren Prinzipien. Wir sind auch ohne Fremdkapital gewachsen, abgesehen von einem Privatkredit von 3.000 Euro ganz am Anfang, mit dem wir unsere Kisten bezahlen können. Ja, wir sind Teil der Wirtschaft, wollen aber zeigen: Man kann ein Unternehmen aufbauen, davon leben, damit wachsen und ein Konzept haben, das besser ist als das der alten Wirtschaft. Ein alternatives Wirtschaftsmodell.

Sollte jemand unsere Idee zu klauen und kopieren wollen: Wir freuen wir uns darüber.

Andere Brauereien spenden ja auch. Das Regenwald-Projekt …
… von Krombacher? Ja, damit vergleicht man uns oft. Ich will die Brauerei nicht schlecht reden, aber das hat aus meiner Sicht eher etwas mit Image zu tun. Solche Unternehmen sind groß geworden und denken sich dann: Wie können wir nach außen kehren, dass wir was Gutes tun, wie können wir einen Mehrwert für die Gesellschaft schaffen? Quartiermeister ist aus der Idee, einen sozialen Mehrwert zu schaffen, überhaupt erst entstanden. Wir geben alle Gewinne ab, nicht fünf Prozent, nicht zehn. Alle. Wir arbeiten nach einem Prinzip, das sich auf jedes Produkt übertragen lässt, auch auf Klopapier: Eine gute Idee, damit Leute anzuziehen, Geld zu generieren und alles abzugeben, was übrig bleibt, statt es in Marketing, Wachstum oder Einzelpersonen zu stecken. Und am besten entscheiden die Konsumenten, wohin das Geld geht.

Warum ausgerechnet Bier? Ein alkoholisches Produkt.
Sebastian, unser Gründer, war beeindruckt vom sozialen Engagement vieler Leute. Er wollte auch was tun, wusste aber nicht was. Seine Idee war dann, das gemeinsame Biertrinken, was ja schon etwas Soziales ist, umzustrukturieren: Bier getrunken wird sowieso, warum nicht etwas Gutes damit bewirken.

Der neue Gin „Refugin“ ist ähnlich gedacht: Gin wird eh getrunken, warum nicht den Gewinn zu 100 Prozent spenden? Doch stößt man auch dort auf Stirnrunzeln: Spirituose, Alkohol, Refugees, Muslime, passt das? Wie geht ihr mit diesem Stirnrunzeln um?

Der Kontroverse sind wir uns schon bewusst, haben aber auch schon Projekte wie ein Café für Obdachlose gefördert. Oder Kitas. In so einem Kontext ist das Thema Alkohol natürlich fragwürdig. Deswegen ist die Förderung unverbindlich. Niemand muss angeben, woher das Geld kommt.

Ein Flüchtlingsprojekt habt ihr zuletzt ja auch gefördert.

Bi´bak, einen interkulturellen Mittagstisch, der Flüchtlingen die Möglichkeit bietet, zu kochen und ihre Kultur dadurch zu verbreiten. Das Geld wurde für Küchenutensilien und Flyer verwendet, die auf das Angebot aufmerksam machen.

Quartiermeister Abfuellung

Das Bio-Bier in der Abfüllanlage.

Ist euch schon mal ein Wettbewerber in die Quere gekommen? Für die seid ihr ja, trotz des sozialen Ansatzes, Konkurrenz. Ein Bier, das ihr dem Kunden verkauft, verkaufen sie ihm nicht.
Bislang nicht. Dafür sind wir auch zu sehr Nischenprodukt. Ich glaube, die ganz Großen haben einfach kein Interesse an uns.

Und die Kneipen? Die sind ja oft an die ganz Großen gebunden, sprich bekommen Listungsgelder, Werbekostenzuschüsse und Rückvergütungen für erzielten Absatz von denen.

Klar, damit sind wir täglich konfrontiert: „Wir finden euch cool, aber Bierkonzern XY zahlt uns 20.000 Euro.“ Dann ist das halt so. Es gibt aber auch Läden, die uns reinnehmen. Die passen dann auch zu uns. Die sind cool drauf (lacht). 


Cool drauf sind ja auch viele neue kleine Brauereien, die Craft-Bier brauen. Wäre das zu speziell für euch?
Die Frage haben wir uns schon gestellt. Ein Pale Ale wäre vielleicht spannend gewesen. Aber wir haben uns dann gesagt: Wir sind ein Sozialunternehmen, das soll im Vordergrund stehen. Wir wollen nicht als das junge hippe Berliner Craft-Bier-Unternehmen wahrgenommen werden. Und mit einem Bio-Pils spricht man gerade in Bioläden, die wir im Fokus haben, wahrscheinlich mehr Leute an.

Also kein Craft-Bier.
Nächstes Jahr kommt vielleicht noch ein Bier von uns. Ein hopfenbetontes Lager, ein Pale Ale, alkoholfrei wäre auch toll. Mal sehen!

Matheo, vielen Dank.

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