Die Toten kommen nach BerlinDas Zentrum für Politische Schönheit bestattet Flüchtlingstote aus dem Mittelmeer
15.6.2015 • Gesellschaft – Text: Elisabeth GiesemannIn nur neun Stunden hat das „Zentrum für politische Schönheit“ via Crowdfunding genug Geld eingesammelt, um Flüchtlinge, die auf ihrem Weg nach Europa auf dem Mittelmeer ums Leben kamen, würdevoll zu bestatten. In Deutschland und nicht in anonymen Massengräbern vor Ort. Entwickelt sich die Unterstützung in diesem Tempo weiter, dann kann das Zentrum alle zehn geplanten Beerdigungen in Deutschland finanzieren. Die Leichen befinden sich bereits auf dem Weg nach Deutschland. In Berlin werden morgen früh eine Mutter und ihr zweijähriges Kind beigesetzt.
Was wissen wir eigentlich von Hunger, Vertreibung, Elend und Tod? Solche Erfahrungen und Lebensrealitäten liegen fernab des mitteleuropäischen Alltags und werden medial den Flüchtlingen aus dem globalen Süden auf die Körper geschrieben, die massenhaft im Mittelmeer ertrinken, verdursten und erfrieren.
Ein solches Leben und das Leid, das zahlreichen Menschen trotz der bekannten Gefahren keine andere Wahl als die Flucht lässt, ist hier in Deutschland, der Mitte Europas, nichts wert. Die Bilder von Tod und Vertreibung werden zu einem medialen Horrorspektakel, auf das die Zivilgesellschaft mit grausamer Handlungsunfähigkeit reagiert. Dabei sind nicht nur die zahlreichen Opfer zu beklagen - noch nie gab es so viele Flüchtlingstote auf dem Weg nach Europa wie heute -, sondern auch der Umgang mit ihren sterblichen Überresten.
Wie ist das möglich? Wie konnte es wirklich so weit kommen? Seit Jahrzehnten führt das immer gleiche Narrativ von Hunger und Elend – die nicht enden wollenden Meldungen zu Flüchtlingskatastrophen – zur Verrohung und Abstumpfung. Der Tod auf dem Mittelmeer ist abstrakt. Jetzt holt ihn das Zentrum für Politische Schönheit – spätestens seit der Entwendung von Trauerkreuzen für Mauertote in Berlin an die EU-Außengrenzen ein Begriff – nach Berlin. Um Bewusstsein zu schaffen, die dringend erforderliche gesellschaftliche Debatte anzustoßen und das Phänomen dort sichtbar zu machen, wo man es nicht länger ignorieren und wegschieben kann: bei uns vor der Haustür. Morgen, am 16. Juni um 10 Uhr, werden die Leichen einer Mutter und ihres zweijährigen Kindes auf dem muslimischen Friedhof Berlin-Gatow beerdigt. Beide ertranken auf der Flucht, irgendwo im Mittelmeer. Und wurden nun auf Sizilien aus einer anonymen Grabstätte exhumiert.
Doch das ist erst der Anfang. „Gemeinsam mit den Angehörigen haben wir zehn menschenunwürdige Grabstätten geöffnet und die Toten exhumiert. Sie sind jetzt auf dem Weg nach Deutschland“, erklärt Philipp Ruch, Chefunterhändler des Zentrums. Die weiteren Bestattungstermine werden kurzfristig bekannt gegeben, da aufgrund der Brisanz der Aktion mit Gegenwind gerechnet werden kann.
Das alles ist schockierend, nicht auszuhalten. Die Aktion des Zentrum für Politische Schönheit wendet sich gegen den bürokratischen Zynismus der politischen Entscheidungsträger Europas und Deutschlands, die Anonymisierung der Toten und deren Verrotten in den Massengräbern.
Bekannt ist soweit auch, dass am Sonntag, den 21. Juni der „Marsch der Entschlossenen“ zum Vorplatz des Kanzleramts führen soll, um diesen in eine Gedenkstätte für die Flüchtlingstoten zu verwandeln.
Das Zentrum für politische Schönheit ist für diese Aktionen weiterhin auf Spenden angewiesen, die vergangenen Projekte haben bereits gezeigt, dass die Bevölkerung durchaus Rückhalt gibt. Ihr könnt hier am Crowdfunding teilnehmen.