Fotoreportage: Dokumentation eines TierversuchsFabian Zapatka schaut in seinem Buch „Perspectives Part 1“ ganz genau hin
12.12.2016 • Gesellschaft – Text & Bilder: Fabian ZapatkaFilter-Kolumnist Fabian Zapatka hat im April sein erstes Buch veröffentlicht. „Perspectives Part 1“ dokumentiert Tierversuche, wie sie in einem deutschen Forschungslabor durchgeführt werden. Hier geht es nicht darum, neue Kosmetika zu testen; vielmehr steht medizinische Grundlagenforschung im Mittelpunkt, konkret neue Therapieansätze bei Lungenversagen. Sechs Monate besuchte Fabian das Labor regelmäßig und hat auch schon darüber berichtet. Jetzt hat er für Das Filter exklusiv einige Bilder aus seinem Buch ausgewählt und ihnen zum besseren Verständnis ein kurzes Protokoll seiner persönlichen Erlebnisse während eines Versuchtages zur Seite gestellt.
Ein weitläufiges Krankenhaus-Gelände. Stein und Beton im Wechsel. Geschützt in einem steinernen Arkadengang stehen rauchend Mitarbeiter in grünen und blauen Kitteln. Wie mehrmals täglich landet auf dem Dach des Gebäudes ein Hubschrauber. Er transportiert einen schwerkranken Menschen zur Behandlung in der hochmodernen intensivmedizinischen Abteilung. Mir wird von dem qualvollen Alltag berichtet, durch den Ärzte und Pfleger die Patienten der Lungenstation begleiten. Dass oft selbst modernste Therapien das Leben der Patienten nur wenig verlängern. Einige der behandelnden Ärzte forschen im selben Komplex, um neue, bessere Therapien zu finden.
##1.) Im Operationssaal
In wenigen Stunden wird ein Schwein auf dem OP-Tisch liegen. Natürlich ist es weder krank noch verletzt. Es liegt dort stellvertretend für den Menschen, dem diese Grundlagenforschung vielleicht eines Tages helfen wird.
##2.) Im Gatter
Die Versuchstiere leben auf dem selben Klinikgelände wie die Patienten. Veterinäre kümmern sich um die Gesundheit. Tierpfleger betreuen sie. Aufmerksam wird nach jedem einzelnen Tier – ob Maus, Ziege, oder Schwein – gesehen. Bei meinem ersten Besuch hatte sich eine Maus die Kralle einer Pfote beinahe abgerissen. Mit viel Geduld versuchten Veterinär und Pfleger eine geeignete Behandlung zu finden. Einfühlsam erforschten sie die Schmerzen der Maus. Eines der Schweine im Nachbarraum soll heute während des Versuchs keine Schmerzen empfinden, sondern friedlich einschlafen und nicht mehr aus der Narkose erwachen. Als die Pflegerin die Tür in das geräumige Gehege öffnet, stürmen ihr die Schweine entgegen. Drängeln sich am Gatter. Zur Ablenkung streut sie Zuckerstücke auf den Boden. Während sie fressen, setzt sie einem Ferkel die Betäubungsspritze.
##3.) Im Labor
Zeitgleich im Labor: Alles sieht aus wie gestern Abend als ich die Klinik verlassen habe. Zurück auf Anfang. Als wäre nichts geschehen. Die tägliche Routine. Es liegen bereit: blockbarer Tubus (6.5 mm), Laryngoskop mit gerader Klinge (30 cm), Beatmungsmaske für Schweine, zwei Schlingen zum Öffnen der Schnauze, 10 ml luftgefüllte Blockspritze, Ösophaguskatheter mit Führungsdraht, dünnes braunes Klebeband, Stethoskop.
##4.) Nach der Narkose, auf dem Weg in den OP
Die Tierpflegerin und die medizinische Assistentin wuchten das Tier auf eine Liege. Zum Transport wickelt die medizinische Assistentin das Schwein in ein Tuch. Während die Narkose zu wirken beginnt, bleibt es so von äußeren Einflüssen geschützt. Heute brauchte es mehr Betäubungsmittel als üblich. Lange hat das Schwein sich gegen die Narkose gewährt, jetzt schläft es. Das Tuch soll beruhigen, abschirmen auf dem Weg zum OP. Dort wird es sofort über eine Maske beatmet und ein zweites Mal anästhesiert. Wie beim Menschen wird bei der Anästhesierung mit großer Sorgfalt gearbeitet.
##5.) Beginn
Das Schwein wird mit Schlingen auf dem OP. Tisch fixiert. Der assistierende Arzt presst die Beatmungsmaske über die Schnauze des Tieres. Noch atmet es spontan. Wie es beinahe jeden Abend in Krankenhaus-Serien beim Menschen zu sehen ist, wird das Tier intubiert. Der Hals aufgeschnitten und ein Schlauch eingeführt. So können die Ärzte die Atmung des Tieres steuern. Es atmet nun nicht mehr selbstständig.
##6.) Überwachung
Skalpell, Pinzetten, Haken, Schere, Tupfer, Spritze, Nadel und Faden alles wie in jedem modernen OP. Das Tier atmet nun durch einen Schlauch, über ein Beatmungsgerät. Die Ärzte legen Katheder. Auf mehreren, verschieden großen Bildschirmen lassen sich die Werte des Tieres überwachen.
##7.) Lungenschaden
Inzwischen hat das Schwein absichtlich einen schweren Lungenschaden erlitten. Hier darf nicht stehen, wie die forschenden Ärzte im Detail dabei vorgegangen sind. Auch damit keine Rückschlüsse über den Ort dieses Versuchs möglich sind. Ein junge Schwester hat das Tier in eine goldene Wärmedecke gewickelt. Während der Betäubung darf es nicht auskühlen. Wie wir, wenn wir während des Schlafs eine Decke um uns wickeln, um nicht zu frieren. Fürsorglich sieht das aus. Überhaupt ist sie die einzige, die sich dem Tier immer wieder liebevoll zuwendet, ihm über die Schnauze streichelt. Die Hand scheinbar beruhigend auf seine Haut legt.
##8.) Warten
Stunden sind vergangen. Nach der Aufregung zu Beginn des Tages, dem Quieken der Schweine, der Hektik, als das Tier auf dem OP-Tisch landet, passiert in letzten Stunden für den Außenstehenden nicht viel. Obwohl diese Stunden die entscheidenen für die Forschung sind. Die Monitore werden überwacht. In geplanten Dosen wird die neue Therapie angewendet. Die Ärzte vergleichen die Werte, die Effizienz der Atmung, mit oder ohne die Therapie. Immer wieder wird Blut abgenommen. Aus meiner beobachtenden Perspektive liegt das Tier ruhig unter seiner goldenen Decke und atmet. Durch die künstliche Beatmung atmet es außergewöhnlich ebenmäßig.
##9.) Das Tier ist tot
Plötzlich ist die Versuchszeit abgelaufen. Der festgelegte Zeitrahmen, um den Versuch vergleichen zu können. Das Tier erhält eine tödliche Dosis Betäubungsmittel. Allerdings will dieses Schwein nicht so leicht aufgeben. Immer noch ein Puls, wo keiner mehr sein sollte. Nach einer nochmaligen letalen Injektion, schließlich die Nulllinie. Das Tier ist tot.
##10.) Abbau
Katheder, Tubus werden entfernt und auch die Wärmedecke wird zusammengefaltet. So liegt das tote Tier jetzt nackt mit all seinen Wunden auf dem Tisch. Nachdem weitere Forscher Organe für andere Versuche entnommen haben, kommt die Tonne. Der Kadaver wird vorsichtig hinein geworfen und in den Keller gebracht, wo er schließlich verbrannt wird.
##11.) Aufräumen
Vor dem Versuch ist nach dem Versuch. Die junge Schwester räumt auf. Putzt den OP. Plastiktüten werden für die Entsorgung der medizinischen Abfälle vorbereitet. Ich begleite die Schwester nach draußen. Der forschende Arzt begibt sich auf die Intensivstation, um nach einer jungen Frau sehen. Mukoviszidose heißt ihre Krankheit. Der Körper wendet sich gegen den Menschen. Die Lunge verschleimt nach und nach. Der Versuch heute könnte einmal dazu beitragen, Menschen mit diesem Krankheitsbild besser zu therapieren. Vielleicht wird aber auch nie eine neue Therapie daraus entstehen. Wir verabschieden uns in der Sonne. Immer noch benommen, nach der Sauerstoffknappheit im OP. Ich radle am Fluss entlang nach Hause. So gern möchte ich jetzt Krankheit und Tod, den Alltag im Krankenhaus und auf der Tierversuchsstation verdrängen. Aber ich bin ein Teil dieses Systems. Ich nehme Medikamente und wünsche für mich und meine Lieben die optimale, modernste medizinische Therapie. Also sterben diese Tiere dort täglich auch für mich und ich bin mit verantwortlich.
##Nachtrag
Ich kann nicht wirklich beurteilen, ob diese Versuche notwendig sind oder nicht. Dieses Buch soll nicht für oder gegen Tierversuche Stellung beziehen. Einziges Anliegen der Publikation ist es, ein Bewusstsein für diesen verdrängten Teil unseres Lebens zu schaffen. Die Bilder sollen objektiv zeigen, was ich dort im Labor gesehen und erlebt habe.
Ursprünglich war geplant, den Fotos ein Interview mit dem forschenden Arzt zur Seite zu stellen. Dieser hatte bereits eingewilligt als in der FAZ, der Zeit und dem Tagesspiegel ganzseitige Anzeigen vom Verein Tierversuchsgegner Bundesrepublik Deutschland geschaltet wurden. Die Anzeigen lasen: „Tierexperimentatoren sind Wesen besonderer Art – man sollte sie nicht leichtfertig Menschen nennen.“ Dazu sah man ein Foto des Bremer Primaten-Forschers Andreas Kreiter mit einem fixierten Affen. Kreiter und seine Familie wurden daraufhin massiv bedroht. Ein Dialog über die Sinnhaftigkeit seiner Versuche kam nicht zu Stande. Leider stand der forschende Arzt nach Abschluss meiner Dokumentation nicht mehr für ein Interview zur Verfügung. Ich bedaure sehr, dass zu diesem Thema kein offener Dialog möglich zu sein scheint.
Ich hoffe inständig mit meiner Arbeit einen Beitrag zu solch einer hoffentlich fruchtbaren Debatte geleistet zu haben.
Fabian Zapatka, Perspectives Part 1, ist bei Distance Over Time erschienen und kostet 40 Euro.
Edition - 300. 48 pages, hardcover, handbound.
Numbered and signed by the artist.
Printed and bound in Berlin, Germany. Format 30 x 24 cm.
Details - Embossed photo on the cover and text insert.