GentrifizierungWenn Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben werden
14.4.2014 • Gesellschaft – Reportage: Monika HerrmannDie Gentrifizierung der großen Städte ist nicht aufzuhalten. Den aus ihren angestammten Vierteln Vertriebenen muss man dennoch zuhören. Aus Berlin berichtet Monika Herrmann.
Im „Café Kotti“ im Berliner Stadtteil Kreuzberg ist ordentlich was los. Der Grund: Es ist ein Ort für jene, die nicht mehr weiter wissen, die Angst und Panik haben vor der Zwangsräumung ihrer Wohnung. Die Betroffenen leben oft seit Jahrzehnten in Kreuzberg. Doch jetzt können sie die hohen Mieten nicht mehr zahlen. Ganz normale Familien sind es, alte Menschen mit kleinen Renten, Studenten oder Alleinerziehende. Manche, die im Café sitzen, haben ihre Bleibe schon verloren und leben in Notunterkünften. Der Grund: Zwangsräumung. Die 24-jährige türkischstämmige Layla wurde auch zwangsgeräumt, vertrieben aus dem Kiez, in dem sie aufgewachsen ist. Aber sie hatte noch Glück. Sie und ihre kleine Tochter fanden eine neue Wohnung, allerdings am Stadtrand.
„Layla wurde praktisch auf die Straße gesetzt“, erzählt Ercan Yasaroglu im Café Kotti. Der Sozialarbeiter hatte verzweifelt versucht, die Zwangsräumung von Layla zu verhindern. Vergebens. Die Mietforderungen des Hausbesitzers waren für die junge Frau unbezahlbar geworden. Kein Einzelfall. „Investoren und Immobilienfirmen aus aller Welt haben Kreuzberg entdeckt und wollen die Kieze aufmotzen“, sagt Yarsaroglu. „Es geht um Luxusmodernisierung, um Rendite, an die Menschen denkt niemand“. Die soziale Mischung, die es hier mal gab, sei weggebrochen. „Erst steigen die Mieten, dann werden die Wohnungen luxusmodernisiert und Stück für Stück teuer verkauft, nach einer Weile wieder verkauft zu noch höheren Preisen“. Yasaroglu, den alle hier nur Ercan nennen, kennt viele Kreuzberger, die jetzt in Angst leben. „Um nicht obdachlos zu werden, ziehen viele von ihnen weg, nehmen was sich bietet, Hauptsache die Miete ist zu bezahlen. Aber sie verlieren ihre Heimat“. Ercan raucht Kette beim Gespräch im Café Kotti. Er wirkt angespannt, weil er täglich mit dem Problem der Verdrängung von Menschen konfrontiert ist. „Die Leute leben wie auf einem Schleudersitz. Sie wissen nicht, ob morgen oder nächste Woche die Bautrupps anrücken und ihre Wohnung einfach auseinanderreißen“, sagt er.
Auch Ozman hat Angst. Innerlich hat sich der alte Mann längst auf seinen Auszug aus der Wohnung im Kiez vorbereitet. Jetzt sitzt er am Kiosk direkt vor dem U-Bahneingang Kottbusser Tor und sucht in der Zeitung nach Wohnungsangeboten. Vor 30 Jahren haben er und seine Frau ein kleines Dorf im Osten der Türkei verlassen und in Kreuzberg eine neue Heimat gefunden. „Wir leben dort drüben“, sagt er und zeigt auf die andere Seite des Platzes. Ozman erzählt von einer Mieterhöhung über 250 Euro, die bei ihm auf dem Wohnzimmertisch liegt. „Das ist doch Wahnsinn“, sagt er und schüttelt den Kopf. Weil heute Freitag ist und Ozman frommer Muslim, muss er sich verabschieden: „Ich muss rüber in die Moschee zum Beten“.
Seit gut einem Jahr steht eine kleine Bretterbude gleich neben dem U-Bahn-Eingang. Aktivisten treffen sich hier, um den Protest gegen Zwangsräumungen zu organisieren. Sie setzen sich im aktuellen Fall dann vor den Hauseingang und versuchen, das Räumkommando inklusive Gerichtsvollzieher und Vermieter nicht ins Haus zu lassen. Dann rückt die Polizei an, auch mit Hubschraubern. Es gibt Festnahmen. Ercan erzählt von Rosemarie, einer kranken und gehbehinderten alten Frau, die wegen Mietschulden auf die Straße gesetzt wurde. In einem Obdachlosenheim fand sie eine Notaufnahme und starb zwei Tage später dort.
Keine Profite mit der Miete
Gentrifizierung – unter diesem Begriff findet die Vertreibung von Menschen aus ihren Quartieren statt. Investoren kaufen marode Häuser auf und versprechen Modernisierung, besseres Leben und schöneres Wohnen. Das klingt erst einmal gut. „Doch die Opfer dieser Taktik sind die Armen“, sagt Andrej Holm. Auf seinem Blog dokumentiert der Berliner Stadtsoziologe, welche Auswirkungen die Gentrifizierung hat. „Menschen werden heimatlos“. Viele der Investoren leben gar nicht in Deutschland, sondern in Abu Dhabi, Florida oder Kapstadt. Holm kritisiert, dass die Städte und ihre Politiker auf all das kaum Einfluss hätten.
Rund 6.000 Mieter sind im letzten Jahr allein in Berlin von einer Zwangsräumung betroffen gewesen. „Die Stadt braucht endlich Wohnungen, die normale Menschen bezahlen können“, heißt es beim Berliner Mieterverein. Doch das kann dauern. Noch zittern immer mehr Menschen um ihre Bleibe. Roman und Hanna Czapara kämpfen seit rund vier Jahren um ihre Wohnung. Vor 25 Jahren sind sie aus Polen zugewandert. Ein sportlicher Mann, der als Trainer für Fußballvereine Arbeit fand und seine Frau, die gelernte Krankenschwester, wohnen seitdem im Berliner Stadtteil Moabit. Im Klartext: auf einer riesigen Baustelle. „Es geht um exorbitante Mieterhöhungen, Luxusmodernisierung und Entkernung des Hauses“, erklärt Hanna Czapara das Chaos. Wer das Ehepaar besucht, muss vor dem Hauseingang abgeholt werden. Die Klingelanlage ist außer Betrieb. Der Fahrstuhl auch. Überall liegt Bauschutt im Haus. Mal wird der Strom abgestellt, mal das Wasser. „Das sind die Schikanen unseres Investors“, erklärt Roman Czapara. Nur noch fünf Mieter leben hier. Sie kämpfen mit ihren Anwälten verbissen gegen die Luxusmodernisierung und ihre Vertreibung. Sie nehmen zugemauerte Fenster, Lärm und Dreck in Kauf, „weil hier in diesem Haus unsere Heimat ist“. Und warum sind sie nicht längst weg gezogen, als alles noch nicht so schlimm war? „Weil wir auch Rechte haben und eine Würde, die man uns nicht so einfach nehmen kann“, sagen die Czaparas. „Keine Profite mit der Miete“, steht auf dem Transparent, das sie vor ihrem Balkon aufgehängt haben.
„Die Stadt braucht endlich Wohnungen, die normale Menschen bezahlen können“.
Susanne Torka kämpft auch. Dreimal in der Woche berät die studierte Ingenieurin im „B-Laden“ Menschen, die Angst haben: vor horrenden Mietforderungen, vor unerträglichem Baulärm, vor Klagen und schließlich vor Zwangsräumungen. Der B-Laden (B steht für Betroffene) liegt auch in Moabit und ist – wie das Café Kotti - zu einer Art Zufluchtsort geworden für die Verzweifelten, aber auch für die Kämpfer, die sich vernetzt haben, runde Tische organisieren oder knallharte Proteste. Susanne Torka ist vor Ort, wenn es eine Räumung gibt und sorgt dafür, dass die vernetzten Aktivisten protestieren und die Geräumten nicht allein bleiben.
Auch Gerhard Schmidt geht, wenn er mit seinem Vermieter mal wieder richtig Ärger hat, in den B-Laden. Der Rentner lebt seit 30 Jahren im Moabiter Kiez. Jetzt haben Investoren aus Florida das alte Haus gekauft. „Das sind reiche Leute, die hier alles aufmotzen“, sagt er. Soll heißen: Luxus-Modernisierung. Und die zieht dann erhebliche Mietsteigerungen nach sich. Schmidt sagt, das sei nur der Anfang. Die Wohnungen sollen eigentlich verkauft werden. Er hat sich einen Anwalt genommen und will trotz allem bleiben, sich nicht vertreiben lassen. „Aber ich bin fast allein hier“, lacht er. Die meisten ehemaligen Nachbarn sind längst weggezogen. Aber Schmidt ist auch so ein Kämpfer, wie die Czaparas zum Beispiel. Zusammen mit anderen organisiert er Protestdemos.
Michael Rannenberg gehört auch zu denen, die nicht schweigen zur Vertreibung. 40 Jahre war er Pfarrer der Moabiter Heilandsgemeinde. Er kennt den Kiez wie seine Westentasche und vor allem die Menschen. Erst kürzlich sei eine Familie nach zweijährigem Streit um die Miete zwangsgeräumt und regelrecht auf die Straße gesetzt worden, erzählt Rannenberg. Er hat in den letzten Jahren immer wieder erlebt, dass Menschen aus seiner Gemeinde einfach verschwunden sind, aus Angst vor unbezahlbaren Mieten irgendwo hingezogen seien, wo sie sich jetzt fremd fühlen. Was er und die anderen Aktivisten besonders kritisieren ist, „dass der Berliner Senat nicht genügend eingreift, dass er die Investoren sogar noch unterstützt, wenn sie ihre Luxusmodernisierungen ankündigen“.
Jetzt gibt einen kleinen Hoffnungsschimmer: Der Senat hat für einige Kieze den so genannten Milieu-Schutz eingeführt. Im Klartext: Dort soll erst mal alles so bleiben wie es ist. Also bleiben statt vertreiben. „Mal sehen, was daraus wird“, fragt Ercan. Der Kreuzberger Sozialarbeiter traut dem Milieu-Schutz nämlich überhaupt nicht.