Jazz who’s back?Ein Bericht vom XJAZZ in Berlin
12.5.2015 • Kultur – Text: Ji-Hun Kim, Bilder: Susann MassuteWenn eine Musik heutzutage einen schlechten Ruf hat, dann ist es wahrscheinlich der Jazz. Man verbindet damit dudeligen Rentner-Fusion als musikalische Untermalung des Deutschlandfunks, Stehtisch-Matinees in der westdeutschen Provinz, bei denen weißweindruckbetankt um die Wette mit den Fingern geschnippt wird, oder man erinnert oberlehrerhafte und bierernste Impro-Abende in sogenannten Jazz-Cafés, die den Knüppel so tief im Hintern trugen wie ein in die Jahre gekommenes Capri-Eis.
Dabei war Jazz seinerzeit mal subversiv. Viel mehr eine Einstellung und Attitude als musikalische Stilgattung. Jazz befreite Musiker vom Dirigenten und von starren tonalen, so wie hierarchischen Vorgaben. Die ersten kleineren Jazz-Ensembles waren die Blaupause des Typus Rock-/Pop-Band. Jazz schuf erstmalig Töne auf klassischen Instrumenten, die die zwölf Noten der Tonleiter nicht abbilden konnten. Jazz spielte außerdem eine wichtige Rolle in der Emanzipation der afroamerikanischen Gemeinschaft in den USA. Jazz war – heute würde man sagen – ziemlich disruptiv.
HipHop, Techno, House und viele andere zeitgenössische Sounds wären ohne Jazz nicht denkbar. Um der ganzen Sache die nötige Wertschätzung zu schenken, bedarf es aber keinem Hochhalten und Anpreisen alter musealer Urnen. Eigentlich ist immer noch sehr viel Musik Jazz, nur heißt sie vielleicht nicht mehr so oder wird woanders schubladisiert. Aber man kann ihn finden, diesen Vibe, diese Freiheit und dabei geht es nicht nur darum, Charlie-Parker-Samples für tumbe HipHop-Beats zu verwursten. Das Festival XJAZZ, das vergangene Woche zum zweiten Mal in Berlin-Kreuzberg stattfand, versucht genau diese und andere Schnittstellen zu präsentieren. Das bedingt, dass der Begriff Jazz weiter und offener gefasst werden muss. Da zählen Elektronik-Spielarten genau so dazu wie Neo-Klassik (sobald jemand ein besseres Wort dafür findet, wird es sofort in unseren Sprachgebrauch übernommen, versprochen), aber auch Helden wie Little Louie Vega (Masters at Work), Nightmares on Wax oder Jimi Tenor. Man ist ja auch in Kreuzberg, dessen musikalischer Horizont – auch klischeebedingt – spätestens beim zweiten Punkpowerchord aufhören müsste. Da ist klassischer Jazz traditionellerweise Feindesmusik. Ein zeitgemäßer, liberalerer Approach tut der Sache also nur gut.
Was hat der jüdische Comedian Oliver Polak mit dem jungen House-Überflieger Max Graef mit dem Kölner Kompakt-Impressario Gregor Schwellenbach mit David August zu tun? Nicht viel – eigentlich. Im Kontext war diese Mischung auf dem XJAZZ jedoch erfrischend und spannend. Die „Festival-Meile“ zwischen Lausitzer Platz und Schlesischem Tor sympathisch gut besucht, das divers-durchmischte Publikum eher an der Musik als am Spektakel interessiert. Wenn man popkulturell alt wird, so geht es einem durch den Kopf, dann vielleicht so. Fühlt sich gar nicht so schlecht an, vor allem, wenn die Wege so kurz sind. Großartig und inspirierend war das Konzert des Andromeda Mega Express Orchestra im Lido. Virtuos, zwischen bombastischem Blaxploitation-Soundtrack, Ornette Coleman und mit der sanften Melancholie der Weilheim-Szene. Ökonomisch gesehen eine Katastrophe, wenn man sich fragt, wie man 20 Musiker mit so einem Unternehmen aushalten möchte.
Aber gerade in Zeiten, wo Livemusik oft nur noch aus Laptop und Mikrofon besteht, war das erhellend, beeindruckend und vor allem ganz schön tight. Der Hamburger Dandy Jacques Palminger trat mit seinem 440 Hz Trio auf. Ein letzter seiner Art. Der herrschaftlich ergraute Crooner mit traurig-zynischem, aber dennoch messerscharfem Humor. Der eingangs erwähnte Oliver Polak war als Stand-Up-Comedian eine Ausnahme im Programm, aber Stand-Up kann im Bestfall auch etwas von einem guten Freestyle-Rap haben. Dreckige Zoten und politische Unkorrektheiten wie aus einer UZI. Jazz war an der Darbietung aber ohne Frage Polak selbst. Der verkannte, geknickt-depressive Individualist mit Drogenproblemen, der nur noch durch seine Kunst einen Zugang zur Öffentlichkeit findet. Wir wünschen ihm dennoch nicht das gleiche Schicksal wie Chet Baker und Zeitgenossen. Denn Polak ist bisweilen zum Schreien komisch und eine Ausnahmeerscheinung im sonst so verfickt-langweiligen deutschsprachigen Comedy-Business. Das hat auch sein „Durch die Nacht“ mit Haftbefehl auf Arte unlängst bewiesen.
Dass so ein Festival in der Lage ist magische, einmalige Momente zu schaffen, zeigte der Samstag in der Emmaus-Kirche. Dort präsentierten die viel gefeierten Grandbrothers ihr Album Dilation. Ob der Resonanz, des wunderschönen Settings und der Hingabe des Publikums waren die beiden Musiker derart geflasht, dass nur verlegen-schüchterne Sprachfetzen durch die PA flüsterten. Ganz als hätte man einem kleinen Jungen ungefragt den Star-Wars-Todesstern aus Lego in Originalgröße zum Namenstag geschenkt. Da ist nicht nur der Zuschauer sondern auch der Künstler baff und bekommt den Mund nicht zu.
Das XJAZZ bewies das Potential unterschiedliche Szenen zusammenzubringen: vom Philharmonie-Besucher, Alt-Punk bis zum eisenharten Raver. Der Unterton – akademisch angehaucht, entspannt reserviert und Musik liebend. Da dürfte dieses Jahr eine gute Basis für die kommenden Jahre geschaffen worden sein. Wie wär’s mit Helge Schneider trifft MF Doom, Flying Lotus mit der WDR Big Band oder Plastikman unplugged? Da geht doch noch was, bei dem Ding, das früher mal Jazz hieß.