„Places. Vergangene Orte der Berliner Club- und Subkultur“Buchrezension: Berliner Dancefloors und ihre Geschichte

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Alle Illustrationen: Tine Fetz | Tresor in der Leipziger Straße

Tine Fetz und Daniel Schneider lassen in ihrem umfangreich kommentierten Illustrations-Band „Places“ Berliner Club-Geschichte Revue passieren. West-Berlin. Ost-Berlin. Vor und nach dem Mauerfall. Dabei geht es nicht um verklärte Storys aus dem Nachtleben, sondern um dokumentarische Gründlichkeit.

Clubs kommen und gehen. Wissen wir, daran haben wir uns gewöhnt. Nichts ist für die Ewigkeit. Das gilt auch 2022 – vielleicht mehr denn je. Auch wenn aktuell vor allem wirtschaftliche Zwänge und behördliche Vorgaben den Ton angeben: Zwischennutzungen, Neuwidmungen und – immer seltener – selbstbestimmte Ermächtigungen sind der Puls, in dem die Nachtökonomie ihren Beat findet. Nothing lasts forever.

Dass das schon immer so war – also kein Phänomen der 1990er- und 2000er-Jahre ist –, zeigen Illustratorin Tine Fetz und Autor Daniel Schneider in ihrem Band „Places“. Und zwar auf die genau richtige Weise. Das Autor:innen-Team gibt sich nicht dem historisch-offensichtlichen Missverständnis hin, dass Clubbing in Berlin erst nach dem Mauerfall 1989 begann und/oder relevant wurde. Statt dieser offensichtlichen Fehlleitung widmen sie sich insgesamt 60 Orten, in denen auch schon vor dem 9. November 1989 Subkultur gelebt wurde – hüben wie drüben.

Das Bikini Haus mit Blick auf das Linientreu

Das Bikini-Haus in der City West. Auf der Seite im Vordergrund befand sich im Keller das „Linientreu“, im ersten Stock das „Society“.

Wie im Westen ...

Da ist zunächst der große Block West-Berlin. Die Stadt ohne Sperrstunde. Die zu Tode subventionierte Insel inmitten des Einflussbereichs Moskaus. Die Stadt, in der es nur behelfsmäßige Personalausweise gab, niemand zur Bundeswehr musste und ein Ortsgespräch für 20 Pfennig 34 Jahre dauern konnte. Freiheit und Spießigkeit, Einengung und der Stinkefinger der vermeintlichen Unabhängigkeit. Es wurde geravt und geprasst. Das war kein Tanz auf dem Vulkan, sondern ein Arrangement mit der Realität. Und wenn überhaupt, dann traf man die „Beschützer:innen“ nachts vollkommen betrunken in der U-Bahn, auf dem Weg zurück in die Kasernen. Oder bei der jährlich stattfindenden Militärparade auf der Straße des 17. Juni – mit Scharfschützen auf den Dächern der umliegenden Hochhäuser der Bauausstellung von 1957 und den auf ihren Auftritt wartende Panzer. Eigentlich doch ein Tanz auf dem Vulkan.

Fetz und Schneider machen sich von all dem frei. Sie zeigen die Locations und erzählen deren Geschichte anhand der Architektur und Historie. Das liest sich wie ein längst überfälliger Befreiungsschlag aus dem verklärten Storytelling der raving society. Das ist wichtig, weil: West-Berlin war immer viel mehr als Hedonismus. Zwischen GI-Diskos, Abbruch-Punk, Hippie-Kultur, harten Beats und vollständig komatösem Absturz entwickelte sich in den West-Sektoren der Stadt ein subventioniertes Paralleluniversum des Lockerlassens. Der Kniff, sich dieser Gemengelage über die Historie der Gebäude zu nähern, ist brillant und informativ. Haus. Geschichte. Beats. Oft geht diese Gleichung auf. Manchmal auch nicht.

Die Brücke zur Insel der Jugend im Treptower Park Berlin

Die Brücke zur Insel der Jugend im Treptower Park. Seit 1984 gab es hier den Jugendclub Pablo Neruda. Nach der Wende fanden zahlreiche Techno- und HipHopPartys, sowie Konzerte statt.

... so im Osten

Das gilt auch für den Ostteil der schon längst wieder zusammengewachsenen Stadt. Tatsächlich ist die Geschichte der beiden Stadthälften in Sachen Clubkultur gar nicht so unterschiedlich, wie man zunächst glauben könnte. Auch in Ost-Berlin gab es Orte der Kultur. Natürlich wurden die bis 1989 anders bespielt – restriktiver. Die Locations blieben aber erhalten bzw. wurden neu entdeckt. Mit neuem Style und anderer Herangehensweise. In the great scheme of things gibt es hier natürlich mehr zu entdecken. Viele Orte dieser in der Wendezeit neu gewidmeten Locations haben mehr Strahlkraft als West-Berliner Discos. Aber stimmt das wirklich? Viele der in „Places“ vorgestellten „Kulturstätten“ sind längst wieder verschwunden, haben einen kurzen mehr oder weniger heftigen Fußabdruck im Berliner Nachtleben hinterlassen. Und dieser kulturelle Aspekt ist dabei oft gar nicht wirklich entscheidend. Häuser, architektonische Visionen und Ideen – dem kollektiven Schwof des Kollektivs gewidmet, ganz egal wie das Kollektiv wirklich schwofen wollte.

„Places“ ist ein wundervoller Bildband. Anders als in Fotobüchern wie „Berlin Wonderland“ geht es den Autor:innen nicht um eine teils romantisierende Erinnerung – auch total okay –, sondern vielmehr um Fakten und Informationen zu den Locations, Häusern und Gebäuden, in denen unsere heutige Dance-Kultur entstand und geprägt wurde. Das Gepräge ist wichtig. Denn trotz allem Fortschritt ist es immer eine gute Idee, regelmäßig der Vergangenheit zuzuhören.

Tine Fetz, Daniel Schneider, Places. Vergangene Orte der Berliner Club- und Subkultur, ist im Ventil-Verlag erschienen. Broschur, 128 Seiten, 20 €.

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