This Is So Contemporary! Das Filter guckt Kunst# 10: Edvard Munch in der Berlinischen Galerie

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Edvard Munch, Der Tag danach, 1894, Foto: © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett

Die Ausstellung „Edvard Munch. Zauber des Nordens“ in der Berlinischen Galerie ist eine Kooperation mit dem MUNCH in Oslo. Sie erzählt anhand von 90 Werken aus Malerei, Grafik und Fotografie vom Bezug des norwegischen Malers zu Berlin.

Ende des 19. Jahrhunderts hat man von skandinavischen Künstlern in der Berliner Kunstszene vor allem eins erwartet: Schöne Motive, zum Beispiel romantische Fjordlandschaften. Edvard Munch wollte während seiner Zeit in Berlin davon nichts wissen und ließ die impressionistische Malerei hinter sich. Stattdessen irritierte der Norweger den Kunstdiskurs mit seiner expressiven und Malerei. Andere sprechen von Skandal.

In Berlin brachte sich der Künstler ab 1894 die Techniken der Radierung und der Lithographie, einem bestimmten Druckverfahren, bei. Im selben Jahr fertigte er die Kaltnadelradierung „Der Tag danach“ an, für damalige Verhältnisse ein ziemlich provokantes Motiv: Eine junge Frau liegt angezogen im Bett und schläft nach durchzechter Nacht ihren Rausch aus. Als Zeugen der Feierei fungieren die Flaschen und Gläser auf dem Tisch. Oder ist sie vielleicht bewusstlos, oder schon tot? Munch ließ seine Betrachter gerne im Ungewissen. Jedenfalls kann das Werk die freiheitsliebende, unabhängige Frau symbolisieren, dargestellt in völlig privater Umgebung. Das könnte eine Interpretation sein. Diese Radierung war Teil einer achtteiligen Grafikmappe mit weiteren Radierungen, die sich allerdings schlecht verkaufte. Daher ist dieser ausgestellte und handsignierte Abzug umso wertvoller.

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Edvard Munch, Selbstporträt auf einem Reisekoffer im Atelier, Lützowstraße 82, Berlin, 1902, Foto: © MUNCH, Oslo

Munch beschäftigte sich in seiner Kunst vor allem mit der Seelenwelt des Menschen, Tod und Liebe, stellte Gefühle und psychische Zustände auf subtilste Weise dar, nicht reißerisch, aber eindrücklich. Das war absolut neu und schockierte die Menschen. Weg mit der vollendeten nordischen Malerei, hin zum skizzenhaften, emotionalen Ausdruck. Heute gilt heute Munch als einer der bedeutendsten Vertreter der europäischen Moderne.

Zum Künstler

1863 wurde er im norwegischen Løten geboren. Munch verlor schon als Kind seine Mutter und seine Schwester durch Krankheiten. Auch darin liegt begründet, dass der Künstler immer wieder sein Innerstes in seinen Werken verarbeitet hat, wie bei seinem wohl berühmtesten Werk „Der Schrei“. In Paris interessierte sich Munch für die Traumwelten des Symbolismus. Das sollte die Basis für seinen eigenen Stil werden. In Berlin entfaltete er ab 1892 seine eigene Interpretation dieser abstrakten Strömung. Munch selbst beschreibt seine künstlerische Entwicklung so: „Ich begann als Impressionist, doch während der heftigen seelischen und existenziellen Umbrüche der Boheme-Zeit gab der Impressionismus mir nicht mehr genügend Ausdrucksmöglichkeiten. Ich musste einen Ausdruck für das suchen, was mich innerlich bewegte.“

Seine erste Schau im Verein Berliner Künstler musste nach ein paar Tagen schon wieder abgebaut werden. Selbst für die Berliner Kunstszene waren seine expressiven Bildwelten zu avantgardistisch, zu unfertig, zu emotional. Andere sahen in ihm ein Genie. Mit der „Affäre Munch“ begann seine Karriere. Bis 1908 lebte und arbeitete er immer wieder in Berlin, und feierte auch ziemlich gerne. 1908 hatte er nach einem Whiskey einen Zusammenbruch in Kopenhagen und bearbeitete die Folgen seiner vielen Alkoholexzesse in einer Privatklinik: „Ja vorbei ist jetzt für mich die von Schmerz und Freude gemischte Zeit des Alkohols – eine wundersame Welt ist mir verschlossen.“, kommentierte Munch seine Situation. Der Satz könnte auch von heute sein. 1927 gab es in der Berliner Nationalgalerie eine Retrospektive über ihn und ab dann galt sein künstlerischer Wert als unumstritten. 1909 zog Edvard Munch dauerhaft nach Norwegen und starb 1944 in Ekely.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 22. Januar.

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