Plattenkritik: Loraine James – Gentle Confrontation (Hyperdub)Ein großer Roman aus dem Hardcore Continuum

Loraine James Gentle Confrontation 2

Wenn elektronische Musik zur persönlichen Erzählung wird.

„Gentle Confrontation“ ist das mittlerweile fünfte Album der 27-jährigen Engländerin Loraine James. Vor sechs Jahren veröffentlichte sie ihr erstes Album „Detail“, das sie eigenständig über
Bandcamp vertrieb, gewann aber schnell die Aufmerksamkeit der britischen Institution Hyperdub. Ihr aktuelles Album ist das dritte, das auf dem Label von Kode9 erscheint, welches unter anderem Burial, Laurel Halo und Jessy Lanza bekannt machte. Unter ihrem Alias Whatever The Weather kam im letzten Jahr ein Album bei Ghostly International heraus. Das ist ein renommiertes und starkes Fundament und „Gentle Confrontation“ dürfte die Künstlerin noch größer machen, denn es ist ein exzellentes und schönes Album geworden.

Loraine James hat im Laufe der Jahre ihre ganz eigene Stimme in der elektronischen Musik entwickelt. Die britischen Traditionen sind in ihren Songs unverkennbar verankert. IDM der alten Schule, Glitch und Experimentelles stellen die Basis. Ihre Produktionen sind detailliert und klug, die Arrangements minimalistisch, aber organisiert organisch und lebendig. Sie führt zugleich die Schwarzen Linien aus UK weiter. Grime, Garage, RnB und Soul spielen genauso eine integrale Rolle, wie aber auch emotionales, deepes Songwriting aus Indie und Emo. Die Musik von Loraine James inszeniert sich nicht. Sie schafft interessante Räume, exploriert musikalische Emotionen, die sich immer an spannenden unkartierten Feldern bewegen.

James’ Musik ist im positiven Sinne eklektisch. Ihre Einflüsse kommen aus unzähligen Richtungen, ohne aber dabei ironisch oder besserwisserisch zu sein. Bei „Gentle Confrontation“ gibt es zahlreiche Features, ohne den Gesamteindruck zu verwässern, was gemeinhin gerne passiert. KeiyaA, RiTchie, Corey Mastrangelo, Marina Herlo, George Riley, Eden Samara und Contour arbeiten in dem knapp einstündigen Werk mit ihr zusammen. „Gentle Confrontation“ könnte viel glamouröser sein, schillernder und protziger. Das ist es aber nicht, es ist eher fragil, verhalten und bescheiden. Ihre produktionstechnische Meisterschaft taktiert im Hintergrund. Andere gehen, wenn sie so viel können, damit gerne hausieren und reißen ihre Arme dabei in die Luft. Das hat Loraine James offensichtlich nicht nötig, oder das entspricht nicht ihrer Persönlichkeit. Es wird hier nichts disruptiv mit dem Brecheisen neu erfunden. Es werden viel mehr die Karten der elektronischen, britischen Musikhistorie neu gemischt. James erzählt hier daraus eine ganz eigene, eindringliche und tröstende Geschichte. Eine Geschichte, der man gerne folgt und unbedingt mehr erfahren will, weil wie in einem guten Buch bekannte Themen wie Liebe, Familie, Selbstzweifel und Gefühle, so neu und erfrischend neu erzählt werden, so dass sie sich anfühlen, als würde man sie zum ersten Mail erleben.

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