This Is So Contemporary! Das Filter guckt Kunst# 6: Laura Poitras, „Circles“, im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.)

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Foto: Circles, Neuer Berliner Kunstverein, 2021: Terror Contagion, von Laura Poitras, 2021, HD-Video, Farbe, Ton, 25 min Neuer Berliner Kunstverein (n.b.k.) / Jens Ziehe

Vernissagen, Pop-Up-Galerien, Art Weeks hier, Art Happenings da. Berlin hat ein Übermaß an Kunst-Events und Ausstellungen. Die Kolumne „This Is So Contemporary!“ nimmt in jeder Folge nur eine Ausstellung in den Blick – genauer gesagt um ein ausgewähltes Kunstwerk: Welche aktuelle Brisanz steckt in der Installation? Was ist die Essenz dahinter? Es wird gespoilt und geteast, allerdings ohne fachliche Hemmschwellen, Status und elitäre Kunstdiskurse. Dafür in aller Kürze und direkt.

Eine Szene im Videoclip „Terror Contagion“ ist besonders schlimm:

„Je mehr wir darüber erfuhren, was mit ihm passiert war, wie sie ihm befahlen, sich hinzusetzen, wie sie mit der Säge kamen und dann begannen …“

Die Frau fängt an zu stocken, kann für einen Augenblick nicht weitersprechen. Sie war Bekannte des saudi-arabischen Regimekritikers Jamal Khashoggi, der 2018 im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul auf bestialische Weise ermordet wurde. Worum geht’s? Die 25-minütige Videoarbeit von Laura Poitras dokumentiert die laufenden Ermittlungen der Forschungsagentur Forensic Architecture gegen den israelischen Cyberwaffenhersteller NSO Group. Die NSO Group hat die Spionagesoftware Pegasus entwickelt, mit der Journalist*innen und Aktivist*innen verfolgt werden. Eigentlich nichts Ungewöhnliches heutzutage. Das Besondere aber: Die NSO Group ist eine private Firma – und ihre Software wird offensichtlich von Staaten eingesetzt.

In „Terror Contagion“ kommen Betroffene zu Wort, deren Daten mithilfe von Pegasus gehackt wurden. Dabei wird deutlich, wie die Software in berufliche und private Netzwerke eingespeist wird und auf welch perfide Art Menschen manipuliert werden. So werden mit gefakten Textnachrichten, die vermeintlich von Vertrauten kommen, Personen ausspioniert und gegeneinander ausgespielt. Auf digitale folgt physische Gewalt und umgekehrt. Eine genial orchestrierte Beeinflussung, so wie bei Jamal Khashoggi, dessen Chats auf WhatsApp von den Vereinigten Arabischen Emiraten mitgelesen wurden – sein Todesurteil. Außerdem in der Ausstellung: Neben gehackten Aufnahmen israelischer Kampfdrohnen, deren Existenz Israel stets betritt, gibt es weitere Videoarbeiten aus New York City zu einer inoffiziellen Einheit des NYPD, die politische Strömungen im Land (z.B. Black Lives Matter) überwacht und auswertet, abgefangene Funksprüche (März bis Mai 2021) eines in New York City vertäuten Gefängnisschiffes und Drohnen-Aufnahmen von Hart Island, wo Häftlinge während der Pandemie weiterhin Tote begraben mussten, allerdings ohne Schutzausrüstung oder Abstandsregeln.

Fazit: Unbedingt hingehen! Infos aus erster und prominenter Quelle. Dazu keine moralische oder gar ideologische Einordnung.

Laura Poitras Portrait

Foto: Jan Stürmann

Zur Person:

Die US-Amerikanerin Laura Poitras ist eine weltweit bekannte Filmemacherin, Künstlerin und Journalistin, die mit ihren Reportagen zu den Hintergründen staatlicher Geheimdienst- und Verteidigungsmaßnahmen auf der einen und dem dadurch gefährdeten Schutz des Einzelnen auf der anderen Seite für viel Aufklärung, aber auch Wirbel sorgte. Nachdem Poitras vom damals noch anonymen NSA-Whistleblower Edward Snowden kontaktiert und mit dessen historischen Enthüllungen konfrontiert wurde, berichtete sie in zahlreichen Reportagen über die globale illegale Massenüberwachung durch die NSA. Daraus entstand 2014 der Dokumentarfilm „Citizenfour“ für den sie den Oscar und den Deutschen Filmpreis bekam. Ihre Berichterstattung über den NSA-Skandal führte sogar zu einer parlamentarischen Untersuchung der Aktivitäten der NSA in Deutschland. 2006 wurde ihr Film über die US-Besetzung des Irak „My Country, My Country“ auf der Berlinale uraufgeführt. Kurz darauf setzte die US-Regierung Poitras auf ihre terrorist watch list. Poitras lehrte an der Yale Universität, ist Vorstandsmitglied der Freedom of Press Foundation und lebt seit 2012 in Berlin.

Zur Ausstellung:

Laura Poitras, „Circles“, im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k),
Chausseestraße 128/129, 10115 Berlin

Die Ausstellung läuft bis zum 8. August 2021

Eintritt frei, begrenzte Besucher*innenzahl – der Zugang erfolgt auf Basis der geltenden Hygiene- und Abstandsregeln. Es gilt die Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske. Keine Terminbuchung notwendig, eine Testpflicht besteht aktuell nicht.

Öffnungszeiten:
Dienstag – Sonntag, 12–18 Uhr

Donnerstag, 12–20 Uhr

Edwin RosenDie Neue Neue Deutsche Welle

KonzerterinnerungenErasure & I Start Counting – Berlin, Metropol, 26. April 1987