Künstler*innen wie Edwin Rosen bauen auf alten Stärken des Synth-Pop auf und modernisieren den angestaubten 80er-Jahre-Sound. Die Grundidee ist dabei gleich: gefühlvolle, poppig angehauchte Texte, kühler Synthesizersound mit DIY-Charakter, begleitet von minimalistischen Rhythmen aus der Drummachine. Was in Europa bereits seit Jahren im Untergrund keimte, bricht nun als Folge des aktuellen Zeitgeistes aus den Bedroomproducer-Zimmern heraus.
Scharfe Kanten, klare Linien in der Ausrichtung und doch ein Hauch von ewig gestriger Ästhetik. Projekte, die klingen als hätten sie schon vor Jahren fertig sein sollen. Wo die brutalistisch gestaltete Kölner Oper nun (doch) noch vier Jahre bis zu ihrer Fertigstellung braucht, treten Künstler*innen wie Edwin Rosen seit 2020 in das Rampenlicht der breiteren Popkultur. Minimalistische Rhythmen, die wie aus einer 80er-Jahre Drummachine stammen? Schon gehört. Sadness, die ein bisschen twisted herüberkommt? New Wave durch und durch. DIY-Approach, Texte voller Teeniegefühle und Hedonismus? Neue Deutsche Welle. Aber warum ist es gerade jetzt wieder so weit?
Die 20er-Jahre des „Neuen Millenniums“ sind bisher ein Ausdruck von Verwirrung: schnelle Digitalisierung, Kriegsmorde auf Abruf in der Hosentasche, und das gesamte Menschheitswissen ist in zwei Klicks zu finden (Wikipedia sei Dank). Es ist das Zeitalter der Infos, des overwhelmed seins, der Fear of Missing Out. Und die Zeit, in der Musik jeder Ära so einfach wie noch nie zur Verfügung stand. Musik konnte aber auch noch nie so einfach selbst produziert werden. Wird dies mit dem Reappreciation-Loop, der quasi alle 20-30 Jahre stattfindet, kombiniert, landen wir bei nationalen Künstler*innen wie der Leipziger Kunstband Opus Leopard oder der weißrussischen Dreierkombo Molchat Doma. Denn durch unsere Vernetzung sind musikalische Grenzen eingerissen worden wie in keinem Alter zuvor. Wir hören südafrikanischen Mikro-House, brasilianische 80s-Funk-Kombos und Deutsch-Amerikanische Freundschaft – instant.
„Ich verschwende meine Jugend / Verschwende mein Geld / Ich verschwende meine Hoffnung / Und alles zerfällt“ – die Antwort von Edwin Rosen an DAFs „Verschwende deine Jugend“ könnte nicht offensichtlicher sein. Der Reappreciation-Loop hat wieder zugeschlagen, nicht zuletzt durch politische Bewegungen in den USA, die Politiker*innen nach dem Kaliber Ronald Reagan in hohe Positionen drängen. Vor allem ist aber eines passiert: Der Optimismus der 90er- und 00er-Jahre ist weg. A boring dystopia.
Was bleibt, sind Jugendbewegungen, Selbstausdruck, Isolation und Zeit. Aber wie soll diese eingesetzt werden, wenn die Zukunft ungewiss scheint? Wenn Jobs nicht gesichert sind, wie es unsere Eltern erzählten?
Es wird in dunkel-kühler, sanft-melancholischer Musik ausgedrückt. Hedonistisches Leben im Jetzt, ironischer Optimismus für die Zukunft, wie bei Erobiques „Easy Mobeasy“ oder dem exzessiven „Überdosis Freude“, scheint die Antwort. Die Rückbesinnung auf Gefühle und den DIY-Ansatz von Musik beschreibt eine Gegenkultur, die sich langsam in den Mainstream drängelt. Sie drückt einen Vibe aus, den jeder spürt, schmeckt, riecht und sieht: Gestrige Ideen werden nicht die Lösung sein, etwas Neues muss her. Aber bis dahin fetischisieren wir kantige Gebäude, scharfe Kanten und zumindest ein halbwegs fertiggestelltes Projekt: Die Neue Neue Deutsche Welle. In Deutsch und auch Englisch.
Denn zumindest darin geht es um die Rückbesinnung auf alte Ästhetiken in neue Regionen der Musik. Diese sind anders als es bei der brutal deplatzierten Kölner Oper bis 2024 der Fall sein wird. Wenn diesmal die Deadline eingehalten wird. Wer’s glaubt.