Die Entdeckung der LangsamkeitWie ein guter Filterkaffee entsteht
4.9.2014 • Leben & Stil – Text: Jan-Peter Wulf, Fotos: Benedikt BentlerNeulich im Café: „Ein Cappuccino, ein Latte Macchiato mit Sojamilch und Karamell-Topping, ein Iced White Moccachino - alles in L und to go bitte.“ Wo ist eigentlich der gute alte Filterkaffee geblieben? Im neuen Berliner Filterhouse, schöner Name auch, erlebt er sein Comeback. Wir haben uns einen aufbrühen lassen und sind dann ganz entspannt und nostalgisch geworden.
Nein, schrottige Kaffeemaschinen wie in so manchem Büro rumpeln hier nicht durch, im Filterhouse in der Berliner Graefestraße. Was da vor uns auf dem Tisch steht, erinnert an einen Aufbau aus dem Chemieunterricht - aber mit Charme. Etwas schöner sind sie schon, die Gerätschaften, mit denen hier ein fast in Vergessenheit geratenes Getränk zu neuem Leben erweckt wird: Filterkaffee will zurück ins Rampenlicht, wie das kongeniale Butterbrot, das zwischen Tramezzini, Piadini, Sandwiches und belegten Bagels fast ausgestorben wäre und jetzt sein großes Stullen-Comeback feiert. Filterkaffee ist ja irgendwie auch total deutsch, oder? „Wir haben sogar überlegt, mit alten Kaffeekannen zu hantieren und ein Omacafé zu machen“, erklärt uns Frank, einer der beiden Betreiber des Filterhouse. Aber die Filterkaffee-Renaissance komme eher aus den USA, wie so ziemlich jede Getränke-Renaissance.
Es sieht hier auch nicht aus wie im Omacafé, eher wie in Brooklyn oder eben im Graefekiez. Neben vielen Kaffeespezialitäten und Paleo-Food (Steinzeit-Ernährung ohne Getreide, raffinierte Öle und Zucker) gibt es abends auch Drinks mit Gin aus Hamburg und dem Schwarzwald, DJ-Sets, zum Beispiel von Freund der Familie und Ausstellungen. Die Oma spielt hier aber dennoch eine wichtige Rolle: Filterkaffee machen ist nämlich Franks persönliche Reminiszenz an die - manchmal aus Kindersicht anscheinend etwas lange - Zeit bei der Großmutter: „Als ich klein war, habe ich meinem Vater oft Filterkaffee gemacht. Wir waren nämlich immer bei meiner Oma zum Mittagessen und ich wusste, wenn ich den Kaffee mache und er leer ist, dann komme ich schneller heim. Wenn ich jetzt Kaffee mache, erinnert es mich irgendwie daran. Es ist sehr beruhigend und macht Spaß. Gäste schauen auch gerne zu, wie der Kaffee langsam reinläuft.“
Ganz langsam tut er das. Um einen guten Filterkaffee zu machen, den die Bohnen-Nerds Pour Over Coffee nennen, schmeißt man nicht elf Löffel Kaffee auf zehn Tassen Wasser, wartet dann ungeduldig, dass die Suppe durchgelaufen ist (wer hat schon mal vor lauter Koffeindurst vorher die Kanne rausgezogen und sich den heißen knallharten Shit gegeben? Hände hoch!) und wundert sich dann über Bitterkeit, Säure und das Flirren vor den Augen.
Für einen guten Filterkaffee braucht es vor allem zwei Dinge: Erstens frisches Kaffeemehl und zweitens das richtige Verhältnis von Mehl zu Wasser. Frank mahlt die Bohnen mit der Hand, in einer Art überdimensionalen Pfeffermühle. Es geht aber auch eine elektrische Variante. Man sollte nur immer genau so viel mahlen, wie man auch braucht. „Die Aromen halten sich nur ein paar Minuten.“
Wir werden gleich einen Single Origin-Kaffee vom südlichen Fuße des höchsten Bergs Kenias trinken, der heißt Mount Kenya und Muburi heißt der Kaffee. „Ein Kleinbauer erntet hier sorgfältig nur die roten Kirschen und bringt sie mit Hilfe der Rwama Farmers Cooperative Society zur Muburi Aufbereitungsstation. Dort werden sie mit frischem Flusswasser vom Kii Fluss aufbereitet und trocknen dann in der Sonne“, informiert der Röster. Der Filter wird in den Aufsatz gesetzt, Frank faltet ihn auf Portionsgröße, Origami im Filterhouse. Dann kommt heißes Wasser auf den noch leeren Filter: „Ich spüle den erstmal aus.“ Dann nämlich erst ist er frei vom Eigengeschmack und bereit für das Mehl. „Jetzt gieße ich kreisenden Bewegungen 50 Milliliter darüber. Wenn die Bohnen frisch sind, geht der Aufguss erstmal richtig hoch und wölbt sich. Danach gießt man die nächsten 50 Milliliter auf, alle 30 Sekunden.“
Damit es am Ende eine ordentliche Tasse wird, dauert es also zweieinhalb bis drei Minuten, bis der Kaffee durch ist. Für 250 Milliliter braucht man 15 Gramm Kaffee. Die Stoppuhr und die Waage, auf der die kleine Kanne steht, wachen über die Einhaltung dieser Daten, während das heiße Wasser aus dem dünnen Metall-Schwanenhals fließt.
Es tröpfelt langsam und sanft. Zen time für Kaffecionados. Morgens könnte das aber schon eng werden, zeitlich. Dann doch wieder die Pad-Patrone in die knallrote Schnellfeuer-Maschine, die ja schon toll aussieht neben der nie benutzten KitchenAid? Im Filterhouse hat man da was Besseres: Cold Brew. Hinter der Bar steht auf einem schmalen Regal ein Aufbau (siehe Bild ganz oben), in dem Wasser durch ein Bohnensubstrat langsam in ein Gefäß tröpfelt. So langsam, dass man es gar nicht sieht. „Das dauert 24 Stunden. Kann man auch in 12 Stunden machen, aber dann schmeckt es nicht so intensiv“, erklärt der gelernte Barista. Eine solche Ausbildung übrigens braucht man für die Zubereitung von Filterkaffee, selbst in hiesiger High-End-Version, gar nicht. Eine Cold Brew könnte man also vorbereiten und morgens genussvoll trinken, vorausgesetzt, man kann mit kaltem Kaffee leben. Mit diesem kann man es - will man es geradezu. Ein unfassbar intensives Geschmackserlebnis, ganz ohne Säure und Bitterkeit, dafür kommt alles aromatisch nach oben, was der Kaffee zu bieten hat. Allerdings kostet die notwendige Gerätschaft rund 200 Euro. Fast so viel wie ein Barista-Wochenendkurs.
Wer probieren möchte:
Filterhouse
Graefestraße 12
10967 Berlin
Wo es sonst noch guten Filterkaffee gibt landauf, landab, hat das SZ-Magazin zusammengestellt.