Food-Basics: Was ist guter Käse?Über das eigenwillige Leben in der Milch
13.1.2017 • Leben & Stil – Text: Jasmin Tomschi, Fotos: Marie Jorunn Ruhsam, Illustration: Susann MassuteZartgelb und löchrig bis fast weiß oder kräftig orange – jene Schnittkäse, die uns in den Kühlregalen der Supermärkte in allen Farbnuancen unterkommen, haben eines gemeinsam: Sie werden mit Bakterienkulturen aus dem Labor auf ein ganz bestimmtes Alter getrimmt und sind schon mit rund drei Monaten reif. Praktisch. Denn das bedeutet die kürzeste Lagerzeit und die geringsten Lagerkosten. Der Großbetrieb kann den Käse nach der Herstellung schnell verkaufen, und er ist ja durchaus genießbar. Zumindest im ersten Moment. Bis der schale Abgang kommt.
Im Gegensatz zu „schlechtem“ Käse weist guter in sich eine spannende Vielfalt auf, die im Geschmack den wesentlichen Unterschied ausmacht. Ja, für ungeschulte Münder ist richtig, richtig guter Käse oft gar nicht so einfach zu essen. Wir haben uns gefragt, warum man sich trotzdem von einem handgemachten, jahrelang gereiften Traditionsprodukt herausfordern lassen sollte.
Willkommen im urbanen Käse-Idyll
Für Antworten trafen wir Anton Sutterlüty im Herzen der Wiener Innenstadt, wo der gebürtige Vorarlberger im Kellergewölbe des sagenumwobenen Kipferlhauses einen ganz besonderen Schatz hütet: 155 Laibe Gepsenkäse. Von insgesamt 300 qm mietet der Senner im Namen von antonmachtke:s hier rund 30 qm, um seine 25 bis 35 kg schweren Laibe auf unbehandelten Holzregalen zu stapeln. Mehr Platz braucht es nicht. Denn die natürlichen Milchsäurebakterien in seinem Vorarlberger Alpkäse verlangen nach einer dichten Atmosphäre, um gemächlich die perfekte Rinde entwickeln zu können.
Die im Bregenzerwald nach traditionellem Handwerk hergestellten Spezialitäten reifen in Wien bei einer Luftfeuchtigkeit von 91 Prozent und einer relativ warmen Temperatur für Käselagerung. „Ich finde 14,8 Grad gut, weil sich da im Käse mehr tut“, verrät der erfahrene Senner. Während Sutterlüty seine Laibe unter diesen Umständen mit viel Sorgfalt pflegen muss, wird in anderen Kellern zur Sicherheit auf elf Grad heruntergekühlt. Denn je wärmer die Umgebung ist, desto eigenwilliger wird das Produkt.
Bei der Bändigung können die Ziegel im Gewölbe helfen, die das Klima ausgleichen, indem sie etwas Feuchtigkeit aufnehmen oder abgeben. Sollte es im Keller zu feucht werden, würde Wasser auf dem Käse kondensieren, seine Rinde aufweichen und die Qualität, die antonmachtke:s verspricht, nur noch schwer zu garantieren sein. Bleiben die Voraussetzungen für den Käse einwandfrei, werden die ersten Laibe nach sechs Monaten verkauft – für 13 Euro pro Kilo an Geschäftskunden und für 20 Euro auf dem Wochenmarkt.
Teil 1: Die Arbeit auf der Alm
Anton Sutterlüty wuchs in Egg im Bregenzerwald auf, wo der Großteil des Vorarlberger Bergkäses hergestellt wird und seine Familie von 1976 an einen Bauernhof pachtete. „Als Kind reflektiert man zwar nicht so, merkt aber doch, dass man Element eines Kreislaufs wird, weil man eine Arbeit verrichtet, in der von Anfang bis Ende alles zusammenhängt“, erinnert er sich. Nach dem Abitur ging Sutterlüty nach Wien, um Kunstgeschichte zu studieren, kehrte aber nach nur einer Sommerpause in der Stadt wieder regelmäßig auf die Alm zurück.
Heute verbringt er jeweils zehn Tage des Sommers auf der Alpe Untere Falz, um rund 60 Laibe von insgesamt 200, die er in einem Jahr verkaufen will, selbst herzustellen. Die Arbeit dafür beginnt jeden Morgen gegen 4:45 Uhr. Zugange sind zwei Melker, Sutterlüty als Senner und Bäuerin Antonia, die das Haus hütet und das eingespielte Team bewirtet. Doch eigentlich fängt alles mit der Milch vom letzten Abend an, die kuhwarm in zehn Zentimeter flache Holzgefäße mit 60 Zentimeter Durchmesser gefüllt wird.
Die Gepsen machen's
Die sogenannten Gepsen sind ausschlaggebend für die Reifung der Milch. „Es gibt nur noch ganz wenige Betriebe, die damit arbeiten, weil das sehr aufwändig ist“, gibt Sutterlüty zu bedenken. Von den Holzgefäßen hat er ca. 40 Stück zu einer Pyramide gestapelt. In einem schwimmen 20 Liter Milch, aus welcher morgens Rahm abgeschöpft und zum Rühren von Butter verwendet wird. Die übrig gebliebene Flüssigkeit teilt der Senner in zwei Kupferkessel mit 1.200 und 600 Litern Fassungsvermögen auf. Nun kommt die frische Morgenmilch direkt in den Kessel und mischt sich bei 32 Grad mit der Abendmilch, die Sutterlüty zuvor in perfekte Balance bringt, um natürlich vorhandenen Bakterien beim Arbeiten zu helfen: „Es braucht das richtige Gefühl dafür, dass man keine überreife Milch, aber auch keine zu wenig gereifte hat“, erklärt er.
Was bislang bloß Milch war, wird zu Käse, wenn Sutterlütys selbst gemachtes Lab hinzukommt. Dafür bezieht er von Metzgern getrocknete Kälbermägen, die eine Konsistenz zwischen Leder und Pergament haben. „Im Labmagen sind Streifen, wo sich Enzyme, die für die Milchgerinnerung verantwortlich sind, in besonders konzentrierter Form finden.“ Die Mägen legt Sutterlüty für 24 Stunden in seine Molke ein – und kann dann mit einem Liter davon rund 1.000 Liter Milch gerinnen lassen.
Ist die Milch eingedickt, wird sie geschnitten, damit sich der entstandene Käse als Bruch von der Molke trennen kann, um dann für anderthalb Stunden gerührt und auf 52 Grad erhitzt zu werden. Im Anschluss wird er mit einem Leinentuch aus dem Kessel gefischt und in Form gepresst. So entstehen innerhalb eines Tages sechs fertige Laibe, die für die nächsten drei Tage in eine Salzlake eingelegt werden, bevor es ans Reifen geht. Was im Kessel zurückblieb, wird für die Reinigung der Gepsen verwendet, die der Milch nur so ein perfektes Klima bieten können.
Teil 2: Von der Alm in den Keller
In Sutterlütys Käsekeller nimmt die Arbeit einen Wandel. Jede Woche kommt der Senner drei Mal in sein Wiener Lager, um alle Käse zu pflegen. „Das heißt, ich nehme jeden Laib aus dem Regal, drehe ihn um, lege ihn auf einen Holztisch und bürste ihn auf der oberen Seite und am Rand mit einem leichten Salzwasser ein.“ Die Seite, die trocken bleibt, kommt zurück auf den Regalboden, damit nichts anklebt und der Käse seine Rinde nicht beschädigt.
Für antonmachtke:s konzentriert sich Sutterlüty auf die Reifestufen 6, 9, 12, 18, 24 und 36 Monate. Doch was bedeutet das? Kurzum: Ein junger Käse ist im Geschmack mild und ein älterer Käse würziger, kräftiger und intensiver. Im Detail geht es bei der Entwicklung unter anderem darum, in welchem Monat der Käse hergestellt wurde. Im Mai ist das Gras am intensivsten und der Fettgehalt in der Milch am höchsten. Käse aus dieser Zeit reift schneller und ist mit sechs Monaten schon schön cremig. Ein Käse hingegen, der im Winter gemacht wurde, wenn die Kühe kein Gras, sondern nur Heu fressen, ist von Anfang an fester und braucht länger, um cremig zu werden.
Zum Frühstück empfiehlt sich ein junger, milder Käse, der sich gerade von einer leicht gummiartigen zu einer cremigen Konsistenz wandelt. Bei einem 12 Monate alten Laib hat man es bereits mit einem gut gereiften Bergkäse zu tun, der Würze und vielleicht schon eine leichte Schärfe aufweist. Und mit 18 Monaten ist der Käse laut Sutterlüty am ungestümsten und genau genommen auch am wenigsten harmonisch, bis eine starke Veränderung in ihm beginnt:
„Da kristallisieren die Aminosäuren, von denen er das Knusprige kriegt. In diesem Prozess verliert der Käse an Schärfe, wird aber geschmacklich trotzdem breiter und nuancenreicher.“
Wer Käse verstehen will, muss ein wenig vergleichen. Sich fragen, was einem zusagt und worin der Unterschied liegt. Eine Geschmacksache also, die sich schwer erklären lässt. Sutterlüty:
„Ich glaube, wenn man Käse aufmerksam isst, kann man die Wahrnehmung schulen. Das ist bei vielen Lebensmitteln so. Man isst ja bei jedem Produkt auch die Art, wie es gemacht ist, auf eine bestimmte Weise mit.“
Also gilt es wie so oft, sich vor dem Kauf zu erkundigen, wer und was bei der Herstellung involviert war. In großen Betrieben, in denen Prozesse hoch industrialisiert ablaufen, muss die Milch zum Beispiel stark homogenisiert und künstlich behandelt werden. „Worauf man vergleichsweise ganz einfach achten kann, ist, wie der Käse verpackt ist“, so Sutterlüty. Er kann seine Laibe aus dem Keller nehmen und direkt damit auf den Markt fahren. Dass das Produkt zuvor nie vakuumverpackt war, macht geschmacklich viel aus. Denn luftdicht verschlossen weicht die Rinde auf und ein fremder Geschmack dringt hinein. Wird der Käse hingegen in Papier gewickelt, darf ihn dann rundum durchaus auch Plastik vor dem Austrocknen schützen.
So, Herr Sutterlüty, und was ist nun das Schöne am Käsemachen? „Dass es so ein unglaublich lebendiger Prozess ist. Wenn man Käse macht wie ich, dann wird man Teil davon.“ Und das unter Voraussetzungen, die jeden Tag ein bisschen anders sind. So reift je nach Wetterlage die Milch anders, solche Unterschiede spürt der erfahrene Senner am eigenen Körper. Und wie er dann darauf reagiert, wirkt sich ganz entscheidend auf den Geschmack seines Produkts aus.