Die Frage nach der richtigen HaltungSven Kacirek berichtet aus Kenia über sein Musikprojekt Odd Okoddo
23.10.2019 • Sounds – Text & Fotos: Sven KacirekDer Hamburger Schlagzeuger, Künstler und Musikproduzent Sven Kacirek forscht seit vielen Jahren in Musikbereichen, die im Westen so gut wie gar keine Beachtung finden. So veröffentlichte er 2015 auf Pingipung zum Beispiel das Album „Songs from Okinawa“, auf dem er mit japanischen Musiker*innen zusammenarbeitete – mit besonderem Fokus auf deren traditionellen Instrumenten. Seit über zehn Jahren besucht Sven Kacirek zudem regelmäßig Ostafrika, verbringt mittlerweile einen Großteil seiner Zeit dort und kennt die Szenen wie kaum ein anderer. Im ersten Teil seines Zweiteilers für Das Filter berichtet Sven Kacirek über sein Projekt Odd Okoddo, das er gemeinsam mit dem Musiker Olith Ratego in Kenia ins Leben rief. Es geht um radikalen DIY, hier völlig unbekannte Instrumente und die inhärenten Probleme, die so eine künstlerische Auseinandersetzung und Dialog mit sich bringen.
Im Mai 2008 reiste ich zum ersten Mal nach Ostafrika. Die Choreographin Angela Guerreio fragte mich, ob ich die Musik für ihr neues Stück entwickeln würde, das sie mit Tänzer*innen aus Kenia, Äthiopien und den Vereinigten Staaten umsetzen wollte. Die Proben fanden zuerst in Addis und anschließend in Nairobi statt.
In Nairobi lernte ich den damaligen Leiter des Goethe-Instituts Johannes Hossfeld kennen, der mich einlud im folgenden Jahr wieder zukommen, um an dem Album „The Kenya Sessions“ zu arbeiten, das dann 2011 erschien.
Dieses Album legte die Grundlage für alle folgenden Projekt, an denen ich seitdem in Kenia gearbeitet habe. Allein vier Mal fuhr ich mit Stefan Schneider nach Kenia, um Musiker, die ich während der Arbeit an der „Kenya Sessions“ kennengelernt hatte, aufzunehmen. Dabei entstanden die Alben „Mukunguni“, „Rangala“ (beide Honest Jons Records) und „On Mande“ (TAL Records)
Zuletzt arbeitet ich mit Daniel Mbutch Muhuni – Percussionist aus Nairobi – an einem Album, das die aggressive, post-koloniale Handelspolitik der Europäischen Union thematisiert.
Während der Arbeit an diesem Album fragte mich Tabu Osusa, der Direktor von Ketebul Music, ob ich mir vorstellen könnte an einem Album mit Olith Ratego zu arbeiten. Auch Olith lernte ich bereits 2009 im Rahmen der „Kenya Sessions“ Aufnahmen kennen. In der Nacht bevor ich zurück nach Deutschland reiste, nahmen wir in der Bibliothek des Goethe-Instituts das Stück „Too good to be true“ auf.
Tabu und sein Engineer Steve Kivutia hatten im Ketebul Studio in Nairobi bereits 14 Stücke mit Olith aufgenommen. Ich hörte mir diese Vocal-Aufnahmen mit Tabu an und war sofort begeistert von Oliths Melodiebögen und seiner einzigartigen Stimme, bei der man nie so genau weiß, ob sie aus dem Mund eines Mannes oder einer Frau kommt.
Olith Ratego stammt und lebt nach wie vor in der kleinen Stadt Ugunja in der Nähe des Victoriasees. Er singt in seiner Muttersprache Luo. Seine Eltern sahen keine Notwendigkeit, Olith in die Schule zu schicken. Er ging lediglich für zwei Jahre in die Grundschule. Stattdessen lernte er von seinem Vater, der bis zu seinem Tod vor vier Monaten eine Tischlerei in Ugunja besaß, wie man schreinert. Olith arbeitet heute nach wie vor in dieser Tischlerei. Neben Tischen, Stühlen und Betten stellt Olith hier auch seine eigenen Saiteninstrumente her.
Nachdem er vor Jahren klassische kenianische Saiteninstrumente wie „Nyatiti“ oder „Orutu“ ausprobierte und keinen Bezug zu ihnen fand, entschied er sich, seine eigenen zu bauen.
Das Album „Auma“ basiert nicht – wie viele denken – auf einer engen Kooperation zwischen mir und Olith Ratego. Olith entwickelte die Gesangsmelodien komplett ohne mich. Und ich machte den Rest wiederum komplett ohne Olith. Die Kooperation begann erst im August dieses Jahres; als Olith nach Hamburg reiste, um mit mir zusammen an der Musik für ein Tanzstück des Choreographen Daniel Martins für das Movimentos Festival zu proben.
Darüber hinaus verbrachten wir viel Zeit, um zu proben, wie wir das Album live zu zweit umsetzen können. Dabei wurde schnell deutlich, dass sich Olith an keine Arrangements halten wollte, was für mich wiederum sehr ungewöhnlich ist. Als Konzept unserer Live-Performance gilt: Olith macht was er will, und ich versuche ihm so gut es geht zu folgen.
Ich spiele dabei ein kleines mit Kontaktmikrofonen verstärktes Drumkit, eine kenianische 1-Oktav-Marimba sowie den Sampler Octatrack, um einzelne Samples des Albums gezielt einzusetzen.
Wir haben bisher drei Konzerte gespielt. Eines in Wuppertal, eines in Hamburg und eines beim Nyege Nyege Festival in Jinja (Uganda) Jeder Song – auf dem Album jeweils zwischen drei bis fünf Minuten lang - dauert in der Liveversion mindestens zehn Minuten. Olith interagiert mit dem Publikum, und zu meiner Überraschung hat das selbst beim nordisch unterkühlten Publikum in Hamburg bestens funktioniert.
Als jemand, der mittlerweile einen Großteil seines Lebens in Kenia verbringt und regelmäßig mit ostafrikanischen Musikern kooperiert, stellt sich für mich immer die Frage nach der richtigen oder angemessenen Haltung, die aus dem Umstand resultiert, dass ich weiß bin und aus Europa komme.
Europa generiert sich ja gerne als Vorkämpfer des Liberalismus und des Humanismus, als demokratisches Vorbild für den Rest der Welt und als Wohltäter, um wirtschaftlich benachteiligte Länder zu unterstützen. Das Gegenteil ist der Fall.
Europa ist immer Täter statt Wohltäter gewesen und ist es bis heute geblieben. Europas heutiger Wohlstand basiert in erster Linie auf der Jahrhunderte langen kolonialen Ausbeutung und Plünderung des afrikanischen Kontinents. Der Umstand, dass sich Diktatoren in fast allen afrikanischen Staaten dieser Plünderung angeschlossen haben und auch die Tatsache, dass mittlerweile Länder wie China deutlich dominanter und aggressiver auf dem Kontinent auftreten als Europa, ändert daran nichts. Ich empfehle zu diesem Themenkomplex die Bücher: „How Europe Underdeveloped Africa“ von Walter Rodney und „The Looting Machine“ von Tom Burgis.
Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen und habe den Großteil meines bisherigen Lebens in Europa verbracht. Insofern habe ich von dem Wohlstand, der auf dieser strukturellen Ausbeutung aufbaut und der sich u.a. in der Infrastruktur oder im Bildungssystem widerspiegelt, maßgeblich profitiert. Ich trage daher eine Verantwortung, zu der ich mich im Rahmen dieser Kooperationen immer wieder versuche zu positionieren. Eine klare Antwort habe ich dabei bisher nicht finden können.
Im November und Dezember werden Olith und ich weitere Konzerte in Nairobi spielen. Es ist uns wichtig, dass das Album nicht nur in Europa sondern auch in Ostafrika wahrgenommen wird.
Weiterlesen
Im zweiten Teil seines Berichts aus Ostafrika stellt Sven Kacirek unter anderem Artists wie DJ Raph, DJ Monrhea und KMRU vor und besucht die lauteste Bibliothek der Welt.