„Wir müssen über CRISPR reden“Die Genforscherin Hannah Le im Interview

CRISPR Alt Start

Wenn jemand bereits im Alter von 18 Jahren international gefragte Genforscherin ist, dann darf man das Wort Wunderkind durchaus mal benutzen. Hannah Le ist in Vietnam aufgewachsen, lebt in Toronto und forscht seit einigen Jahren zu einem der aktuellen Hype-Themen der Gentechnik: CRISPR. Ji-Hun Kim hat Hannah Le auf der meConvention in Frankfurt/Main getroffen und ließ sich nicht nur erklären, was es mit der Buchstabenkombination auf sich hat, sondern sprach mit ihr auch über die Wichtigkeit sozialer und ethischer Diskursen wie Konsens, bevor eine riskante Technologie wie diese zum Mainstream wird.

Als ich 18 war, wollte ich Rockstar werden. Wie wird man in dem Alter Genforscherin?
Ich bin in Ho-Chi-Minh-Stadt geboren und aufgewachsen. Meine Cousins zeigten Interesse an Stammzellenforschung und Genetik, was mich inspiriert hat. Mit 16 kam ich nach Toronto. Dort lernte ich Professoren kennen und einer von ihnen lud mich ein, an einem Post-Doc-Graduiertenkolleg teilzunehmen. Wir forschten zum Thema Taubheit. Primär ging es um Bio-Engineering, wo man quasi künstliche Ohren herstellen kann und Menschen so wieder hören können. Mit 16 hat mich das total geflasht, ich fand das unvorstellbar. Also wollte ich in dem Bereich weitermachen. Ich habe von der Organisation „The Knowledge Society“ (TKS) erfahren – eine Art Akzelerator für Menschen. Teenager können hier in Themen wie Gentechnik, Künstliche Intelligenz und Computerwissenschaften eintauchen. Junge Menschen lernen hier ihre Werkzeuge, aber auch ein Mindset, um bestens für die Forschung der Zukunft vorbereitet zu sein.

Das ging alles sehr flott.
An der TKS habe ich meine ersten Mentoren gefunden, die mich in der persönlichen Entwicklung begleitet haben. Die ersten Jahre habe ich in der Gentechnik, aber auch Krebsforschung gearbeitet. Beispielsweise bekommen heute alle Patienten einer Strahlentherapie mehr oder weniger die gleiche Dosis verabreicht. Das führt aber zu Komplikationen. 30 Prozent der Therapien verlaufen problematisch, einige Patienten verlieren beispielsweise ihren Geschmackssinn, was ich sehr traurig finde. Heute versuchen wir diese Therapieansätze zu optimieren, auch um genauer auf die Bedürfnisse der Patienten und ihre Krankheiten eingehen zu können.

Was studierst du genau?
Ingenieurwissenschaften in Toronto.

Und war dir schon so früh klar, dass du genau das machen willst?
Ich denke schon. Hätten mich die ersten Professoren in Toronto abgelehnt, hätte ich mir einfach andere gesucht. Es braucht eine Person, die an dich und deine Fähigkeiten glaubt und dich unterstützt. Ich denke, dass diesen Menschen eine wichtige Rolle in der persönlichen Entwicklung zukommt.

Hannah Le Portrait

Die CRISPR-Forscherin Hannah Le in Frankfurt.

CRISPR kommt mir derzeit wie ein Trendbegriff vor. Alle reden darüber, aber wie bei Blockchain scheint keiner einen Plan zu haben, wie das wirklich funktioniert.
Das Bearbeiten von Genen ist nicht neu. Das gibt es schon eine ganze Weile. Seit den 1990er-Jahren gibt es diverse Methoden, die dir erlauben, Gene zu editieren. Aber wie so oft war die Kostenfrage ein Problem. Das Besondere an CRISPR oder warum es heute so populär ist: Es erlaubt dir, Gene im Laufe von Tagen zu editieren und macht die Sache um einiges schneller. Zuvor dauerte der Prozess mehrere Wochen.

Wie geht das?
Die Biologie ist ein dauernder Prozess von Entdeckungen. Mit CRISPR ist es einfacher, editierte Gene im Labor herzustellen. In den 90ern arbeitete man noch mit der Micro Array Analysis, im Verlauf der letzten zehn Jahre sind die Kosten enorm gesunken. Firmen wie Illumina entwickeln neue Wege, um Gene zu sequenzieren. Heute kann man das Genom also besser und zu niedrigeren Kosten analysieren. Das führt zu genaueren Ergebnissen und man kann Ziele exakter ausmachen, um ein Genom zu reparieren. Es handelt sich aber um technologische Entwicklungen auf vielen Ebenen, die zu diesem Fortschritt geführt haben. Im Narrativ ist es halt nur so, dass CRISPR gerade den Fame dafür einfährt.

Gab es dennoch so etwas wie einen konkreten Durchbruch für CRISPR?
Die Behandlung der Sichelzellenanämie. Dort kam CRISPR erstmalig populär zum Einsatz. Stell dir vor: Das Genom ist so etwas wie das Kochbuch deines Lebens. Jeder einzelne Buchstabe steht für etwas. 99 Prozent unserer Genome sind identisch. Aber das eine Prozent ist individuell. Wenn man eine Mutation in einer Sequenz hat, heißt das in der Regel, dass da etwas nicht stimmt. Das kann durch erbbedingte Gendefekte auftauchen oder andere Gründe haben. Das Kochbuch des Lebens besteht aus drei Milliarden Buchstaben. Es sind immer A, T, C, und G, die in unterschiedlichen Kombinationen auftauchen können. Wenn aber nur ein einzelner Buchstabe falsch ist – zum Beispiel steht in der Sequenz statt eines T ein G – kann das bereits zu einer Sichelzellenanämie führen und die Form deiner Blutkörperchen wesentlich beeinflussen. Mit CRISPR lässt sich die Sichelzellenanämie relativ einfach heilen. Weil durch CRISPR eine einzelne Mutation exakt editiert werden kann. Diese Form der Anwendung lässt sich aber auf viele andere Krankheiten replizieren. Das ist der erste Vorzug. Der zweite ist, dass sich Zellen einfacher replizieren lassen. Das war in diesem konkreten Fall sehr erfolgreich. Aber wir haben heute sechs Millionen uns bekannter genbedingter Krankheiten. Da wird es oft und schnell kompliziert. Biologie funktioniert eben so, dass man an einer Stelle etwas manipuliert, aber am anderen Ende eben auch Wirkungen entstehen. Da kaskadieren Ereignisse.

„CRISPR kann nützlich sein, um Krankheiten zu behandeln, aber wir wissen noch nicht so viel über Langzeiteffekte, die so eine Behandlung haben kann.“

In etwa wie bei einer Kettenreaktion?
Das haben wir noch nicht verstanden. Wir wissen nicht, was genau bei gentechnischen Eingriffen als Folge im Detail passiert. Genau hier wird im Moment aber viel geforscht. Man will die Zusammenhänge begreifen und besser verstehen. CRISPR existiert als Werkzeug, aber zur Zeit sind wir nicht weiter als ein oder zwei Gene zu ändern, um Krankheiten wie eben Sichelzellenanämie zu heilen. Aber was sonst mit so einem Werkzeug überhaupt möglich ist und wie man so ein Werkzeug am besten anwendet, das wird derzeit erforscht.

Was sind bekannte Nebenwirkungen?
Es gibt bestimmte Barrieren, die immer wieder auftauchen. CRISPR zeigt regelmäßig sogenannte Off-Target-Effects. Das System geht dann an Gene, die es gar nicht manipulieren soll. Manchmal kann es passieren, dass CRISPR in Sequenzen eingreift, die Ähnlichkeiten mit dem eigentlichen Ziel aufweisen. Das hat aber natürlich Konsequenzen, und die wollen wir nicht. Die Off-Target-Effects sind aber eine wesentliche Barriere. 2018 wurde ein Paper an der Universität Toronto veröffentlicht, in dem das Konzept des Anti-CRISPR vorgestellt wurde. Es verändert die Form des Cas-Proteins. Derzeit wird erforscht, ob es möglich ist, Anti-CRISPR so einzusetzen, dass es zur Minimierung von Off-Target-Effects beitragen kann.

Das klingt beunruhigend.
Jede Technologie birgt Risiken. Treppen sind erstmal praktisch, aber sie werden gerade für alte Menschen oft zu lebensgefährlichen Sturzfallen. So hat man das Geländer erfunden, um das Sturzrisiko zu minimieren. Das Gleiche gilt für CRISPR. Es kann nützlich sein, um Krankheiten zu behandeln, aber wir wissen noch nicht so viel über Langzeiteffekte, die so eine Behandlung haben kann. Das ist ein Risiko. Man muss die betroffene Sequenz eindeutiger definieren.

Was reizt dich persönlich so sehr an diesem Thema?
Erstmal möchte ich Menschen helfen. Ich komme aus Vietnam – dort haben viele Kinder genbedingten Krankheiten. Anders als in Nordamerika fehlen jedoch die Institutionen, die dir bei der Behandlung zu Hilfe kommen. In Entwicklungsländern wie Vietnam oder Nordkorea wird das Leben vieler junger Menschen grundlegend eingeschränkt. Ihnen wird der Weg zur Bildung und Arbeit nicht ermöglicht, und es kommt zu vielen Problemen. Ich sehe die Gentechnik als einen Weg, das Potential von Menschen zu vergrößern – zuvor stigmatisierten Menschen eine Perspektive geben zu können.

Welche Bereiche machen derzeit CRISPR für Investoren und Wirtschaft so interessant?
Für die meisten gilt CRISPR als Möglichkeit, genetische Fehler zu korrigieren. Ein spannender Bereich ist, was Unternehmen wie Mammoth Biosciences aus San Francisco verfolgen. Dort wurde ein Werkzeug entwickelt, das CRISPR nutzt, um Krankheiten zu diagnostizieren. Die Idee ist am Ende eine Art Diagnose-Kit für zu Hause. Medizinische Diagnosen könnten so für viele Menschen zugänglicher gemacht werden. In diese Richtung wird derzeit viel geschaut, auch weil hier die Ergebnisse eindeutiger sind. Ein Heilungsprozess kann mehrere Jahre dauern und immer wieder für Rückschläge sorgen. Bei einem Test, der eine Krankheit diagnostiziert, gibt es in der Regel nur Ja und Nein.

Du hast mit Fruchtfliegen geforscht und es geschafft, deren Lebenszeit zu verlängern. So sollen auch Krankheiten wie Krebs verhindert werden.
Das ist ein Graubereich der Forschung. Denn Korrelationen bedeuten nicht Kausalität. Was es aber gibt, sind zahlreiche Forschungen, die Krebs mit dem fortschreitendem Alter in Verbindung bringen. Die Wahrscheinlichkeit Krebs zu bekommen, steigt mit dem persönlichen Alter. Aber es gibt zahlreiche unterschiedliche Korrelationen und wir beschäftigen uns derzeit viel mit dem Aufkommen bestimmter Proteine, die damit in Verbindung gebracht werden können. Allerdings sollte man mit Schlussfolgerungen vorsichtig sein. Die zu untersuchenden Mechanismen können unterschiedlicher nicht sein. Und man wird noch viel Erfahrungen und Ergebnisse sammeln müssen, ob das überhaupt so funktioniert.

In Europa gibt es tendenziell eine kritischere Haltung, was Gentechnik anbetrifft, als in Nordamerika. Du hattest das Thema Gefahren bereits angesprochen. Wo siehst du noch Punkte, die risikobehaftet sind?
Wir haben bis jetzt über Technologie gesprochen. Aber Technologie hat politische Werte. Und es gibt unterschiedliche sozioökonomische Systeme. In China geht es vor allem um Fortschritt. Dort wird permanent etwas Neues erfunden und vorangetrieben. Sie wollen CRISPR für Genmanipulation an Babys anwenden und das ist verrückt! Ethische Diskussionen müssen im Vorhinein geführt werden, bevor man zu solchen Anwendungsbereichen greift. Die Gefahr liegt in den Händen jener Menschen, die damit umgehen. Man muss sich die Frage stellen, ob es richtig oder falsch ist, CRISPR anzuwenden. Missbrauch kann wie bei allen Technologien gefährlich werden. Sobald man Diskurse einstellt und aufhört Dinge zu hinterfragen, kann viel falsch laufen und Menschen fangen an, Genome zu editieren, für was auch immer sie wollen. Wenn CRISPR in der Lage ist, Gendefekte zu heilen, dann kann es auch dafür genutzt werden, die Augenfarbe, die Muskelstruktur und Körpergröße zu manipulieren.

Ein Schritt näher zum Wunschkind?
Das ist gefährlich, weil man Kindern wesentliche Rechte nimmt, sobald die Eltern darüber entscheiden, wie ihr Kind genetisch zu sein hat. Ich halte es für wesentlich, sich darüber kontinuierlich zu unterhalten und auszutauschen. Natürlich spielen auch unterschiedliche Gesellschaften eine Rolle, weil es in Kulturen jeweils andere Wertesysteme geben kann. Und: Technologien dürfen nicht in falsche Hände gelangen. Aber Gesellschaften müssen sich Gedanken machen, wie sie Technologien implementieren wollen. Es gibt Diskussionen über CO2-Steuern und Emissionshandel für Unternehmen – etwas Ähnliches sollte es auch für CRISPR geben. Firmen müssen genau wissen, welche sozialen Implikationen ihre Arbeit mit CRISPR hat und dementsprechend Steuern zahlen. Es ist gut, sobald wie möglich damit anzufangen, bevor es die ersten CRISPR-Therapien für den Heimgebrauch zu kaufen gibt. Erst wenn es ein ethisches System gibt, sollten wir über die weitere Verbreitung der Technologie nachdenken.

„Ethische Diskussionen müssen im Vorhinein geführt werden, bevor man zu solchen Anwendungsbereichen greift. Die Gefahr liegt in den Händen jener Menschen, die damit umgehen. Man muss sich die Frage stellen, ob es richtig oder falsch ist, CRISPR anzuwenden.“

Wäre es theoretisch also möglich, einen Supersoldaten mit besonders viel Muskeln und geschärften Sinnen im Labor zu entwickeln?
Es kommt darauf an. Es ist theoretisch möglich. Ich weiß auch nicht viel über die Militärs, ob und inwiefern sie an solchen Projekten arbeiten. Aber wir sollten das dennoch nicht zulassen. Das gilt es unter allen Umständen zu verhindern.

Wenn CRISPR in der Lage sein sollte, auch das menschliche Leben wesentlich zu verlängern, in welchen Bereichen kommen da die wesentlichen Konsequenzen auf uns zu? Dass Silicon-Valley-Milliardäre Interesse haben, mehr Zeit zum Geld ausgeben zu haben, leuchtet mir ein. Aber auch hier könnte die Situation komplexer sein, als viele es sich zur Zeit ausmalen.
Wir brauchen Filterprozesse und müssen die Intentionen jener Menschen hinterfragen, die länger leben wollen. Einige wollen es als Selbstzweck, das aber könnte schädlich sein. Da wird nicht klar, was der eigentliche Grund ist. Viele wollen länger leben, um mehr Glück zu erfahren. Aber Glück ist ja nicht äquivalent zu einer längeren Lebensdauer. Viele schätzen Geld mehr als Glück und sie bauen ein System auf, das auf Geld basiert. Solche Leute haben auch kein Problem damit, sich mehr Zeit zu kaufen. Auf der anderen Seite gibt es Menschen mit hehren Zielen, Menschen, die an neuen Energiesystemen forschen oder was anderes Weltbewegendes machen. Sollen diese Menschen das Recht bekommen länger zu leben? Man merkt, wie komplex das alles wird. Welche Werte herrschen vor? Wer sind die Individuen? Wem wird erlaubt, länger zu leben? Noch wichtiger ist aber: Wer entscheidet über genau diese Fragen, und wer sind diese Menschen? Ich habe keine Antwort darauf, wie das genau auszusehen hat. Wir haben heute schon Schwierigkeiten sozialen Konsens zu schaffen. Und in jedem Land gibt es unterschiedliche Wertesysteme. Wie wir einen globalen Konsens schaffen, wird eine große Herausforderung sein.

Was sind die nächsten wichtigen Fragen, die sich der Forschungsbereich zu stellen hat?
Die philosophische, ethische und moralische Seite ist wesentlich. Wenn wir diese Technologie betrachten, dann wird sie einen hohen Preis haben. Die Diskrepanz zwischen denen, die Zugang zu der Technologie haben werden und jenen, die nicht, wird eine Rolle spielen. Wie können wir generell die Kosten senken. Allen voran darf die Entscheidung, wie ein Mensch zu werden hat, keinen Ideologien oder politischen Wertesystemen unterliegen.

Leseliste 13. Oktober 2019 – andere Medien, andere ThemenDiesmal mit Peter Handke, Klassik, Mark Zuckerberg, Joseph Vogl

Leigh Sachwitz: „You are only as good as your last job!“Advertorial: Das Filter empfiehlt den Telekom Electronic Beats Podcast