The Sado & Omagari DiariesDas Filter auf Reise in Japan | Teil 2

Sado Diaries Teil 2 alt start

Im zweiten Teil unseres Reiseberichts aus Japan legt Ji-Hun Kim den Fokus aufs Wesentliche: kulinarische und visuelle Freuden. Über Sados besonderen Sake, Sushi, wie es eigentlich gemeint war und ein Feuerwerksfest, was auch schon am Tage funktioniert.

Garten-Breaker
Garten-Breaker

Die vielfältigen Landschaften auf Sado laden ein, die Insel auch sportlich zu erschließen. Sado ist ein Ort für Radsport, jährlich findet hier ein internationaler Triathlon statt, und es bietet Wanderrouten, die mit einer eigenen Schönheit begeistern. Ich war unterwegs auf dem Berggelände Donden. Ein Hochlandareal, das durch drei Berge mit je 900 Meter Höhe eingeschlossen ist. Das ist kein Extremsport und somit auch für Großstädter geeignet. Es gebe aber zahlreiche anspruchsvollere Routen, erklärt mir der Bergführer, der vor rund zehn Jahren in Berlin für ein Jahr gelebt hat und mir kaum glauben wollte, dass die Mietpreise derweil so angezogen haben, dass heute hippe Menschen in Lichtenberg und in Neukölln hinter dem S-Bahn-Ring nach Wohnraum suchten. Ob denn niemand mehr nach Prenzlauer Berg will, fragt er mich. Ich zucke mit meinen Achseln. Er schaut verdutzt – auf der Insel vergeht die Zeit dann doch um einiges langsamer.

Donden Ausblick
Sado Donden Poller
Donden Hügel

Idyllisch: Wandern im Hochland von Donden.

Sado Taraibune

Wie Chihiro: Eine Kübelbootfahrt zwischen den kleinen Inseln Yajima und Kyojima.

Den Vergleich zu fantastischen Anime-Filmen habe ich ja schon bemüht, aber auch dieses Szenario in Donden lässt einen die Welt vergessen. Ich warte förmlich darauf, dass Prinzessin Mononoke an mir vorbeireitet oder doch wenigstens ein Einhorn passiert und Hallo sagt. Die Studio-Ghibli-Legende Hayao Miyazaki hat auf Sado immer wieder Material für seine Meisterwerke gefilmt und sich von der Insel inspirieren lassen. Vielleicht erinnert jemand die Kübelboote aus dem Film „Chihiros Reise“. Die sogenannten Tarai-bune, mit dem Rin und Chihiro zur Tramstation übersetzen, gibt es wirklich nur hier. Ursprünglich sägte man alte Holzfässer auf und Männer, und Frauen nutzten die Tarai-bune auf Sado, um damit nach Meeresfrüchten und Algen an der Küste zu suchen. Einige Fischer machen das bis heute noch so. Das Vorankommen ist aber beschwerlich und braucht einiges an Balance und Übung, weshalb heute in Yajima/Kyojima und Shukunegi hauptsächlich Besucher eine Runde im Wasser drehen lassen.

Donden Hang
Donden Grün

Kein Schnösel, keine SUVs

Sado verfügt über ein öffentliches Busnetz und diverse Taxiunternehmen, bei denen man Fahrer auch auf Tagesbasis buchen kann, um mobil zu sein. Man kann ebenso komfortable E-Bikes mieten. Am Ende empfiehlt sich, wie bei den meisten Inselbesuchen, das Mieten eines Autos. Die Führerscheinsituation ist indes ein bisschen tricky. Reicht für einen Österreicher der übliche internationale Führerschein, benötigen Leute mit deutschem Führerschein eine offiziell beglaubigte Übersetzung ihrer Fahrerlaubnis. Einige Reiseunternehmen bieten hierzulande diesen Service aber an. Sados Straßen, vor allem die 280 km lange Küstenlinie, sind wirklich traumhaft. Der Transit strahlt trotz des Linksverkehrs nicht einen Moment Stress aus. Es gibt auf Sado keine SUVs, sondern vornehmlich putzige, japanische Mini-Vans, die einen freundlich anlächeln und nicht grimmig wegkläffen.

Auch gibt es auf Sado (derzeit noch) keine 5-Sterne-Hotels. Zwar ist die Insel vor allem zur Sommerferienzeit bei japanischen Besuchern populär. Hier findet man aber keinen schnöseligen Glamour oder Yacht-Häfen, keine überkandidelten Michelin-Tempel und auch keine Luxus-Spas, die Influencerinnen auf Instagram bewerben, welche die Follower sich aber ohnehin nie werden leisten können. Stattdessen nimmt man in den schönen Ryokans und Hotels ein heißes Bad im Onsen, entspannt im bequemen Yukata (Bademantel) auf Tatami-Matten und genießt die regionale Küche. Klassisch japanisch und dennoch elegant. Dieser Absenz des Protzes lässt sich angenehm an. Ich denke an die vielen unsympathisch gewordenen Hafenorte im Mittelmeer, die durch Millionäre annektiert wurden und die Kluft zwischen Einheimischen und Touristen nur noch weiter aufreißen. An Ibiza-Rambazamba und dröhnende AMGs auf Strandpromenaden und wie man das hier alles so gar nicht vermisst. Vielleicht ist nachhaltiger Tourismus auch einer, der auf einer ungefähren ökonomischen Augenhöhe passiert und nicht nur immer von oben nach unten tritt.

Sado Senkakuwan Leuchtturm
Sado Senkakuwan

Die Bucht von Senkakuwan

Sake und Sushi

Ich werde in Berlin oft gefragt, welches koreanische Restaurant denn nun das Beste sei. Eine gute Antwort fällt mir auf die Frage schwer. Denn das, was man in Deutschland oder auch England und USA unter koreanischer Küche versteht, bildet eben nur einen kleinen Bruchteil der eigentlichen Küche ab. Das liegt vor allem an den verfügbaren Zutaten. Aber das zu erklären, ist auch nicht so leicht. Mit der vielfältigen japanischen Küche verhält es sich genau so. Zwar gibt es heute Sushi auch fertig abgepackt im REWE. Man darf aber behaupten, dass das Dargebotene mit der eigentlichen Grundidee in etwa so viel zu tun hat wie eine Fotokopie des Essens. Vielleicht schmeckt die Fotokopie besser. Die Globalisierung hat uns glauben lassen, dass man überall auf der Welt alle Küchen der Welt essen kann. Wenn Mexikanern aber bereits der Taco hinter der Grenze in Texas nicht mehr schmeckt, so wie Bayern der Beelitzer Spargel, wie soll es erst mit der japanischen Küche sein, die so sehr auf regionale Produkte setzt, zumal traditionsgemäß im Bereich Lebensmittel so gut wie nichts exportiert wird?

Kurz, wer in seinem Leben wirklich japanisch essen möchte, muss nach Japan. Period. Und wer Fisch und Meeresfrüchte mag, bekommt hier eine besonders nachhallende Vorstellung davon, wie Sashimi und Konsorten eigentlich gemeint sind. Europäern unbekannte Produkte wie Schneekrebse, Alaska-Krabben und Seeschnecken (Turbo cornutus) gehören in Sado zu den besonderen Delikatessen. Man geht respektvoll mit den Zutaten um, die ja zumeist von Freunden und Bekannten auf der Insel stammen. Auch das bildet eine starke Gemeinschaft. Bekannt sind in Sado auch der Seetang und die Algen, die in der japanischen Küche eine wichtige Rolle spielen, und mit Burikatsu gibt es ein Signature Dish, das es so nur auf dieser Insel gibt: eine Reis-Bowl mit knusprig ausgebackener Gelbschwanzmarkrele, das sogar ein eigenes knuffiges Maskottchen bekommen hat.

Sado Janome Sushi

Feinstes Sushi gibt es im Janome. Dass die Nigiri auf der Holztheke serviert werden, ist Absicht. So wird gezeigt, wie sauber die Arbeit des Sushi-Chefs ist.

Sado Burikatsu

Signature Dish in Sado: Burikatsu ist gebackene Gelbschwanzmakrele auf Reis. Das Grüne in der Mitte ist Mekabu. Eine haarfeine Alge, die im ziemlich speziellen eigenen Schleim kommt. Schmeckt dennoch sehr gut und soll schöne Haare machen.

Sado Burikatsu Maskottchen

Mit dieser knuffigen Makrele wird Burikatsu beworben.

Sado Lunch Ryotsu

Verkehrte Welt: ein „einfaches“ Mittagessen in Ryotsu. Sashimi ist in Sado um einiges günstiger als Rindfleisch. Die Alaskakrabbe ist von Natur aus so rot und schmeckt roh fein süß.

Sado Schneekrebs

Schneekrebs im Hotel New Katsura: schwierig zu essen, mit großem Belohnungseffekt.

„Um 1600 ging auf der Insel der große Goldrausch los, die Einwohnerzahl stieg rasant an“, erklärt Ken Hirashima, Präsident der Sake-Brauerei Obata, die Entstehung der Sake-Kultur auf Sado. „Es wurde viel Fläche für den Reisanbau benötigt, die Goldschürfer und Arbeiter in den Minen mussten versorgt werden. Als sich der große Goldrausch aber langsam dem Ende zuneigte, stellte sich die Frage, wie man die Reisernten sinnvoll verwerten kann. Das war um 1700. So ging es mit der Sake-Produktion auf Sado los.“ Herr Hirashima betreibt eine von fünf Sake-Brauereien auf Sado. Ein Mann mit schmalen Schultern und freundlichem Lachen, der dennoch Ministerales ausstrahlt. Hirashima heiratete in die Betreiber-Familie Obata ein und wurde vor zehn Jahren Präsident. Die ausgezeichneten Sake von Obata bekommt man in der ersten Klasse der Air France serviert, bei uns kann man sie über den Berliner Sake-Importeur Maximilian Fritsch von Tokuri beziehen. Auch mit Richie Hawtin hat sich Herr Hirashima bereits intensiv ausgetauscht. Die Erhaltung der Sake-Kultur ist zu einer internationalen Angelegenheit geworden. Zwar erhält Sake weltweit auch durch die oben genannten Protagonisten immer mehr Aufmerksamkeit, in Japan selbst ist die Tradition von Sake aber bedroht. Das liegt auch an der harten Arbeit, die von Oktober und März dauert und nur noch wenig Nachwuchs begeistern kann, zumal dieser für die Sommersaison einen anderen Job braucht.

Sado Ken Hirashima

Vertreibt seinen Sake bis nach Berlin: Obata-Präsident Ken Hirashima vor seiner Sake-Brauerei.

„Das mit der Krise stimmt leider“, erklärt Ken Hirashima. „Es gibt aber immer mehr Interesse aus anderen Ländern. In einer ehemaligen Grundschule bieten wir im Sommer Kurse an, um zu zeigen, wie man Sake eigentlich macht. Produziert wird ja im Herbst und Winter. Die Sommerzeit nutzen wir, um unser Wissen um die Sake-Produktion zu teilen. Letzten Sommer hatten wir zehn Teilnehmer, davon sieben, die nicht aus Japan waren. Aus Frankreich, Australien, USA, Kanada, Hongkong und Taiwan waren Leute dabei.“ Herr Hirashima berichtet von Briten und Amerikanern, die in Japan Karriere als Meisterbrauer machten, der europäischen Sake-Gesellschaft, die ein Franzose kürzlich gründete und von einem Spanier, der bei Obata gelernt hat und nun in Spanien Sake herstellt. Ich frage ihn, ob er den spanischen Sake probiert hätte und wie er ihn fände. „Er macht Fortschritte“, antwortet Hirashima lächelnd, wohl wissend, dass noch viel Luft nach oben ist.

Sado Obata

Sich international aufzustellen ist für japanische Sake-Produzenten nicht selbstverständlich, wurde doch einst ausschließlich für die Region gebraut. Export, Marketing und Promotion standen nicht auf der Agenda, im Gegenteil: In traditionellen Gewerken muss die Qualität der Arbeit für sich sprechen. Lange galt: Wenn jemand etwas bewirbt und laut anpreist, dann stimmt da etwas nicht. Aber auch hier haben sich die Zeiten geändert. Der internationale Approach und die kulturelle Öffnung könnten für die Zukunft von Sake wesentlich sein. Daher ist auch für Herrn Hirashima Aufklärung und Information erstmal wichtig. „In Europa wird immer wieder billiger chinesischer Baijiu als Sake vermarktet, was für uns natürlich schlecht ist. Aber auf der anderen Seite wächst das Interesse, und es gibt viele berühmte Starköche, die heute Sake mit ihren Kreationen pairen. Ich habe auch mitbekommen, dass internationale Barkeeper Cocktails mit Sake kreieren. Solange der Sake betont und als Highlight inszeniert wird, begrüße ich das.“ Ich frage noch, ob sich die wandelnde globale Aufmerksamkeit auf die Qualitätskriterien von Sake auswirken. „Es gibt keine Regeln, die besagen, was einen perfekten Sake ausmacht und was nicht. Auf der einen Seite gibt es den Brauer, auf anderen Seite gibt es den Kunden. Und die müssen sich treffen. Der Produzent hat eine Vorstellung davon, was das Beste ist, und der Kunde hat ebenso eine Vorstellung davon, was der beste Sake ist. Wenn sich diese Vorstellungen treffen, dann gibt es eine Nachfrage. Ich halte nichts davon, dass sich jemand hinstellt und sagt: Das ist der allerbeste Sake. Es gibt immer mehr als eine Perspektive, und die muss man zusammen denken.“

Sado Hokusetsu Brauraum

In der Sake-Brauerei Hokusetsu

International arbeitet auch die Sake-Brauerei Hokusetsu. Hier ist man besonders stolz auf die exklusive Kooperation mit dem amerikanischen Restaurant-Franchise Nobu. Der Koch und Gründer Nobuyuki Matsuhisa ist in den USA ein Superstar. Er spielte sogar kleine Nebenrollen in Hollywoodfilmen wie „Casino“ und „Austin Powers“. Und was als kleine Fusionküche begann, ist heute ein Imperium aus 47 Edelrestaurants weltweit. Matsuhisas Geschäftspartner ist niemand Geringeres als Robert de Niro und es tummeln sich auf der Insel Gerüchte, de Niro wäre einmal im Jahr auf Sado, was sich auf Nachfrage aber instantan als urbaner Mythos herausstellt. Dass Robert de Niro dennoch ein großer Fan von Sake ist und natürlich den von Hokusetsu am allerliebsten mag, betont man hier gut und gerne. Zahlreiche Fotos mit Prominenten aus dutzenden Restauranteröffnungen schmücken die Wände.

Sado Yasuo Nakagawa

Hat laut eigener Aussage Sake in seiner DNA: Yasuo Nakagawa, Geschäftsführer bei Hokusetsu.

Ich treffe Yasuo Nakagawa, Geschäftsführer der Brauerei, und Yukiko Hazu, Sekretärin und Gattin des Präsidenten. Es ist neun Uhr in der Früh, aber natürlich darf ich schon den Sake kosten, der durch so viele exklusive Schlünde geronnen ist. Ich probiere natürlich auch Robert de Niros Lieblings-Sake. Die Zahl 35 auf der Flasche signalisiert, dass das Reiskorn auf 35 Prozent runtergeschält wurde. Das heißt, es werden 65 Prozent Ausschuss produziert, um an die feinste Stärke des Reiskorns heranzukommen. Umso mehr ein Korn geschält wird, desto edler und teurer wird der Sake. Eine so einfache wie einleuchtende Logik. Nach den vergangenen Tagen auf der Insel und den mindestens sieben weiteren Sorten, die ich auf nüchternem Magen mit Herrn Nakagawa verkoste, wird klar, wie komplex und vielfältig Sake ist. Unterschiedliche Serviertemperaturen, der Poliergrad vom Reis. Es gibt gelagerten und ungelagerten Sake, süßen blickdichten Sake ohne Alkohol oder Sake, der mit Tempelblüten infusioniert wird.

Sado Sake Silu
Sado Sake Ultraschall

Auf solchen Ultraschallkästen werden Sake-Flaschen gelagert, um einen noch feineren Geschmack zu schaffen.

Bei Hokusetsu gibt es Sake, der mit Ultraschall bearbeitet wird. So soll der Schaukeleffekt auf Schiffen simuliert werden. Man hat nämlich festgestellt, dass „geschaukelter“ beziehungsweise geschüttelter Sake ein feineres und sanfteres Alkoholbild abgibt. Mit Ultraschall soll dieser Effekt sogar noch verbessert werden. In einem weiteren Lagergewölbe stehen Sake-Flaschen, die rund um die Uhr mit Musik des japanischen Synthie-Musikers Kitaro bespielt werden. „Dazu das Meeresrauschen von Sado. Die perfekte Kombination. So entsteht ein Sake, der besser verdaulich ist“, schwärmt Herr Nakagawa. Frau Hazu zeigt mir später noch die hochmodernen Zentrifugen, die für die besonders sortenreinen Sake benutzt werden. Stählerne, glänzende Maschinen, die pro Stück „so viel wie ein Ferrari kosten“.

Sado Sake Zentrifuge

In ganz Japan gibt es 20 dieser Hightech-Zentrifugen. Zwei davon stehen hier bei Hokusetsu. Macht ergo zwei Ferrari.

Sado Sake Labor

Überall in der Brauerei werden Vorbereitungen für die anstehende Produktionssaison getroffen. Der Sake auf Sado ist eng mit dem Charakter der Insel verbunden. Der Reis der Insel bietet neben dem kräftigem Wasser die ideale Basis für den Reiswein. Der Reis wird mit Austernschalen aus dem umliegenden Meer gedüngt. „Seitdem weniger Chemikalien benutzt werden, findet der Nipponibis wieder mehr natürliche Nahrung am Rand der Reisfelder.“ Der Nipponibis, oder Toki, ist das Symboltier der Insel. Anfang des Jahrhunderts war der Vogel so gut wie ausgestorben, konnte aber mit viel Mühen renaturiert werden. Das geht aber nur, wenn auch die Landwirtschaft auf Nachhaltigkeit setzt. Das haben vom Sake-Brauer bis zum Reisbauer heute alle Beteiligten verstanden. Mit Glück kann man nach vielen Jahren wieder frei fliegende Exemplare auf der Insel sehen. Er schmückt Milchtüten und unzählige Souvenirs. Seine Rückkehr steht somit auch sinnbildlich für die Renaissance Sados. Man könnte es zumindest so interpretieren.

Es ist Zeit für mich, die Insel zu verlassen. Ich habe einige wirklich eindrückliche Tage erlebt. Selten war ich an einem Ort, der so friedvoll, sicher und schön zugleich ist. Weder habe ich je so gut japanisch gegessen und getrunken, noch habe ich je zuvor Nō erlebt oder Taikos gespielt. Sado strahlt Tiefenentspannung aus. Ich erinnere mich an die Sätze von Ken Hirashima von der Obata-Brauerei: „Auf Sado gibt es alles, was Japan ausmacht. Das Meer, die Berge, der gute Reis, das gute Wasser, die Sonne und die vielfältige Natur.“ Ein kleines Japan im großen.

Sado Reisfelder

Bonustrack: Omagari

Im kleinen Örtchen Omagari in der Präfektur Akita wird seit 1910 ein großes Feuerwerk veranstaltet. Heute ist es eines der größten Festivals dieser Art in Japan. Mit dem Shinkansen aus Tokio kommend machen die meisten Zwischenstopp in dem alten Samurai-Dorf Kakunodate, das mit jahrhundertealten Bäumen, Rikschas und mondänen Samurai-Häusern von vergangenen, mysteriösen Zeiten erzählt. Bekannt in Akita ist auch die gleichnamige Hunderasse. In Kakunodate gibt es allerhand Merchandise mit dem putzigen Hund – gleich mehrfach bekomme ich die Geschichte zu hören, dass Vladimir Putin höchstpersönlich einen Akita-Hund als Geschenk der Präfektur erhalten habe. Gehen wir davon aus, dem Tier geht es gut.

Sado Kakunodate 1

Verwunschenes Straßenbild in der historischen Samuraistadt Kakunodate.

Sado Kakunodate 2

Die Feuerwerkskunst spielt in Omagari seit jeher eine große Rolle. In Deutschland inszenierten Künstler aus Omagari 1987 zur 750-Jahr-Feier von Berlin ein Feuerwerksspektakel am Flughafen Tempelhof. Über eine Million Menschen sahen das mit Musik synchronisierte Feuerwerk, und auch in Ost-Berlin sollten so viele Menschen wie möglich erreicht werden. „Im Himmel gibt es keine Mauern“, kommentierte die Gruppe aus Omagari ihre Arbeit in dem selben Jahr, in dem auch David Bowie seine Lautsprecher Richtung Brandenburger Tor lenkte, um so viele Ost-Berliner wie möglich zu erreichen.

Die Kunst des Feuerwerks wird in Japan eng mit der Shinto-Tradition in Verbindung gebracht und hat bis auf die technische Grundlage wenig mit unserem Kirmesfeuerwerk oder Silvester-Geböller zu tun. Die Vergänglichkeit einer Feuerkugel steht für die Vergänglichkeit von Zeit und Leben. Die in die Luft geschossenen Blüten („Hana-Bi“) tragen Namen wie „Vergängliche Chrysantheme“ oder „Aufsteigender roter Drachen“ – hier gilt das Feuerwerk als Kunstform und so wird es auch gefeiert. In Omagari treten Teams aus 27 Präfekturen in unterschiedlichen Disziplinen an. Ausschließlich hier gibt es einen Tageswettbewerb, in dem hauptsächlich Farbstaub zum Einsatz kommt, der im Himmel wie Aquarell zerfließt. Am Abend treten die Teams dann noch mal in zwei Disziplinen an. Beim Hana-Bi wird zunächst eine „Blume“ in den Nachthimmel gemalt. Dann kommt die Kür, in dem über zweieinhalb Minuten mit Musik eine Choreografie dargeboten wird. Die Jury bewertet beide Disziplinen. Der große Preis wird vom Premierminister persönlich ausgelobt.

Omagari 1
Akita Polizeibus

Kaum zu tun: Die Polizei Akita bei dieser Großveranstaltung mit 750.000 Besuchern.

Omagari 2
Omagari 3

An diesem Tag kommen 750.000 Menschen aus dem ganzen Land nach Omagari. Trotz unglaublicher Menschenmengen am viel zu kleinen Bahnhof ist alles sehr ordentlich und diszipliniert. An den Straßenseiten bieten unzählige Food-Stände Yakitori, Yakisoba, Takoyaki und kalte Getränke an, alle sind positiv aufgeregt. „In Japan sind Menschen oft sehr reserviert und wollen ihren Gefühlen keinen freien Lauf lassen. Bei so einem Festival kann man sich mit vielen anderen einfach mal freuen, klatschen und lachen“, erklärt mir meine Reisebegleiterin eine weitere Anziehungskraft des Feuerwerks. Statt Bestuhlung gibt es gefakte Tatami-Matten, die wie Parzellen funktionieren. Man teilt sich in einer Gruppe quasi einen Quadranten.

Omagari Feuerwerk Tag 1
Omagari Tag Feuerwerk 2
Omagari Feuerwerk Tag 3

Es gibt für mich keine Referenzen für das, was ich in diesen Stunden in Omagari gesehen habe. Ein minutiöser, hochprofessioneller Wettbewerb, der zugleich die Vielfalt der mir unbekannten Möglichkeiten von Feuerwerkskunst aufzeigte. Von bunten, poppigen Inszenierungen bis hin zu impressionistischen Gemälden. Diese faszinierende Synchronizität mit der Musik. Kindliche Freude, ein trockener Mund, weil ganze Zeit offen, Glückstränen. Ich vergesse den ganzen Feinstaub, der in der stundenlangen Explosionsekstase den Himmel ganz milchig werden lässt. Große Sponsoren bekommen imposante Extra-Slots, Coca-Cola macht mit gigantischen Feuerblumen auf die kommende Olympiade in Tokio mit Stevie-Wonder-Untermalung aufmerksam und als Highlight eine Coproduktion aller Teams, die auf einer Breite von mehreren hundert Metern ausgespielt wird. Ein Feuerwerksexzess.

Omagari Feuerwerk nachts quer
Omagari Feuerwerk 2
Omagari Feuerwerk 3
Omagari Publikum

Am Ende nach den atemberaubenden Performances packen 750.000 Zuschauer Leuchtstäbe und Handy-Taschenlampen aus und winken den Feuerwerkskünstlern auf der anderen Flussseite zu. Einen Applaus würden sie nicht hören, wie aufmerksam und durchdacht doch Dinge immer wieder funktionieren können. Den ersten Preis des Premierministers gewinnt 2019 das Team aus der Präfektur Gunma für ihre Darbietungen „Chrysantheme mit fünf Kernen“, „Großer Lehrer“ und „Gedicht an die Blume“.

Dieser Bericht entstand im Rahmen einer Pressereise, die von folgenden Institutionen realisiert wurde: The Tohoku Tourism Promotion Organization, The Tohoku District Transport Bureau of The Ministry of Land, Infrastructure, Transport and Tourism, Miyagi Prefecture, Sendai City, Hakodate City, Hokkaido Railway Company und East Japan Railway Company.

Leseliste 06. Oktober 2019 – andere Medien, andere ThemenMediatheken, Wachstumszwang, Deutschland 2025 und Greta-Marketing

Mix der Woche: Kevin SaundersonHommage an die New Yorker Paradise Garage