„Ich manage Enter Sake wie ein Plattenlabel“Im Gespräch mit Richie Hawtin über sein Sake-Business und die kulturellen Ziele dahinter
20.11.2017 • Leben & Stil – Text: Jan-Peter WulfWir kennen Richie Hawtin als DJ, als Künstler – unter anderem als Plastikman – und als Labelbetreiber. Doch der Kanadier, der seit vielen Jahren in Berlin lebt, hat noch eine zweite große Passion neben der Musik: Sake. Seine Leidenschaft für Japans flüssiges Kulturgut ist so groß, dass er mit „Enter Sake“ ein eigenes Unternehmen gegründet hat, das sich einer besonderen Mission verschrieben hat: Zu helfen, Sake außerhalb Japans bekannt und beliebt zu machen, damit es letztlich auch jüngere Menschen in Japan wieder für sich entdecken. Denn die Zeiten sind keine guten für das Getränk, das im Westen mithin Reiswein genannt wird, aber wie ein Bier hergestellt wird. Die Zahl der Sake-Brauereien nimmt rapide ab. Jan-Peter Wulf hat sich mit Richie Hawtin zum Gespräch – und zu einem kleinen Tasting am Mittag – getroffen.
Wie bist du zum Sake gekommen?
1994 war ich das erste Mal in Japan, einem Land, das für mich mit der elektronischen Musik fest verbunden ist. Viele der Instrumente, die ich damals schon benutzte und noch immer, die Rolands, die Yamahas, kommen von dort. Es war richtig aufregend, als ich das erste Mal Tokio besuchte. Ich bat den Promoter dort, etwas Lokales essen und trinken zu gehen. Sake kannte ich zwar schon vorher, aber die Erfahrung war keine schöne gewesen – warmes Zeug, das einen schweren Kopf macht. Umso überraschter war ich, kühlen Sake serviert zu bekommen. Fruchtig, sanft, köstlich – das komplette Gegenteil von dem, was ich bisher erlebt hatte. Man brachte ihn uns in kleinen Karaffen, goss uns ein – sehr social, ein anderes Gefühl des Trinkens. So habe ich mich langsam in Sake verliebt und ihn dann jedes Mal getrunken, wenn ich in Japan war. Die locals in Japan, die Promoter, meine Freunde, die tranken damals alle keinen Sake, sondern Mixdrinks wie überall auf der Welt. Die fanden es strange, dass ich immer Sake trinken wollte – jetzt berichten sie jedes Mal, wenn ich zurück komme, welchen Sake sie gerade wieder entdeckt haben. Aber Sake gilt als Altherrengetränk, das trinken die Eltern oder Großeltern. Unter 40 Jahren keiner.
Weswegen Sake heute bedroht ist, richtig?
Eine ganze Generation hat Sake verpasst. 8.000 Brauereien gab es noch in den Siebzigern, als ich anfing, mich damit zu beschäftigen, waren es noch 1.000. Das Schlimmste, was passieren kann, ist dass noch mehr Brauer ihre Türen schließen. Jedes Mal geht dann ein Teil japanischer Kultur, Kultur in der Flasche, verloren, weil mit dem Brauer sein Erbe, seine Brautechnik, verschwindet. Wie eine Sprache, die nicht mehr gesprochen wird.
Wann war für dich klar, dass du selbst etwas mit Sake machen willst?
Das hat sich über mehr als 20 Jahre entwickelt. Ganz organisch. Ich habe nicht an die Türen der Brauereien geklopft und gesagt: Hi, ich bin dieser Technotyp, der Sake in der Welt groß raus bringen will. Nein, eher Sake trinken, Brauer kennen lernen, sie immer wieder besuchen. Vor zehn Jahren habe ich mich in Japan zum Sake-Sommelier ausbilden lassen. Alte Freunde, die die Entwicklung meiner Musikkarriere von Anfang an beobachtet haben, sagten: Rich, das ist jetzt wie mit der Musik bei dir. Wenn du wirklich auf etwas abfährst, dann tauchst du tief darin ein. Also denk drüber nach: Ist Sake nur eine Leidenschaft oder willst du mehr daraus machen? Damit Sake wieder cool und getrunken wird, muss es von jungen Leuten außerhalb von Japan getrunken werden. Denn dann fangen auch die jungen Leute in Japan wieder an, es zu trinken – weil sie immer gerne das übernehmen, was anderswo gemacht wird. Das ist die Idee von Enter Sake.
Ein Re-Entry also.
Exakt. Irgendwann wurde mir klar: Ich komme nicht aus der Getränke- oder Food-Welt wie die ganzen Leute, mit denen ich rund um Sake auf einmal zu tun hatte. Ich bin der odd boy aus der Musikwelt, der jedes Wochenende mit Hunderten, Tausenden jungen Leuten in direktem Kontakt ist, und das in einer Umgebung, in der Musik und Alkohol in Verbindung zueinander stehen. Ich dachte mir: Es muss möglich sein, Sake in meine Welt zu bringen. Was bei meinen Gigs in Japan auch gut funktioniert hat. Wenn das im Club in Japan klappt, dann kann ich Sake auch in die Clubs auf der ganzen Welt bringen.
Was ich erstaunlich finde. Alkoholische Getränke und Clubbing – klar, die Werbebilder sind voll davon, laute Musik und Drinks gehen immer. Aber Sake, finde ich, ist so ein fragiles Getränk. Ein leises fast. War das nicht doch schwierig?
Es ist immer eine Frage des Gefühls und der Musik. Sake und die elektronische Musik, die mir am Herzen liegt, vereint eine gewisse Unbesonnenheit. Das Gefühl, das Sake einem gibt, und das Gefühl dieser Art von elektronischer Musik – da besteht eine Verbindung.
Sake wird hergestellt, indem vom Reiskorn durch das Polieren etwas weggenommen wird. Um Wegnehmen oder Weglassen geht es ja auch bei minimalistischem Techno.
Ja, die Musik hat einen reduktiven, puristischen Ansatz, sie ist nicht sehr kommerziell. Sake wird nach einer ähnlichen Mentalität gebraut, das Polieren macht kleine geschmackliche Details wahrnehmbarer. Die Musik und der Sake sind beide sehr empfindlich.
Ich habe auf Netflix den Film „The Birth of Saké“ gesehen. Am meisten hat mich die Entbehrung der Brauer beeindruckt. Sie sind ein halbes Jahr am Stück von ihren Familien weg, um Sake nach traditioneller Art herzustellen, sie sind Tag und Nacht in der Brauerei. Ist das ein realistisches Bild?
Die Branche zielt heute auf eine bessere Balance zwischen Brauen und Familienleben ab. Es ist immer noch sehr harte Arbeit, aber zumindest können die Brauer nachts heimgehen. Alle meine Brauerfreunde sind ziemlich jung, der jüngste ist gerade mal 30. Sie alle mussten sich irgendwann entscheiden, wie sie ihren Sake herstellen, wie viele Stunden sie am Tag arbeiten, wie sie mit Mitarbeitern umgehen und welche Technik sie nutzen wollen, um gewisse Aufgaben zu automatisieren. Das kommt meinem Mindset ziemlich nahe, wie die beste elektronische Musik entsteht und performt werden sollte. Die Kühltechnik, die langen Brauprozesse – das alles wäre vor 50 Jahren nicht möglich gewesen. Es ist auch ein kultureller Shift: Man hat heute mehr Bewusstsein für den Inhalt, er soll eben keinen schweren Kopf verursachen. Es geht bei Sake mehr denn je um Reinheit, bei Techno auch. Beides lässt sich nachvollziehen, auch wenn man keinen Sake mag. Oder keinen Techno.
Wie sieht das Portfolio von Enter Sake zurzeit aus?
Also, es gibt ein Kernsortiment aus fünf Sakeprodukten … ich hasse das Wort Produkt, in der Musik wie bei Sake (lacht). Dazu gibt es Sondereditionen. Unser Design soll auch helfen, Sake zu verstehen – die meisten Sakeflaschen in Japan sind zwar sehr schön, aber man kann nicht lesen, was drauf steht. Was dazu führt, dass man einmal vielleicht einen großartigen Sake trinkt und danach einen schrecklichen. Wir haben hingegen nicht versucht, Enter Sake auf den ausländischen Geschmack anzupassen, genau so würde man ihn auch in Japan trinken. Im Grunde manage ich Enter Sake wie ein Plattenlabel. Ich habe Künstler, die fortwährend Platten eines gewissen Stils produzieren, wir machen Remixe und signen neue Künstler.
Was wären dann die „Next Five“ in dieser Plattenlabel-Analogie?
Eine Supergroup, die sich selbst remixt (lacht). Die „Next Five“ sind fünf Sake-Brauer, die jedes Jahr eine Kollaboration mit jemand anderem machen. 2015 mit Enter Sake, letztes Jahr mit dem Künstler Takashi Murakami. Sie experimentieren gerne herum. Hast du unseren Sake eigentlich schon mal probiert?
Nein, noch nicht.
Let's do this.
Richie holt drei Flaschen aus der Kühlung: Enter Sake Black, Silver und Gold – das sind die drei Einführungs-Sake, sozusagen. „Mit ihnen wollen wir den Menschen ermöglichen, Sake überhaupt zu verstehen, den Kontrast zu erkennen. Damit sie einfach in das Thema Sake einsteigen können. Schließlich heißt es ja auch Enter Sake.“
Enter Sake Silver
Ein Sake der Junmai-Ginjo-Qualität aus der Sekiya-Brauerei in den „japanischen Alpen“ zwischen Nagoya und Nagano. Der Reis ist auf 60% poliert. Die Reisnoten vereinen sich mit dem Aroma und der Süße der Hefe. Fruchtiger Antrunk, leicht trocken, weiches Mundgefühl.
Enter Sake Gold
Auch dieser Sake stammt von Sekiya, es ist ein Junmai Daiginjo (was als beste Qualität gilt) und ist auf 50% poliert. Komplex und markant fruchtig mit Ananas, süßer Birne, angenehm eingebundener Säure. Samtiges, volles Mundgefühl, trockenes Finish mit etwas Würze im Nachklang.
Enter Sake Black
Ein Sake der Honjozo-Kategorie von Sekiya, Poliergrad 65%, ein guter Einstiegs-Sake mit erdigen, nussigen Aromen, der auch in einem kleinen Gebinde erhältlich ist – zum Beispiel für den Club. Mit Pilz- oder Wildgerichten kombiniert, entfalte der Sake seine umami-Noten besonders gut, so Hawtin.
Wie sehen die Pläne für Enter Sake in Deutschland aus?
In den letzten zwei Jahren war Nordamerika im Fokus, jetzt gehen mehr Zeit und Energie in den europäischen Markt. Deutschland hat eine lange Verbindung zu Japan, es gibt eine japanische Community in Düsseldorf. Man hat Respekt für das Land und seine Tradition. Unser Ziel ist aber: Raus aus dem japanischen Restaurant. Ja, man soll Enter Sake ruhig in der Sushibar oder im modernen Asia-Restaurant finden können. Aber es wird viel spannender, wenn man Sake mit lokalem, traditionellem Food paart – ob italienisch, spanisch oder deutsch. Weil es ja das Ziel von Enter Sake ist, Sake im internationalen Markt zu promoten, um am Ende die japanische Jugend von Sake zu überzeugen, muss Sake in jedem lokalen Kontext funktionieren. Also, wenn du ein Dinner hast, sollst du dich fragen: Trinken wir Bier dazu, Wein oder eben Sake? Sake passt gut zu verschiedenstem Essen, weil er so vielseitig ist, weil er eine Fruchtigkeit und Süße hat wie Wein, aber wenig Säure.
Welches deutsches Essen geht gut mit Sake?
Wow. Also, wir haben schon ein paar Testessen mit Enter Sake im Tulus Lotrek gemacht (das Berliner Restaurant erhielt soeben den ersten Michelin-Stern, Anm. d. Red.). Ich finde, Sake passt zum Beispiel gut zu Steak und Kartoffeln. Oder zu Pilz- und Wildgerichten. Sogar besser als Rotwein!