„Mit dem Namen hat man’s nicht immer leicht“Der Techno-Künstler Albert van Abbe im Interview
10.11.2017 • Sounds – Interview: Ji-Hun KimDer aus Eindhoven stammende Produzent, Künstler und Musiker Albert van Abbe ist seit über 15 Jahren im Techno-/House-Zirkus dabei. Angefangen mit illegalen Raves auf dem Land, betreibt er heute mit VANABBE und No Comment zwei Labels und hat dabei einen recht eigenen Ansatz zu Techno entwickelt, der vielleicht auch wegen des kunstaffinen Backgrounds seiner Familie zu dem geworden ist, was er ist. Bei dem Projekt Weltmaschine hat er sich gemeinsam mit Andreas Nicolas Fischer eine aufs Spektakel setzende AV-Performance ausgedacht, die bald in Echtzeit via Game-Engines laufen soll. Man erkennt, Albert van Abbe denkt Techno synästhetischer als die früher übliche White-Label-No-Face-Policy aus dem Hardwax oder sonst wo auf der Welt. Ein Gespräch über einen berühmten Namen, fiese Kunstprofessoren, Techno-Visionen und RFID-Chips als Implantat.
Ich habe festgestellt, dass deine Familie, vor allem dein Urgroßvater in Eindhoven eine ziemliche Persönlichkeit ist.
Das stimmt. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es zwei große Arbeitgeber in der Stadt. Einer davon war Philips, der andere war die Zigarrenfabrik „Karel I“ meines Urgroßvaters Henri van Abbe. Die Familie hatte einen jüdischen Hintergrund, die meisten stammten aus Amsterdam. Anfang des 20. Jahrhunderts zog mein Urgroßvater jedoch nach Eindhoven und gründete seine Tabakfabrik. Er war großer Kunstliebhaber und hat der Stadt seine Kunstsammlung vermacht und das nach ihm benannte Museum gegründet. So ist 1936 das Van Abbemuseum entstanden, das es heute noch gibt.
Wie ist es, in einer Stadt zu aufzuwachsen, in der so ein bekanntes Museum deinen Namen trägt?
Mit so einem Namen in der Stadt zu leben, ist schon seltsam. Man wird oft darauf angesprochen, und ich fand es als Jugendlicher irgendwann auch ziemlich nervig. Ich vermied es, anderen meinen vollständigen Namen zu nennen. Die meisten kannten mich einfach nur unter meinem Vornamen. Die Entscheidung meinen realen Namen auch als Künstlernamen zu verwenden, kam recht spät, als ich mit fortschreitendem Alter besser damit zurecht kam. Ich konnte und wollte das nicht mehr verstecken. Mittlerweile bin auch stolz darauf, Teil dieser Geschichte zu sein. Ich bin auch wieder nach Eindhoven gezogen, ich wollte mich meiner Familie, der Stadt und seiner Geschichte näher fühlen. Ehrlich gesagt, bist du der erste, der mich je in einem Interview danach gefragt hat, obwohl es ohne Frage mein Leben von Kindheit an stark geprägt hat.
Wie künstlerisch geprägt war deine Kindheit? Ich stelle mir vor, dass Kunst in der Familie eine wichtige Rolle gespielt hat. Und wie zur Hölle landet man bei Techno und House?
Da sagst du was. Bei mir fing die Sache mit Techno in der Jugend an, wir veranstalteten illegale Rave-Partys und ich war in der Squad-Szene aktiv. Heißt, ich hing als Teenager eher selten in schicken Galerien oder auf Museums-Events ab. Mit meinen Eltern habe ich auch nicht so viel Zeit in Kunstmuseen verbracht. Ich erinnere mich, dass ich mit meinem Vater in Paris und London war. Mir hat das „Imperial War Museum“ als Kind am meisten Spaß gemacht. Wenn deine Familie einen so großen Namen in einer doch recht kleinen Stadt trägt, dann lässt dich das anders aufs Leben gucken. Es ist schwierig zu erklären.
Fühlst du dich damit glücklich?
Zu meiner Schulzeit hatte ich eher das Gefühl, dass man mich nicht so gut aufgenommen hat wegen des Namens. Obwohl heute mein Name durchaus hilft, wenn ich mal ein größeres Festival mit organisieren möchte. Ich habe eine Kunsthochschule besucht und da trug der Name auch dazu bei, dass Dinge nicht immer so einfach liefen. In unserer Familie nennen wir es die „natürliche Arroganz“ unseres Namens. Die meisten meinen es gut, aber das bedeutet wiederum nicht, dass ich einfacher in die Kunsthochschule aufgenommen wurde. Eher im Gegenteil. Denn wenn Lehrer mit der Vorstellung an einen herantreten: „So, das ist also der junge van Abbe, der jetzt meint, Künstler zu sein,“ war das schon ätzend. Ich will mich nicht beschweren, dennoch kann das eine Hürde sein.
Von Steffi, die ja auch aus Eindhoven stammt, habe ich erfahren, dass Eindhoven in den 90ern eine sehr offene elektronische Szene hatte. Wie sieht es heute aus? Auch im Vergleich zu Amsterdam.
Ich sage ja immer: Eindhoven hat keine Szene. Die Stadt ist relativ klein. Es gibt kaum noch Plattenläden, was deshalb schade ist, weil die ja auch immer Treffpunkte waren, wo man sich ausgetauscht und vernetzt hat. Aus Eindhoven kommen Produzenten wie Martyn, der wie Steffi auch schon auf Ostgut veröffentlicht hat. Ältere Semester kennen vielleicht noch Miss Djax, die heute immer noch das Label Djax-up-Beats betreibt. Zwar veranstalte ich auch regelmäßig Events hier mit dem Namen DRUM. Aber von einer gewachsenen Szene kann keine Rede sein. Wir bemühen uns aber ungenutzte Räume zu erschließen, Künstler miteinander besser zu vernetzen.
Du arbeitest viel im Bereich AV. Ein aktuelles Projekt heißt Weltmaschine, das du gemeinsam mit Andreas Nicolas Fischer machst.
Ich war schon immer Kontrollfreak. Und ich habe einen Background als Graffiti-Maler und Grafikdesigner und denke, dass auch meine Musik grafisch ist. Insofern, dass ich einen grafischen Zugang dazu habe. Wenn ich Musik mache, gibt es auch immer einen virtuellen Raum in meinem Kopf. Für mich persönlich ist es naheliegend, das Visuelle mit dem Sound zusammen zu denken. Das fängt beim Artwork an und geht bei Shows weiter – so ist die Idee der Audio-Video-Show entstanden. Ich wollte ein Gesamtpaket anbieten. Mit Andreas Fischer stand ich schon eine Weile in Kontakt. Ich mag seine Arbeiten sehr und fand, dass sie sehr gut zu meiner Musik passten. Visuell geht es um riesige, leere Gebirgszüge und ähnliche Bilder und Assoziationen habe ich auch bei meiner Musik. Das ist ein Projekt, das natürlich gewachsen ist. Bis zum Ende des Jahres werden wir noch einige Shows gemeinsam als Weltmaschine machen.
Worum geht es da genau?
Weltmaschine ist eine Arbeit im Prozess. Es geht um starke Ästhetiken – auditiv wie visuell. Am Ende wollen wir eine Echtzeit-generierte Show erreichen. Dafür arbeiten wir mit Game-Engines. Wir möchten eine virtuelle Welt im jeweiligen Moment schaffen. Bis wir dahin kommen, wird noch ein bisschen Zeit vergehen, weil für den Live-Betrieb noch extrem viel Rechenpower benötigt wird. Aber Andreas ist ein Experte in dem Bereich und wir arbeiten an der Realisierung. Dennoch spielen wir heute schon live. Das meinen wir mit Work in Progress, wir wollen etappenweise unser Ziel erreichen. Mittlerweile haben wir sogar einen Computer-Sponsor, der uns mit seiner Unterstützung vielleicht noch schneller dahin bringen kann. Mir gefällt generell die Idee, bei einer Performance etwas aus dem Nichts zu schaffen. Mit nichts als rohem Code als Basis.
Reicht dir Techno im traditionellen Sinne nicht aus?
Kann man so nicht sagen. Aber ich möchte für mich Dinge nach vorne bringen. Bei Techno ging es mir immer um Zukunft und darum neue Sachen auszuprobieren. Ich fühle mich hier in Eindhoven aber nicht wirklich als Teil der internationalen Techno-Szene. Ich bin da nah dran, checke neue Releases. Das, was ich mache, fühlt sich aber vor allem natürlich für mich an. Techno im Raum ist für mich das, was ein Pinsel und Farbe für den Maler ist. Der Raum ist ein Medium, wo man seine Message teilen kann. Ich halte nichts von Formeln und Regeln und man sollte alle Möglichkeiten nutzen, so einen Raum zu gestalten.
Die Message ist?
Das klingt immer esoterisch, wenn man nur drüber spricht. Aber, ich bin kein Fan der Massenkommunikation. All die losen Informationen, die täglich rein- und rauskommen. Man erstickt da förmlich drin. Ich möchte viel lieber eine Art Leere schaffen. Einen Raum, in dem man wieder anfangen kann, sich Gedanken zu machen oder einfach nur zum Assoziieren. Das ist irgendwie Zen. Wenn man weniger in seinem Kopf hat, so größer ist doch die Freiheit wieder Entscheidungen zu fällen.
Stimmt es, dass du einen RFID-Chip implantiert hast?
Ich habe ihn kürzlich erst implantieren lassen. Der RFID-Chip ist eine klitzekleine Glasröhre und er soll als Schlüssel für meine Backups, mein Smartphone und Computer dienen. So kann man die Geräte nur aktivieren, wenn ich sie anfasse oder in der unmittelbaren Nähe bin. Es geht heute viel um Privatsphäre und es ist nicht immer klar, welche persönlichen Informationen privat oder öffentlich sind. Ich wünsche mir, mehr darüber entscheiden zu können, was privat oder öffentlich ist. Ich erhoffe mir, dass der Chip mir dabei ein wenig hilft. Ich könnte aber auch entscheiden, welche meiner Songs öffentlich zugänglich sind oder nur für mich. Da will ich mit herum experimentieren.
Was kannst du dir noch vorstellen?
Man kann seine Passwörter auf dem Chip ablegen. Man kann aber auch seine Visitenkarte speichern und auf andere Smartphones übertragen, wenn man sie berührt. Ist nicht unpraktisch, aber eher ein Gimmick. Es wäre auch interessant, Festplatten für DJ-Gigs damit abzusichern. Man müsste mir also die Hand abhacken, wenn jemand an meine Projekte und Backups will.
Das ist dann schon Bio-Hacking?
Klar. So ein Implantat hat schon was Gimmick-haftes, aber es ist funktional und könnte gerade im Bereich Sicherheit ein Ansatz sein. Man weiß ja nie, wo heute deine Daten in der Cloud abgespeichert werden, wer alles darauf Zugriff hat, da ist ein RFID-Chip ein kleiner Schritt, um mehr Raum für dich selbst zu schaffen.
Du möchtest Kontrolle zurückgewinnen?
Würde ich sagen. Vor allem möchte ich aber meine Privatsphäre zurück und ein bisschen mehr Raum für mich haben.
Ist das auch Kunst für dich oder nur ein rein praktischer Nutzen?
Eher letzteres, aber irgendwie passt es auch zu der Musik, die ich produziere. Und die bei mir immer an erster Stelle stehen wird, aber ich möchte durchaus ein weiteres künstlerisches Spektrum zeigen. Da fallen solche Sachen durchaus auch mal zusammen.
Wie soll das Spektrum in Zukunft aussehen? Du hast ja bereits zwei Labels.
Ich mag es weiterhin, Platten zu machen, kann mir aber auch vorstellen, dass es konzeptioneller wird. Man könnte die RFID-Idee auch mit Vinyl versuchen zu realisieren. Wie könnte so was aussehen und klingen? Vielleicht wird aus meiner Veranstaltungsreihe DRUM ein Label, so könnte man Releases, Partys und die Künstler noch näher zusammenbringen. Bei DRUM gibt es zu jeder Veranstaltung eine Farbe. Mal ist es grün, mal blau oder rot. Das ist eine Thematik, die von Anfang an mitgedacht wurde und da bietet es sich ja förmlich an, das Label mit dem gleichen Konzept zu gestalten. Ich denke da schon an ein Gesamtkunstwerk.
Angenommen dir wird in Zukunft die Leitung des Van Abbemuseums übergeben. Was würdest du machen? Einen Dancefloor im Keller aufmachen?
Das wäre natürlich super. Das Museum ist ein toller Ort und ich mag den Ansatz, der in den letzten Jahren dort verfolgt wurde. Es geht mehr um Inklusion. Man bringt vermehrt unterschiedlichste Künstler der Stadt aus unterschiedlichsten Bereichen zusammen. Es gibt mehr Videoarbeiten als früher, was mir gut gefällt. Ich finde es eine unglaubliche Aufgabe ein künstlerisches, komplexes Konzept vor so einem großen Stadtpublikum zu kommunizieren und greifbar zu machen. Die aktuelle Leitung macht einen guten Job. Aber ehrlich, für eine Museumsdirektion bin ich mit knapp 36 Jahren in den Augen der allermeisten auch einfach noch zu jung. Ich bleib erstmal bei den Dingen, die ich jetzt tue. Ich sollte einfach mal wieder öfter hin.