Electronica auf der Suche nach ZukunftRone im Interview über mehr als Featuregäste und das Produzieren vor dem Frühstück
13.12.2017 • Sounds – Interview: Michael DöringerErwan Castex alias Rone ist unser Mann für flauschige Electronica-Wunderwelten mit großen Beats und sich ins Unendliche steigernder Euphorie. Der Franzose ist Cineast durch und durch – das hört man nicht nur seinen dramaturgisch durchdachten Alben an, sondern das bestätigen auch die kleinen Filmkunstwerke, die er vielen seiner Songs an die Hand gibt. Sein neues Album „Mirapolis“, wie üblich auf Infiné erschienen, dürfte dem ehemaligen Filmstudenten aus Paris einen feuchten Lebenstraum erfüllt haben. Denn der große französische Regisseur Michel Gondry kümmerte sich um die Covergestaltung zur neuen Platte. Auf „Mirapolis“ zeigt Rone aber auch, dass er mehr kann und will, als immer nur Blockbuster-Varianten von Boards of Canada meets Brian Eno zu entwerfen: Bryce Dessner von The National, John Stanier von den Battles und viele andere Gäste helfen ihm dabei, seine eleganten Beats akustisch und organisch aufzupeppen. In einer kuscheligen Ecke im Berliner Michelberger Hotel berichtet uns Rone vom Produzieren vor dem ersten Kaffee, von der Suche nach der Zukunft in Musik und wie er Featuregast Saul Williams zufällig in die Arme gelaufen ist.
Was muss man machen, um mit Michel Gondry zu arbeiten?
Ach, ich bin so ein großer Fan von ihm, seit so vielen Jahren. Das Verrückte an der Sache ist, dass er mich kontaktiert hat! Seine Assistentin hat mich auf Facebook angeschrieben, ich dachte natürlich erst, da will mich jemand verarschen. Es hieß, Michel Gondry würde sich gerne mit mir treffen und reden. Ich war so nervös und habe Pläne geschmiedet, wie ich ihn zu einer Zusammenarbeit überreden könnte. Aber als wir uns dann trafen, hatte er quasi schon damit begonnen und zeigte mir auf seinem Laptop Zeichnungen und Portraits zu meiner Musik. Verrückt, oder?
Er war also auch ein Fan von dir?
Naja, zumindest war meine Musik wohl eine Art Inspiration. Also haben wir begonnen, am Artwork für das Cover zu arbeiten. Obwohl wir uns gerade erst getroffen hatten, fühlte es sich sofort total familiär an. Wahrscheinlich, weil ich seine Werke schon so lange kenne.
Das Cover deines Albums zieht leichte Parallelen zu einem Filmplakat von Fritz Langs Stummfilmklassiker „Metropolis“, genau so wie der Titel "Mirapolis" - kein Zufall, oder?
Absicht war es aber auch nicht. Gondry zeigte mir eine paar Entwürfe für das Cover, verschiedene Skizzen. Die Collage einer Stadt gefiel mir besonders gut, aber die war da noch schwarz-weiß. Ich sagte ihm, dass ich mir für das Album eigentlich etwas Farbenfroheres wünschen würde. Das hat er umgesetzt und noch ein Portrait von mir hinzugefügt. Erst dann fiel es uns auf, dass dieses Motiv an „Metropolis“ erinnert. Darauf mussten wir natürlich aufbauen, also entschieden wir uns für den Titel „Mirapolis“.
„Mirapolis“ war auch der Name eines längst stillgelegten Freizeitparks in der Nähe von Paris.
Genau! So kam alles nach und nach wie ein Puzzle zusammen. Als ich diesen bunten Entwurf von Michel so betrachtete, kam plötzlich eine Kindheitserinnerung in mir hoch. Diesen Freizeitpark hatte ich völlig vergessen. Ich war nie dort, aber immer wenn ich mit meinen Eltern in den Urlaub gefahren bin, habe ich ihn in der Ferne vom Auto aus gesehen. Er wurde wenige Jahre nach seiner Eröffnung wieder geschlossen. Ich fand diese Verbindung spannend: eine futuristische Stadt, ein gespenstischer Vergnügungspark und meine Musik.
Mirapolis wurde 1991 geschlossen. Wusstest du, dass daraufhin einige Attraktionen, zum Beispiel eine Wildwasserbahn und eine Achterbahn, an den Spreepark in Berlin verkauft wurden? Der Spreepark ist mittlerweile auch so ein stillgelegter Geisterpark.
Tatsächlich? Ich habe von diesem Park gehört, war aber leider nie dort. Das muss ich nachholen. Vielleicht sollte ich einen Videoclip dort drehen.
Wie kamen deine anderen Kollaborationen zustande? Lädst du deine Featuregäste immer in dein Pariser Studio ein?
Ja, meistens besuchen sie mich in meinem Studio, John Stanier zum Beispiel, Saul Williams und Bryce Dessner. Mit Baxter Dury und Kazu Makino habe ich über die Distanz gearbeitet. Aber jetzt, wo du fragst: Mit Bryce Dessner habe ich sogar hier im Michelberger Hotel etwas aufgenommen, in einem Hotelzimmer.
John Stanier und Bryce Dessner werden auf deinem Album nicht wie die anderen Gäste als „featuring…“ angeführt, sondern es heißt „Rone & John Stanier“ bzw. „Rone & Bryce Dessner“. Die Zusammenarbeit war in diesen Fällen also intensiver?
Ja, die beiden waren nicht einfach nur Gastmusiker, es wurde eine echte Kollaboration. Mit John lief es so: Ich begann mit einer kleinen Melodie und ließ ihn dazu spielen, später baute ich den Track um sein Schlagzeug herum fertig. Wir ließen also gemeinsam etwas entstehen, Schritt für Schritt.
Was steht normalerweise am Anfang eines Tracks?
Die Melodie. Ich fange immer mit einem Keyboard an. Mit dem letzten Album habe ich übrigens meine Arbeitsweise geändert: Ich starte jetzt immer ganz früh am Morgen. Vor einigen Jahren saß ich immer noch bis spät nachts an Musik, aber eigentlich ist der Effekt der gleiche: Wenn man sich in einem leichten Dämmerzustand befindet, also nicht richtig wach ist, dann ist das ein toller Moment für Musik – man denkt nicht zu viel nach, sondern verlässt sich mehr auf seine Stimmung. Wenn ich aufwache, mache ich immer direkt ein bisschen Musik, noch vor dem ersten Kaffee und der Dusche. Im Laufe des Tages versuche ich dann, aus diesen Ideen wirklich etwas zu machen.
Saul Williams verkörpert für mich eher einen aggressiven künstlerischen Ansatz, also etwas ganz anderes als du. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?
Ich habe ihn 2012 getroffen, als ich noch in Berlin lebte. Er war zur Berlinale da, denn er spielte in einem französischen Film die Hauptrolle, der dort gezeigt wurde [„Aujourd'hui" von Regisseur Alain Gomis, Anm. d. A]. Auf der Party nach der Vorführung haben wir uns dann unterhalten und direkt zu einer Jamsession verabredet. Das war eine ganz spezielle Erfahrung. Er lebt in L.A., wir haben über die Jahre Kontakt gehalten und immer wieder gesagt, dass wir etwas zusammen machen sollten. Als ich an meinem neuen Album arbeitete, lief ich ihm auf der Straße in Paris über den Weg. Was für ein Zufall! Natürlich sind wir sofort in mein Studio und haben den ganzen Tag Musik gemacht. So sind die beiden Tracks entstanden.
Musik machen bedeutet für dich, nach einer Musik der Zukunft zu suchen – so hast du es vor ein paar Jahren mal beschrieben. Kannst du das erklären?
Für mich ist es absolut wichtig, durch ein wenig Herumexperimentieren etwas Neues in meinem Sound zu finden. Das ist der spannendste Teil meines Jobs: das Gefühl zu haben, sich weiterzuentwickeln. Musik hat wirklich ein sehr eigenartiges Wesen. Jeder Musiker hat seine persönlichen Einflüsse, aber ich verstehe es eher so, dass wir alle zusammen daran arbeiten, um die Musik voranzubringen. Man holt sich woanders Inspiration und verarbeitet sie zu etwas Neuem. Und irgendjemand wird dasselbe mit deiner Musik machen, sie erneut erweitern. Ich weiß nicht wo es hingeht, aber es fühlt sich eben an, wie nach der Musik der Zukunft zu suchen.
Wie sieht diese Weiterentwicklung denn konkret aus?
Ich glaube, auf dem neuen Album hört man eine ganz persönliche Evolution. Ich versuche ja eigentlich gar nicht, besonders innovative Musik zu machen. Für mich zählen kleine Dinge, zum Beispiel Passagen, die ich auf dem Klavier eingespielt habe. Sonst ist meine Musik immer elektronisch entstanden. Mich an solchen Instrumenten auszuprobieren, bedeutet für mich, wirklich zu experimentieren. Klingt schräg, eigentlich würde man ja denken, dass es viel experimenteller wäre, mit abgefahrenen, neuen Synthesizern zu arbeiten. Aber ich fühlte mich an irgendeinem Punkt einfach zu eingeengt von all dem digitalen Zeug. Die Musik kam aus dem Synth direkt in den Computer, das wars. Da gab es kaum Möglichkeiten, eine lebendige Atmosphäre einzufangen.
Das klingt nach einem guten Zeitpunkt, um eine Band zu gründen.
Bloß nicht! Vielleicht wäre es eine Weile lustig, aber ich kann mir kaum vorstellen, mit einer Band auf Tour zu gehen. Viele Freunde von mir sind in Bands, und ich bekomme mit, wie die Egos aufeinanderprallen. Da bin ich doch ganz gern allein unterwegs.