„Es gibt zu viele DJs – Ich bin einer davon“Interview: Kevin Saunderson und Inner City

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Inner City 2019: Kevin Saunderson, Steffanie Christi’an und Dantiez Saunderson. Alle Fotos: Tafari K. Stevenson-Howard

Mit dem Projekt „Inner City“ stellte Kevin Saunderson den Dance-Music-Sound aus Detroit weltweit auf. Das war 1989. Die Tracks „Big Fun“ und „Good Life“ vermittelten Pop- und Charts-kompatibel den Spirit der „motor city“, bevor der Tresor überhaupt eröffnete. Und heute? Millionen verkaufte Schallplatten später? Geht Saunderson das Projekt neu an – mit seinem Sohn Dantiez und der Sängerin Steffanie Christi’an. Zwischen Dancefloor-Klassikern und neuen Entwürfen ist das keine Inszenierung von Techno-Schlagern, sondern vielmehr ein erstgemeinter Versuch, der mannigfachen Geschichte der elektronischen Tanzmusik eine neue und relevante Facette hinzuzufügen. Das geschieht aktuell vor allem mit Konzerten. Eine neue Platte ist geplant, aber noch nicht spruchreif. Thaddeus Herrmann hat das Trio getroffen.

In der Hotel-Lobby läuft smoother Jazz. Ein paar Fensterscheiben der Glasfront haben den 1. Mai nicht überlebt und sind notdürftig geflickt: Berliner Alltag. Kevin Saunderson trägt schickes Schwarz und sportliche Oakley-Sonnenbrille, sein Sohn Dantiez vollständig Berghain-kompatible Garnitur. Steffanie kommt als erste und versinkt in einem schweren Sofa. Das neu geformte Trio ist auf Tour, um dem Erbe von Inner City ein neues Kapitel hinzuzufügen, bzw. die Geschichte fortzuschreiben. Das geschieht zunächst nur mit einer genauen Evaluation des Vorhandenens. Dabei soll es jedoch nicht bleiben. Papa und Junior Saunderson sind bereit, der Inner City wieder mehr Pressure zu verleihen. Ob das was wird? Abwarten. Eigentlich stehen die Zeichen aber auf Erfolg. Papa Saunderson ist nach wie vor im Geschäft. Als DJ und Techno-Authorität allgemein, nicht nur wegen der Reese-Bassline. Sein Sohn hat eine erfolgreiche Solo-Karriere am laufen – ebenfalls in Sachen Techno. Und Sängerin Steffanie Christi’an hat in der Rock-Musik schon längst ihre Heimat gefunden. No Pressure all around, also?

Kevin Saunderson: Wir nehmen eine Sprite, einen Decaf-Cappucino, ein Wasser und ein Bier. Heute ist ja unser day off.

Wie viele Shows habt ihr auf der Tour schon gespielt?

Kevin Saunderson: Sieben, wenn ich mich recht erinnere. Amsterdam, Leeds, Schottland, Belgien, Barcelona, London und Lyon.

Highlights?

Kevin Saunderson: Für mich immer London. Ich verbinde viele gute Erinnerungen mit der Stadt, auch was die Geschichte von Inner City angeht. Jetzt dort wieder spielen zu können, nach so langer Zeit, war etwas Besonderes. Auch, weil das Publikum so jung war. Unsere großen Hits spielten in der Club-Geschichte von London immer eine große Rolle. Jetzt beobachten zu können, wie eine neue Generation diese Tracks wahrnimmt, ist toll.

Aber nur junge Leute werden ja nicht zu den Konzerten kommen. Wenn ihr nach so langer Zeit wieder spielt und von der Bühne in die Crowd blickt – was seht ihr da genau?

Kevin Saunderson: Ich nicht viel, ich stehe ja hinten. Steffanie?

Steffanie Christi’an: Das ist schon sehr gemischt. Keine Teenager, aber viele junge Leute sind dabei.

Kevin Saunderson: Es ist vor allem eine gute Mischung, finde ich. Man spürt das ja. Einige kennen nur „Big Fun“ und „Good Life“, andere wiederum warten eher auf die anderen Stücke.

Ich habe das Gefühl, dass Inner City heutzutage nur auf diese beiden Tracks reduziert wird, also als Rave-Klassiker wahrgenommen und verhandelt wird, als Phänomen der Vergangenheit. Liege ich damit richtig? Und wie fühlt sich das an?

Kevin Saunderson: Weiß ich gar nicht. Ich würde das auch niemandem übelnehmen, immerhin sind diese Stücke ja unsere größten Erfolge.

Steffanie Christi’an: „You Give Me That Feeling“ wurde mehrmals von A-Z mitgesungen, es dreht sich also nicht nur alles um die beiden Klassiker.

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Bleiben wir doch einen Moment bei den Klassikern, bzw. bei „Big Fun“. Auch wenn das Stück kein radikaler Bruch mit deinen früheren Veröffentlichungen war – anders war er dennoch. Was war da los?

Kevin Saunderson: Ich hatte ja zunächst nur das Instrumental – keine Lyrics, keine Vocals und schon gar keinen Titel. Aber die Musik war irgendwie uplifting, was durchaus meiner Natur entspricht. Ich komme ja aus New York und bin mit Disco aufgewachsen. Detroit war kein hermetischer Raum zu dieser Zeit, House aus Chicago war ein wichtiger Einfluss – die Leute mochten Vocal-Tracks. Als mir Paris Grey dann die Vocals zum ersten Mal über das Telefon vorsang, wusste ich, dass das was werden könnte. Nicht in diesem Ausmaß, um Gottes Willen, aber meinem Empfinden nach passte der Track sehr gut zu Detroit.

Das Ausmaß nahm schnell ziemlich irre Proportionen an.

Kevin Saunderson: In den USA war es noch ok, der Track lief in den Clubs und war sehr erfolgreich. In Europa aber wurde das Stück popmusikalisch verhandelt. Das war bizarr. Ich freute mich natürlich, aber steh du mal backstage neben Diana Ross bei einer Fernsehaufzeichnung. Da habe ich mich schon gefragt: Was mache ich hier eigentlich?

Nun hast du das Projekt vor ein paar Jahren zusammen mit deinem Sohn neu aufgesetzt. Das passiert ja auch nicht alle Tage. Die Geschichte soll bitte Dantiez erzählen.

Dantiez Saunderson: Ich mache ja schon lange meine eigene Musik und habe auch schon relativ viel veröffentlicht. Ich saß im Studio und mein Vater kam runter, hörte zu, schaute mich an und sagte nur: Du klingst ja wie ich!

Kevin Saunderson: Mein Sohn hat mich abgezockt, schamlos kopiert. Frechheit.

Dantiez Saunderson: So ist die Idee entstanden. Offenbar sind wir uns musikalisch recht ähnlich.

„Es geht uns ja auch nicht darum, die Vergangenheit zu glorifizieren. Inner City soll sich weiterentwickeln – in Richtung Zukunft.“

Kevin Saunderson: Es war ein guter Moment, Inner City wieder zu beleben. Ich bin praktisch das ganze Jahr unterwegs und komme kaum noch dazu, im Studio zu arbeiten. Dantiez ist aber genau an diesem Punkt in seiner Karriere. Es geht uns ja auch nicht darum, die Vergangenheit zu glorifizieren. Inner City soll sich weiterentwickeln – in Richtung Zukunft. Mein Sohn kommt aus einer anderen Generation, da ergeben sich interessante Symbiosen. Wir schauten uns nach einer Sängerin um und fanden schließlich Steffanie. Wir haben im vergangenen Jahr beim Movement-Festival in Detroit unsere erste gemeinsame Show gespielt, und nun schreiben wir neue Musik.

Steffanie, du hast gerade ein Rock-Album veröffentlicht. Den Bogen zu Inner City bekomme ich da nicht so richtig hin.

Steffanie Christi’an: Ich habe mein ganzes Leben in Rock-Bands gespielt. Über Dance Music wusste ich sehr wenig, bis ich Kevin kennenlernte, auch wenn ich schon für Wajeed gesungen hatte. Natürlich kannte ich „Big Fun“ und „Good Life“, das lief in Detroit damals überall. Aber ich war neun Jahre alt, als die Tracks veröffentlicht wurden und hatte keine Ahnung, was es mit der Musik und der Szene auf sich hatte. Für mich ist das alles gar kein Widerspruch. Gute Sänger*innen zeichnen sich dadurch aus, sich anpassen zu können. Wir singen, was man uns vorsetzt. Mir geht es vor allem darum, zu spielen, aufzutreten. Das jetzt mit Kevin und Dantiez tun zu können, ist wunderbar. Auch wenn das nicht mein angestammtes Umfeld ist: Ich mag die Musik.

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Steffanie Christi’an

Kevin Saunderson: Ich schätze Steffanies Hintergrund sehr – damit fügt sie Inner City eine neue Dynamik hinzu, die wir früher nicht hatten. Paris ist eine großartige Sängerin, aber mit Steffanie treffen plötzlich zwei Welten aufeinander. Wir kochen nicht mehr im hausgemachten Dance-Saft. Sie singt anders, bewegt sich anders, kommuniziert anders mit dem Publikum.

30 Jahre Inner City. Warum sind eure alten Tracks heute noch relevant und werden angenommen? Die Dance-Music-Kultur hat sich so dramatisch verändert. Steckt da mehr dahinter als die Greatest-Hits-Compilation?

Kevin Saunderson: Ich hoffe, dass es damit zusammenhängt, wie wir spielen – nämlich live und mit durchaus großer Geste. Es gibt einfach zu viele DJs. Ich weiß das und darf das sagen, weil: Ich bin einer davon! Auch wenn es heute im Club Live-Sets gibt – die Leute sehnen sich nach Abwechslung. Und es wirft nochmal ein ganz anderes Licht darauf, was mit Dance Music alles möglich ist. Das kann nur gut sein.

Die gleiche Frage an Dantiez?

Dantiez Saunderson: Wir wissen doch alle, dass es bestimmte Tracks gibt, die immer funktionieren und nie alt werden. Das gilt für jedes Genre. Und viele der Inner-City-Stücke haben für mich genau diese Qualität. Sie gehören zum Kanon. Ich höre das raus, auch wenn ich aus einer anderen Generation komme und mit anderer Musik aufgewachsen bin. Die Tracks werden heute ja immer noch geremixt.

Ha! Time-out. Die wichtigste Frage überhaupt. Wie viele Remixe von „Good Life“ und „Big Fun“ gibt es eigentlich?

„Inner City klingt 2019 nicht wie 1989. Alles grundsaniert.“

Kevin Saunderson: Von „Good Life“ mindestens 15, bei „Big Fun“ dürften es nicht viel weniger sein. Ich zähle die Rip-offs mal nicht mit rein. Aber selbst da gibt es Ausnahmen. Ich habe neulich einen Track gehört und dachte: Moment, das kennst du doch, ist das nicht „Big Fun“? War aber gut gemacht, und wenn man in so einem Fall als Inspiration herhält, ist das voll ok. Wir machen das ja ähnlich. Inner City klingt 2019 nicht wie 1989. Alles grundsaniert.

Ein Ansatz, der oft als heikel empfunden wird.

„Ich verstehe diese Haltung nicht: Never Touch A Classic.“

Kevin Saunderson: Nicht von mir. Technologie entwickelt sich, und die Musik muss da mit. Es geht ja nicht darum, einen Track vollkommen umzukrempeln – er sollte aber mit der Zeit gehen. Das war damals auch der Grund, warum ich angefangen habe, Musik zu machen. Wer das Original hören will, kann das ja nach wie vor. Für mich ist das nichts anderes, als mit Remakes von Filmen. Ich verstehe diese Haltung nicht: Never Touch A Classic. Die sind für eine neue Generation gemacht – und im Idealfall entdecken die jungen Leute danach das Original. Für mich ist es das Normalste der Welt, mit der Zeit zu gehen und Dinge immer wieder zu hinterfragen und zu verbessern.

Dantiez, wir wissen jetzt bereits, dass du die Musik deines Vaters schamlos kopiert hast. Aber wie ist das eigentlich, mit dem eigenen Papa Musik zu machen?

Dantiez Saunderson: Zunächst lerne ich viel. Er macht das einfach schon so viel länger als ich – da gibt es nicht nur viele Tricks, die ich mir aneignen kann, sondern auch seine grundsätzliche Herangehensweise. Es ist aber auch einfach toll, mit meinem Vater mehr Zeit verbringen zu können. Es geht ja nicht nur um die Konzerte, sondern auch darum, neue Musik zu schreiben – und da sind wir dran.

Kevin Saunderson: Und hier geht es mir darum, Dantiez’ Perspektive mit einzubeziehen. Bei Inner City ging es immer um Melodien und Akkorde – das ist unser Markenzeichen. Aber wie können wir das weiterentwickeln? Die Tracks, an denen wir arbeiten, haben das zur Grundlage. Die wird auch nie verschwinden. Es ist und bleibt Musik, die auch von DJs gespielt werden kann.

Was ein interessantes Statement ist, denn deine Mitstreiter von damals aus Detroit sind heute mitunter ganz anders unterwegs. Orchester-Projekt hier, Hochkultur da – du machst Musik für DJs. Auch ganz gut.

Kevin Saunderson: Du meinst Carl Craig.

Ja. Bzw.: zum Beispiel.

Kevin Saunderson: Carl Craig ist mein Lieblings-Künstler aus Detroit. Ich bin da aber auch ein wenig befangen. Ich habe ihn aufwachsen sehen und war praktisch live dabei, wie er seinen Stil Schritt für Schritt entwickelt hat. Da war er nicht jünger als Dantiez. Es geht doch letztlich immer darum, auf Trab zu bleiben und sich neu zu erfinden. Bei mir war es der E-Dancer, bei Carl ist es die Arbeit mit einem Orchester. Das macht eigentlich keinen Unterschied. Die Motivation ist immer die gleiche. Nichts darf bleiben, wie es war.

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