Fuck House MusicMax Graef und Glenn Astro haben ihr Album fertig
8.6.2016 • Sounds – Text: Bruno Dietel, Illustration: Rahel SüßkindEs ist eine der großen ungelösten Fragen unter Musikern und Produzenten: Was soll, was muss, was darf ein Album sein? „The Yard Work Simulator“ ist ein Dance-Album, das bewusst mit Brüchen spielt und auf den Absolutheitsanspruch der Durchhörbarkeit verzichtet. Dabei scheint die erste gemeinsame Platte auf Albumlänge der beiden Produzenten aus Essen und Berlin ganz anders angelegt zu sein.
Am Anfang standen die Anzahl der Tracks, die Stile, die Ausrichtung der Songs – eine fast schon architektonische Herangehensweise mit einer klaren Zielvorgabe, die im Prozess der Komposition und Produktion auch tatsächlich dazu geführt hat, dass Tracks abgebrochen wurden, wenn sich die Songs in die falsche Richtung entwickelt haben. Glenn greift das Bild der am Kühlschrank im Studio-Vorraum hängenden Tracklist auf: eine klare To-Do-Liste, die sich abhaken oder abstreichen lässt. So ambitioniert diese atypische Produktionsweise auch ist, so locker haben Glenn und Max andere Stellschrauben gelassen. Das Album soll in Kontrast zu allen vorangegangen EPs und Soloalben den Club in den Fokus stellen. Es soll schnell und tanzbar sein, eine durchgängige musikalische Linie, Symbolik und Geschichte haben, die beiden Produzenten von vornherein aber nicht erzwingen wollen. Das 08/15-Deep House-Album mit zwölf Tracks mit dem gleichen Aufbau, der gleichen Struktur, dem gleichen Arrangement – dieses Baukastensystem war ihnen zu gewöhnlich, sagt Glenn.
Musikalisches Irritationsmoment
Die 10 Tracks auf „The Yard Work Simulator“ sind praktisch am Stück entstanden, nur unterbrochen durch ein paar Tage, die mit Festival-Auftritten geblockt waren. Innerhalb von zwei Monaten haben Max und Glenn ihr gemeinsames Debüt im vergangenen Sommer eher komponiert als produziert. Stundenlang haben sie über die richtige Auflösung von Akkorden diskutiert und die B-Parts von Tracks ganz bewusst in Kontrast zu vorangegangen Harmonien gesetzt, das musikalische Irritationsmoment als Stilmittel. Bis auf wenige Ausnahmen und ein paar Drums kommt das Album ohne Samples aus, in aufwändiger und kleinteiliger Frickelarbeit haben Max und Glenn Ton für Ton über MIDI eingespielt und am Rechner zu schwierigen, verkopften Melodieverläufen zusammengesetzt.
Von UK Bass bis zu Funk, von 150 BPM bis runter auf 50, wenige Loops, Takt für Takt als eigene neue Einheit gedacht.
Beide sind nicht fit am Klavier – Hilfe, Einfluss, Unterstützung von außen haben sie sich aber aus Prinzip versagt, um autonom zu bleiben. Diesen Grundsatz übertragen beide auch in ihren musikalischen Stil und wehren sich gegen Zuschreibungen wie Jazz House, die ihrem Sound nicht gerecht werden. Weder wollten sie diese Nische jemals aufmachen noch in eine solche geschoben werden, jede Zuschreibung und musikalische Schubladenzuordnung ist für beide eine künstlerische Einschränkung, eine musikalische Einzäunung, die sie ablehnen. Sie sehen ihre Palette viel größer, freier, bunter, von UK Bass bis zu Funk, von 150 BPM bis runter auf 50, wenige Loops. Takt für Takt als eigene neue Einheit gedacht, kleinste Details in den Produktionen, deutlich hörbarer Einsatz von Hardware – darauf legen Max und Glenn ungemein Wert, diese Charakteristika machen ihren Stil aus, das ist ihre „Soundästhetik“, wie sie es nennen. Man könnte auch sagen: Das ist ihr Markenkern.
Wobei dieser Begriff ihnen reichlich zuwider sein dürfte, denn Max und Glenn wollen außerhalb dieser Maschinerie agieren und sich ihr musikalisches Biotop bewahren. Gerade der Begriff des „Funktionierens“ ärgert Max, die Zweckgebundenheit von Musik an sich zweifelt er an. Für ihn lassen sich Sounds nicht auf marktwirtschaftliche Begriffe einengen, viel lieber spricht er von „dancefloortauglich“. Das ist wohl eher vor dem Hintergrund nachvollziehbar, dass beide nicht mit dem Komponieren und Produzieren angefangen haben, um die Musik kommerziell auszuwerten. Dass sich ihre Musik dennoch verkauft – ein schöner Nebeneffekt. Dass „The Yard Work Simulator“ zum Schluss doch von einem klanglichen roten Faden durchzogen wird – aus Versehen passiert.
Eines der wenigen Samples auf der Platte ist „Fuck House Music“ – drei Worte und eine konfrontative Haltung, mit der sich Glenn Astro und Max Graef ihres ersten gemeinsamen Albums angenommen haben. Dass es dann doch eine House-Platte geworden ist, ist viel mehr als ein unbewusstes Zugeständnis: So sehr die zehn Tracks nämlich auch das House-Ufer mit langen, weiten Jazzlinien und warmen Blues-Chords umspielen, am Ende landen alle Akkorde und Melodiebögen auch genau an diesem Ufer an. „Fuck House Music“ sagt jetzt niemand mehr – aber Max Graef und Glenn Astro beweisen, dass ihnen selbst die eigens gesetzten Maximen manchmal zu dogmatisch erscheinen. Wie beruhigend und schlussendlich doch nur konsequent.