Für mehr politische Haltung im TechnoGunnar Haslam im Interview
12.6.2017 • Sounds – Interview: Benedikt BentlerDie neue Platte von Gunnar Haslam ist bewährt und doch anders. Mit der Mischung aus komplex und dicht geschichtetem Techno, aufgebrochen durch Ambient- und Offbeat-Einwürfe, bleibt die Erzählform zwar erhalten, doch „Kalaatsakia“ nimmt sich Zeit für dramaturgische Abwege und Logikbrüche, indem ein Faden fallengelassen und ein neuer aufgenommen wird. Doch weil uns aus den USA derzeit mehr politische Schreckensnachrichten als Musikstücke erreichen, lag es nahe, neben der Musik genau diese Themen aufzugreifen: USA, Trump und das politische Erbe von Techno.
Bevor du Vollzeit-Musiker wurdest, hast du Physik studiert.
Der Gedanke kam in der High School. Dort habe ich viele Bücher zum Thema Physik gelesen, Steven Hawking und solche Sachen. Zur gleichen Zeit hatte ich das Fach in der Schule und war ziemlich fasziniert davon. Zu wissen, wie Dinge zusammengehören, miteinander verbunden sind, das hat mich ein paar Jahre lang gefesselt. Aber ich habe auch nur das Grundstudium gemacht und dann Signal Processing studiert.
Hat das damals gewonnene Wissen einen Einfluss darauf, wie du Musik machst – und hörst?
Im Grundstudium habe ich mich mit Teilchendetektoren beschäftigt und einfache analoge Passfilter dafür gebaut. Da habe ich gemerkt: Das sind die gleichen Schaltkreise wie in Synthesizern. Ich sah die Parallelen und bin mehr und mehr vom Physik-Part hin zum mathematischen und ingenieurstechnischen Teil gekommen. Als sich diese Verbindungen hin zum Synthesizer-Design und Audio-Bearbeitung eröffneten, war der Weg klar. Ich habe mit digitaler Signalbearbeitung und dem Schreiben von Machine-Learning-Algorithmen angefangen, um Ton zu bearbeiten.
Ich habe also ein mathematisches Verständnis von dem, was passiert – nicht nur im Synthesizer, sondern auch im Computer, bei den Umwandlungsprozessen und zum Beispiel. Es muss also eine Rolle spielen, aber welche das ist? Schwierig zu sagen.
Du nimmst also nicht den Schraubenzieher in die Hand, öffnest den Synthie und bastelst ein bisschen was um?
Ja doch, das tue ich (lacht). Vor allem, wenn etwas kaputt ist. Aber nicht allzu oft. Ich habe schon ziemlich viel Spaß mit den Synthesizern, ganz so wie sie sind.
„Musik ist der Ort an dem ich tun kann, was immer sich auch richtig anfühlt. Ich lasse alles passieren,“ das ist ein Zitat von dir. Ich habe das gelesen und dachte: Come on, das ist zu simpel.
Ich glaube, für sich genommen stimmt der Satz schon. Da passiert etwas, ohne, dass ich einen übergeordneten Plan habe. Aber irgendwann blickst du auf eine Handvoll Tracks zurück, und siehst, wie sich etwas abzeichnet. Dann manifestiert sich diese Richtung in den darauffolgenden Arbeiten von ganz allein, und auf einmal erkennt man einen Weg , fädelt Dinge zusammen. So entwickelt sich trotz der in sich geschlossenen Stücke eine Art zusammenhängendes Narrativ, dass ich aber kaum benennen kann. Es schält sich aus der Platte und zersetzt sich in dessen Verlauf wieder.
Dieser Ort an dem Musik für dich ist: Ist das ein Ort, den du für dich selbst von der Umwelt isolierst, eine Art Höhle? Oder trägt sie den Stempel des Alltags?
Darin spiegelt sich völlig mein wirkliches Leben. Musik ist definitiv keine Black Box, in die ich eintauche und die ich vor äußeren Einflüssen beschütze. Es ist vielmehr eine zusätzlicher Weg mein Drumherum zu verarbeiten.
A propos Drumherum: Wie fühlt es sich eigentlich derzeit an, in den USA zu leben? Euer politische Führer ist hier jeden Tag in den Medien. Aber es ist trotzdem nicht ganz leicht, die innere Perspektive zu durchschauen, selbst wenn man US-amerikanische Medien verfolgt.
(Lacht.) Wie die Dinge laufen, das ist – offensichtlich – nicht gerade toll. Trump hat das Klimaabkommen aufgekündigt, es wird hart gegen nicht registrierte Einwanderer vorgegangen, da sind der Travel-Ban und die grundlegende Problematik der wirtschaftlichen und finanziellen Ungleichheit, die in den USA innerhalb der letzten dreißig Jahre nur schlimmer geworden ist. Die politische Realität ist kurios und auch spannend zu beobachten. Ich selbst bin engagierter Sozialist. Und erlebe tagtäglich, dass immer mehr Menschen die Politik nicht länger als gegeben hinnehmen und für soziale Gerechtigkeit und entsprechende Ideen und Programme kämpfen.
Es ist eine spannende, verrückte Zeit. Während die politische Realität Unheilvolles verspricht, schaffen die Geschehnisse an der Basis leichten Optimismus.
Menschen engagieren sich wieder mehr, wollen eine aktive Rolle übernehmen. Und dabei geht es um mehr als das, was Trump tut. Es geht um langfristige Dinge.
Bereuen Menschen bereits Trump gewählt zu haben?
Einige schon, ja. Ein Teil von mir kann sogar nachvollziehen, warum sie ihn gewählt haben. Jemand, der praktisch keine Zukunftsaussichten hat, weil alles um ihn herum auseinander fällt, der außerhalb von Detroit lebt, wo fast jeder süchtig nach Schmerztabletten oder sonstwas ist, wo die Politik nie hingeschaut hat, der wählt das Chaos. Er hat eh nichts zu verlieren. Und tendiert zum Extremen. Sicher sehen diese Leute mehr und mehr: Auch Trump wird mir nicht helfen. Aber wenn die Hälfte des Landes gar nicht erst wählt und sich komplett von der Politik lossagt, ist das der Punkt, an dem man ansetzen muss. Man muss Leute wieder dazu bringen, für Verbesserung zu kämpfen.
Nachdem Trump die Wahl gewonnen hat, hat man auch hier versucht, das zu verstehen und sich in die Perspektive seiner Wähler hineinzuversetzen. Aber am Ende ist er ein Menschen verachtender Rassist und das macht es ziemlich schwer.
Natürlich. Er ist eine offensichtlich verabscheuungswürdige Person (lacht). Und trotzdem ist es wichtig, nicht all seine Wähler als ebenso furchtbare Menschen abzustempeln. Man darf nicht vergessen, welche Wege Informationen in den Realitäten von Menschen nehmen, wie sie verarbeitet werden und schließlich zu solchen Wahlentscheidungen führen.
Die Linie zwischen dem Kandidaten, der bestimmte Dinge sagt und tut, und dem Kreuz auf dem Wahlzettel, ist mitnichten immer direkt. Im Gegenteil: Der Weg dahin ist bisweilen bizarr.
Denkst du Kunst und Kultur, zum Beispiel elektronische Musik, leisten immer noch einen Beitrag in Form einer politischen Haltung? Hat deine Kunst ein politisches Element? In Berlin ist Techno Massenware und Jetset-Raver sind fester Teil der Tourismus-Branche. Von politischer Haltung oder Botschaft ist hier nicht mehr viel, eher gar nichts, zu spüren.
Es stimmt, dass das nicht mehr so präsent ist, wie es einst war. Für mich hat Techno mit Jeff Mills angefangen. Da ist zwar die Sci-Fi-Metaphorik im Vordergrund, aber dahinter standen immer schwarze, junge Kids aus Detroit mit der Vorstellung einer besseren Zukunft, einer anderen Gesellschaft. Sci-Fi war der Ausdruck dessen. Das ist eine sehr politische Botschaft. Für mich sind diese Jeff-Mills-Platten und viel der frühen Detroit-Techno-Sachen unglaublich politisch.
Ich interessiere mich sehr für Politik, denke viel darüber nach und versuche das auch in die Techno-Community einzubringen. Techno wächst und wird immer noch größer, vor allem hier in den Staaten. Daher ist es wichtig, diese politische Haltung, dieses Engangement, das Techno in seinen Ursprüngen innewohnt, weiterzutragen. Die Hintergründe des Schaffens von Leuten wie Underground Resistance und Jeff Mills dürfen da ebenso wenig verlorengehen, wie die Ursprünge der New York Love Partys.
Es ist wichtig, dass die zeitgenössische Techno-Community sich wieder mit den dieser Musik inhärenten Perspektiven auf die Gesellschaft und ihren Haltungen beschäftigt. Ansonsten wird es nur noch eine Entertainment-Industrie, der jegliche Substanz fehlt.
Die Anzeichen dessen sind ja bereits zu sehen. Ich möchte diese politische Botschaft von Techno fortführen und versuche aktiv daran mitzuwirken.