Goldkette und MülltonneRomano über HipHop, Gabber, Metal und Bad Doberan
13.9.2017 • Sounds – Text: Benedikt BentlerDrei Jahre Lehre, ein Jahr angestellt und dann immer wieder mal, „je nachdem wie der Groschen gedrückt hat“. Acht Jahre lang hat Romano im Copyshop gearbeitet. Grund genug, den Titel des verflixten zweiten Albums dieser Zeit zu widmen. Mit „Copyshop“ wird Romano vom audiovisuellen Deutschpop-Phänomen zum Musiker: YouTube aus, Stereoanlage an. Beim Nachfolger des Debüts lohnt sich das erstmalig. Denn darin steckt mehr HipHop, weniger Schlager und die fette Major-Produktion dient Inhalten als Unterbau, die endlich über bloße Hooks hinausreichen. Redakteur Benedikt Bentler hat den blond bezopften Köpenicker im Hause Universal besucht.
Vor zwei Jahren wurde Romano per YouTube zum Deutschpop-Phänomen. Die Video-Auskopplungen seines Debütalbums „Jenseits von Köpenick“ sammelten sechsstellige Klicks in wenigen Tagen – ausnahmslos. Romano war weniger Musiker als virales Phänomen – musikalisch irgendwo zwischen HipHop und Schlager, optisch undefinierbar: zwei lange blonde Flechtzöpfe à la Langstrumpf, dazu Bomberjacke und die obligatorischen Hi-Tops von Adidas an den Füßen. Der dieser Kombination entspringende Klamaukfaktor war nicht bloß Teil, sondern entscheidender Grund für den Erfolg, der rein musikalisch undenkbar gewesen wäre. Denn den visuellen Part mal beiseite gelassen, blieb trotz damals schon saftiger Produktion nur wenig bis gar nichts hängen.
Das neue Album „Copyshop“ ist da anders, musikalischer Fortschritt wird in jedem Takt hörbar. Eine neue Ernsthaftigkeit hat Einzug gehalten. Viel offensichtlicher Witz ist da zwar immer noch, schmerzt allerdings weniger, weil er tiefer reicht. Manchmal wird er gar komplett in die Metaebene verschoben. Metaebene – auch so ein Wort, das im Bezug auf Romano bisher so fehl am Platz wirkte, wie Bushido im Musikantenstadl, nur um mal im Schlager-HipHop-Bild zu bleiben. Aber jetzt? Selten wurde das Post-Wende-Berlin schöner beschrieben als in „König der Hunde“, „Ja, ich will“ verkehrt Deutschraps üblichen Menschenhass in sein Gegenteil und „Karl May“ ist der lyrische Rückblick in die Kindheit des Ostens, Romanos Wildem Westen, mit dem Schatz im Müggel- und nicht Silbersee. Die Produktion ist vielschichtiger geworden, hat einen merklichen Schub in Richtung HipHop bekommen. Und ein Schritt weg von Schlager ist immer ein guter Schritt. Zeitgemäßes Trap-Beat-Geballer gibt’s mit „Anwalt“, psychedelisch und langsam schleppt sich „Nur in meinem Kopf“ dahin und „Tourizocke“ kommt in pumpender Synthie-Elektronik mit feinstem HiHat-Einsatz daher. Selbst in Sachen Flow und Artikulation könnte sich mancher Deutschrapper eine blonde Locke abschneiden.
Du hast bislang viele Sachen und mit HipHop und Schlager auch völlig unterschiedliche Dinge gemacht, bist bekanntermaßen Metal-Fan. Dafür muss man eine unvoreingenommene Herangehensweise an den Tag legen. Man könnte auch sagen: Man darf nicht zu früh gefestigt sein. Nun kommst du aus der DDR. Wie sah damals dein Zugang zur Musik aus?
Es kommt ja immer auf die Eltern an. Wenn die Eltern coole Musik gehört haben, dann hat man schon einen Einblick in Funk und Soul und sowas. RIAS war ja der Feindsender. Da gab es diesen Moderator Rik de Lisle, ein Ami. Der hat einfach die geileren Songs gespielt, als das DDR-Radio. Janet Jackson, George Michael, Michael Jackson, Depeche Mode – die ganzen 80er eben. Ansonsten lief Schallplatte, ganz klar. Da war auch mal Aretha Franklin dabei, aber vor allem viel DDR-Mucke, Karat zum Beispiel. Hat ja auch was. Aber mit Mutti habe ich immer RIAS gehört und hatte so auch Zugang zum goldenen Westen.
Und dein Vater?
Mein Vater ist 27 Jahre älter als meine Mutter und war Sprengmeister beim Fernsehen und auch Requisiteur. In meiner Kindheit saßen oft Schauspieler oder Regisseure mit am Tisch. Da hat man schon viel mitbekommen. Auch wenn ich jetzt Musik und nicht Film mache, kannte mein Vater dieses Business dadurch ein bisschen. Ich fand seinen Beruf als Kind natürlich total faszinierend, bin immer schnell an Uniformen rangekommen, hab mich im Requisitenfundus verkleidet. Meine Mutter war eben viel jünger und total flippig drauf. Sie hat mir hier und da mal ’ne Krankschreibung zugesteckt, damit alles funktioniert. Die Mischung war echt schön und auch besonders. Von meiner Mutter kam so ein bisschen das Freakige, von meinem Vater die Bodenständigkeit. Dazu kam natürlich diese besondere Verbindung wie nur Jungs sie haben. Ich liebte alles, was kracht, donnert, blitzt und knallt. Und das war immerhin sein Beruf.
Und wie kamst zu zum HipHop?
Ich habe dann auf dem Weg zum Kindergarten schon erste Beatboxlaute gemacht, ohne zu wissen, dass Leute so etwas professionell machen und Beatboxen nennen. Ich war ein Rhythmuskind. Deshalb macht es für mich auch total Sinn, dass es später dann Rap wurde, rhythmisches Sprechen. Wie schafft man es, die Stimme perkussiv einzusetzen wie ein Schlagzeug? Diese Frage hat mich immer fasziniert. Nach der Wende bin ich dann an eine neue Schule gekommen. Damals hat man ja Bundeswehr- oder Armee-Rucksäcke, Hoody und diese Witboy-Hosen getragen. Ich kannte diesen Look aus dem Osten gar nicht. Einer von diesen Typen an der Schule hatte ein Album von Public Enemy dabei und hat mir „Fear of a Black Planet“ vorgespielt. Das war echt harter Stuff für mich, die Jungs schimpfen die ganze Zeit, sind aggressiv und dann dieser funky Drumbeat. Ich hab mir für 15 Mark einen Billigwalkman geholt, mein Kumpel hat mir das Album kopiert, und das lief dann erstmal in Dauerschleife.
Wie hat sich die neue Freiheit angefühlt?
Verrückt. Ich hatte zuvor noch ein bisschen Staatsbürgerkunde, den Politikunterricht der DDR, der einen schon mal auf Linie bringen sollte. Nach der Wende meinte der Lehrer: „Was soll ich jetzt gerade erzählen? Die französische Revolution war nicht sozialistisch, der Bauernkrieg ist kein Arbeiteraufstand, der Spartacus-Aufstand zur Römerzeit ist auch nicht von Arbeitern organisiert. Ich muss mich erstmal neu belesen.“ „What the fuck?“, dachten wir als Schüler. Was wir bisher gelernt hatten, schien plötzlich alles nicht mehr zu stimmen. Aber warum sollte ich jetzt einfach das Andere für voll nehmen? Dieser Freiraum des Denkens hat für kreative Entfaltung gesorgt. Und man ist durch Berlin gezogen, hat viel erlebt.
Mein Kumpel Erik ist schon 1988 mit seiner Familie in den Westen nach Spandau gezogen, nachdem er einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Den habe ich 1991 wiedergetroffen, er war Pfleger im Waldkrankenhaus in Spandau und gleichzeitig DJ. Erik hatte schon zwei Technics und hat mir Gabber gezeigt. Ich dachte nur: „Woooooooh, was ist denn jetzt los?“ 1992 waren wir das erste Mal im Bunker, schön mit dicker Thermojacke. Plötzlich gab es Alternativen zum Treffpunkt Bahnhof Köpenick. Wir sind von Club zu Club gerannt.
Walfisch und Tresor.
Genau, plus Globus und Bunker. Ins E-Werk bin ich nie reingekommen. Die Lack- und Lederfraktion ist immer an mir vorbeigelaufen. Ich sah wahrscheinlich zu jung aus, hatte immer so ein Shirt an, auf dem „Born To Kick Ass“ oder sowas stand. Sabotage war auch so eine angesagte Marke. Dank Erik bin ich aber nicht nur zu elektronischer Musik gekommen. Über ihn habe ich auch Henrik kennengelernt. Der war Metal-Hörer, mit Postern von Manowar und Slayer an der Wand und einem Totenschädel als Aschenbecher. Hier, hör mal da rein, hat er gesagt und plötzlich hatte ich schwedischen Death Metal auf den Ohren. Und dann hab ich noch MTV geguckt, „Yo! MTV Raps“ und „Headbanger's Ball“, wo das Video von Morbid Angels „God of Emptiness“ lief. Derweil hatte ich schon „Tanz der Teufel“ und andere Horrorfilme gesehen und plötzlich hatte ich den Soundtrack für diese Abende. Ich bin in viele unterschiedliche Sachen gleichzeitig reingeschlittert, war oft bei WOM am Zoo und hab mich mit Platten eingedeckt. Mal bezahlt, mal auf locker. 1991 war ich mit Erik auch in London um „Dreamscape“ zu besuchen, so eine Art Mayday. Da lief so Drum and Bass und Happy Hardcore – Prodigy. Geil fand ich aber auch so Sachen wie Baby D, „Let Me Be Your Fantasy“.
„Die Zeit damals war aggressiv-kreativ. In jeder Kreativität damals steckte auch was Aggressives. Berlin war wie ein Kochtopf, der die ganze Zeit zugehalten wurde. Mit der Wende ist der Deckel meterhoch weggeflogen.“
Erzähl mir was über Ufo Joe.
Ufo Joe ist ein Freund, den ich seit 2003 kenne. Wie ich ihn in diesem Song beschreibe, so ist er auch. Auf der einen Seite ist er ein Freak. Auf der anderen Seite hat er tief im Inneren eine Wahrheit und ein Bewusstsein, das absolut besonders ist. Diese Hook ist sein Credo:
„Lebe im Hier und Jetzt / Zeit ist Illusion
Alles was du dir so wünscht / hast du längst schon.
Nichts ist dauerhaft / in Außenwelt der Form.
In der Gegenwärtigkeit / wirst du befreit von allen Sorgen.“
Ist wirklich so. Schau, diese Kaffeetasse ist irgendwann leer, und die Sonne geht unter. Formen und äußere Erscheinungen verändern sich. Aber wir halten an diesen Formen fest, als hätten sie Bestand. Ufo Joe nicht. Viele filtern ihr Wasser, manche sprechen mit Planzen, er ist eben auf seine Art speziell. Manchmal frag auch ich mich, was denn jetzt wieder los ist. Aber er hat dieses Bewusstsein für die Dinge um ihn herum. Ich wollte mit dem Text eben nicht sagen: Guckt mal diesen Typen an, ist das lustig. Sondern: Guckt ihn an, dahinter steckt was. Das hast du oft bei Leuten, die in den Augen anderer Freaks sind. Viele lachen, aber geben diesen Menschen gar nicht die Möglichkeit sich zu erklären, blicken nicht dahinter. Dafür muss man sich eben auch Zeit nehmen. Jeder muss selbst entscheiden, ob er das tut oder weiter nur durchs Leben hetzt, getrieben und getrieben, von Termin zu Termin.
Ich musste bei diesem Song sofort an das denken, was man gemeinhin als „Postfaktische Gesellschaft“ bezeichnet. Und daran, dass das gefährlich ist.
Ja, man kann sich verlaufen. Früher hat man auch im Dorf sein Ding gemacht und jetzt gibt es diese vielen Einflüsse und Dinge. Ufo Joe liest auch viel, ist viel im Internet unterwegs, zieht sich alles Mögliche rein.
Der entscheidende Punkt, warum ich mit diesem völligen Gegenwartsdenken, dem Fokus auf das Leben des Moments, ein Problem habe, ist folgender: Bewusstsein für die Gegenwart bedeutet Konzentration auf die Sinne. Was sehe ich, höre ich, fühle ich, jetzt und hier?
Ja, durchaus.
Was unsere privilegierte Gegenwart hier ermöglicht, lässt sich mit den Sinnen aber weder erfassen, noch begreifen. Es liegt hinter uns, vor uns und vor allem an anderen Orten. Die Gegenwart ist eine globale Welt, die für viele Menschen Leid bedeutet. Dieses Leid liegt größtenteils außerhalb des sinnlichen Bewusstseins. Das Ausklammern zu wollen, ist falsch oder zynisch oder beides.
Du kannst aber im Hier und Jetzt leben und trotzdem wissen, dass heute noch ein paar Interviews anstehen. Es gibt viele tolle und viele schreckliche Dinge auf dieser Erde. Da gebe ich dir komplett recht. Was ich mache: Ich probiere so gut es geht für mein Umfeld da zu sein. Aber ich werde den Schmerz dieser Erde nie komplett beheben können. Ich kann aber dafür sorgen, dass ich Menschen so gut behandle, wie auch ich behandelt werden möchte. Wenn das jeder für sich auf seine Art machen würde, gäbe es keine Kriege und keine Zerstörung mehr. Aber durch das Getriebensein und weil man immer nur das Böse im Anderen sieht, den Angriff hinter allem vermutet, läuft das nicht. Ich meine das Bewusstsein nicht egoistisch, eher unvoreingenommen. Dazu gehört zum Beispiel, auf neue Leute einfach mal zuzugehen und aus dem gewohnten Schema auszubrechen.
Wie stehst du zum HipHop, dessen Teil du ja auch bist, dessen Inhalte heutzutage aber zumeist vom Gegenteil des gerade Gesagten dominiert werden: mein Auto, mein Haus, mein Boot, mein Geld.
HipHop ist für mich immer beides gewesen, bildlich gesprochen: Goldkette und Mülltonne. Beides gehört dazu. Wenn das Ohr an der Straße aber komplett den Goldketten zum Opfer fällt, wird es uninteressant. Der Bezug zur Hood sollte nicht verloren gehen. Ich will da aber auch niemanden verurteilen.
Bei den ersten Sachen, die du als Romano veröffentlicht hast, war ich überzeugt, Romano würde nur als Gesamterscheinung funktionieren – mit der visuellen Komponente in Form von Video oder Live-Show. Das erste Album hat sich dann auch nicht so gut verkauft, wenn ich mich recht erinnere. Es hat mich auch nicht gewundert, weil die Musik allein, im Gegensatz zum YouTube-Video, nicht richtig funktionierte. Mit „Copyshop“ ist das anders. Es ist inhaltlich breiter, ernster und auch musikalisch interessanter geworden. Plötzlich sind da schnelle, lange Flows, die man auch stimmlich nicht mal so eben aus dem Ärmel schüttelt – vor allem nicht live. Wie viel Stimmunterricht nimmst du?
Ich gehe einmal in der Woche zum Gesangslehrer, seit vielen Jahren. Das zweite Album ist ja immer so ein kritisches Ding. Ich freue mich, wenn du es super findest. Ich wusste nicht, wohin mich die Reise bringt. Nach der Tour zum letzten Album bin ich erstmal nach Bad Doberan gefahren. Dort habe ich zum ersten Mal wirklich darüber nachgedacht, wie ein neues Album klingen könnte. „Mutti“ und „Anwalt“ hatte ich schon gespielt, „Ufo Joe“ und „König der Hunde“ habe ich als nächstes geschrieben. Ich musste erstmal in die Thematik reinkommen, habe viel gelesen. Während einer Tour kann ich nicht schreiben, ich will da ganz für die Leute da sein. Danach bin ich erstmal leer. Aber nach zirka sechs Wochen kommt der Drang zurück weiterzumachen. Dann fange ich an mich zu fragen, was mich bewegt und worüber man schreiben könnte. Schließlich soll die Musik auch eine ehrliche Sache sein.
Bist du Perfektionist?
Immer wieder. Das steht den Dingen manchmal im Weg. Nicht, dass ich mir jeden Drumloop hundert Mal anhöre, aber man feilt schon lange an Sachen.
Die Qualität der Produktion des Albums ist beeindruckend, die der Liveshow vor wenigen Wochen im Säälchen auch. Hast du, nicht zuletzt, weil wir hier bei Universal sitzen, vor allem auch die Möglichkeiten, einem perfektionistischem Anspruch gerecht zu werden?
Durchaus, aber allein reicht das nicht. Die Plattenfirmen würden dir einfach irgendwelche Leute geben, aber so funktioniert das nicht.
Wer sind denn die drei Jungs in deiner Band?
Basti, der Schlagzeuger mit den langen Haaren, hat schon in meiner ersten Band gespielt – 1996. Mit ihm habe ich angefangen. Vor drei Jahren habe ich ihn gefragt, ob er nicht mitmachen will. Wollte er. Robin war immer der Ersatzdrummer von Basti, weil Basti auch noch andere Projekte und manchmal keine Zeit hat. Den kenne ich daher auch schon acht oder zehn Jahre. Und wir haben uns überlegt, ihn komplett mit reinzunehmen. Wollte er dann auch, was echt toll ist. Anton kenne ich seit zwei, drei Jahren. Der war bei Bodi Bill und The/Das, ist ein toller Musiker und ebenso toller Mensch. Wir harmonieren perfekt.
Ich kann kein Chinesisch. Worum geht’s eigentlich in der von MastaMic gerappten Strophe in „Copyshop“?
Es geht um Nike und New Balance, die in China Klage aufgrund von Plagiatvorwürfen erhoben haben. China scheint aber zu gewinnen. Es ist wohl so, dass der erste Entwurf im Land rechtlich OK ist, auch wenn er nachgemacht ist. Ich müsste aber mal wieder googlen, wie es mittlerweile um diesen Streit steht. Aber der Staat kommt den Big Playern des freien Kapitalismus mal so richtig in die Quere, ist doch super.