„Irgendwann muss man einfach aufhören“Interview: Alison Goldfrapp über ihr neues Album „Silver Eye“
27.3.2017 • Sounds – Interview: Matti HummelsiepWer denkt bei der Musik von Goldfrapp nicht an großflächige Arrangements von schwebenden Streichern, verwoben mit dezenter Elektronik und diese alles überstrahlende Frauenstimme? Musik wie für die große Bühne gemacht. Knapp 17 Jahre ist es her als das britische Duo mit ihren samtweichen Songs auf „Felt Mountain“ über Nacht berühmt wurden. Nun erscheint das mittlerweile siebte Album. Für „Silver Eye“ standen Alison Goldfrapp und Will Gregory erstmals nicht allein im Studio. Zum Beispiel war Soundtüftler Bobby Krlic, besser bekannt als The Haxan Cloak, mit dabei. Auch Produzent und Mute-Labelchef Daniel Miller legte Hand an beim finalen Abmixen. In einer Berliner Privatwohnung sitze ich mit Alison Goldfrapp am Tisch. Sie habe heute schon einige Interviews hinter sich, dabei ist es gerade erst Mittag. Will Gregory ist nicht da. Er versteht sich eher als Tüftler im Studio. Auch bei den Konzerten ist er so gut wie nie mit dabei. Ein Gespräch über den deutlich elektronischeren Sound von Goldfrapp, wie wir uns alle ständig verbessern wollen und über die Politikverdrossenheit in England.
Ihr macht mittlerweile seit fast 20 Jahren Musik. Wie hat sich Goldfrapp seitdem verändert?
(überlegt) Eigentlich gar nicht. Der große Unterschied ist jetzt, dass wir das neue Album mit mehreren Menschen gemeinsam geschrieben haben. Das gab es vorher noch nie.
Wie seid ihr damit zurechtgekommen?
Ich empfand es tatsächlich als sehr inspirierend, mehrere Meinungen und auch unterschiedliche Energien zu spüren. Eine andere Sicht auf die Dinge. Es war wichtig für mich, diese Herangehensweise auszuprobieren. Manchmal muss man raus aus der Komfortzone und sich auf Neues fokussieren.
Und warum habt ihr das nicht schon vorher probiert?
Weil ich nicht die richtige Person gefunden habe. Weißt du, ich wollte mir auch schon immer mal die Haare rot färben, habe es aber nie gemacht. Erst jetzt!
„Ich wollte mehr Rhythmus, der Musik mehr Raum geben.“
Das Vorgängeralbum „Tales of Us“ klingt fragil und sensibel. „Silver Eye“ ist nun deutlich elektronischer, düsterer und energetischer. An welchem Punkt war klar, dass das neue Album anders klingen würde?
Wir achten immer darauf, uns musikalisch nicht zu wiederholen. Was wir hingegen konkret wollen oder zumindest ausprobieren wollen, ist im Vorfeld auch nicht klar. Es gibt keinen Masterplan. Wir gehen einfach ins Studio und fangen an zu spielen. Dabei ergeben sich immer die gleichen Fragen: Wo führt das hin? Fühlt es sich gut und richtig an? Bei „Silver Eye“ kristallisierte sich diese vorherrschende Stimmung Schritt für Schritt heraus. Uns wurde auch klar, dass die Platte elektronischer sein musste. Ich wollte auf jeden Fall mehr Rhythmus, der Musik mehr Raum geben. Ideen hat man ja immer. Aber erst bei der Ausarbeitung merkt man wirklich, in welche Richtungen man sie entwickeln will.
Wie sieht ein ganz normaler Tag im Studio von Goldfrapp aus?
Wir haben zur Hälfte in London gearbeitet und in unserem Studio außerhalb der Stadt. Wir sind morgens gekommen, bastelten an unseren Maschinen rum, hörten uns die Ergebnisse an, und sind abends wieder nach Hause gefahren.
Es brauch viel Disziplin, um jeden Tag auf Knopfdruck kreativ zu sein.
Ja! Manche Tage sind aber auch einfach für den Arsch, andere hingegen laufen großartig. Es ist ein Prozess aus Löschen und Hinzufügen, dann wieder Löschen und wieder Hinzufügen. Man muss diese Reise einfach durchziehen, auch wenn es hart ist. Irgendwann stimmt dann alles.
Wann weiß man, dass das Album fertig ist?
Nie. Irgendwann muss man einfach aufhören. Ich empfinde das als genauso hart, wie mit einem Projekt zu beginnen. Ich bin aber auch überkritisch und generell unsicher meiner eigenen Arbeit gegenüber. Früher habe ich fertige Alben auch noch Freunden vorgespielt, heute kommt das nicht mehr in Frage.
Hat das Album ein Thema?
Es geht um viele verschiedene Dinge. Der Titel – „Silver Eye“ – ist eine Metapher für den Mond. Wir beschäftigen uns mit ganz elementaren Dingen. Es geht zum Beispiel um Klima oder Zeit, aber auch um Ekstase und Mystik. Natürlich habe ich auch viele persönliche Gedanken mit reingenommen.
Der Text von „Become the One“ klingt nach einem Aufruf, das Leben in vollen Zügen auszukosten. Der Text ist so positiv. Menschen sollen an sich glauben und das auch zeigen.
Ich habe mal eine Dokumentation über Transgender-Kinder gesehen. Besonders ein kleines Mädchen darin hat mich sehr inspiriert. Am Ende des Films sagt sie: „Ich ändere nicht, wer ich bin, sondern ich werde, wer ich bin.“ Sie war gerade erst elf Jahre alt, ihre Ausdrucksweise aber so unglaublich reflektiert. Du kannst diesen Satz wirklich auf alles in deinem Leben beziehen! Wir eifern doch immer anderen Menschen nach, wollen bestimmte Dinge erreichen, auch in unseren Beziehungen. Was dabei für eine Zeit draufgeht! Der Satz des Mädchens hat mich nachhaltig beeinflusst, in vielerlei Hinsicht.
Du hast das Artwork selbst gestaltet. Spaß an der Freude oder musste da was raus?
Beides! Es hat großen Spaß gemacht, ich liebe das Fotografieren sowieso. Es war aber auch sehr praktisch bzw. effizient. So musste ich niemanden bezahlen. Das ist gut, weil soviel Geld haben wir nun auch wieder nicht.
Hast du einen Lieblingssong auf dem Album?
Nein, jedenfalls aktuell nicht. Die Songs köcheln gerade alle noch auf demselben Level rum. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass sich das ändern wird, sobald ich die Songs live spiele. Sie nehmen dann nochmal eine andere Form an.
Bist du nervös vor einem Gig?
Ja! Ich bin immer nervös. Wobei eine Tour soviel Routine erfordert, dass man es ganz gut aushalten kann. Das ist dann weniger nervenaufreibend.
Da helfen doch Rituale.
Die habe ich nicht. Ich wärme mich ganz normal auf und trinke vielleicht was mit der Band. Wir sind mittlerweile wirklich gute Freunde, mir ist dieser Zusammenhalt enorm wichtig. Bevor es los geht, kommen wir dann zusammen in so einen Vibe rein.
Kannst du mir bestimmte Bands oder Musik empfehlen?
Ich mag im Prinzip alle Sparten von Musik, das ist eigentlich egal. Zum Beispiel Angel Olsen, oder sowas wie Honey Blood und Slaves sind ziemlich gut. Neulich habe ich elektronische Musik aus Afrika gehört, die schon in den 1980ern produziert wurde. Das war großartig. Wenn ich mich nur an den Namen erinnern könnte ...
Ist es nach der Brexit-Entscheidung an der Zeit, politischer zu werden, oder möchtest du das trennen von deinem Schaffen als Musikerin?
Ich weiß nicht, ob man das überhaupt trennen kann. Es ist eigentlich unglaublich, dass sich gerade in England nie wirklich jemand für Politik interessiert hat. Ich meine vor allem die jungen Leute und ich beziehe mich da explizit mit ein. Das klingt erschreckend, ändert sich zum Glück aktuell aber auch. Wenn man überhaupt etwas Positives aus der ganzen Sache ziehen kann, dann dass sich die Gesellschaft zwar spaltet, aber anderseits auch viel näher zusammenrückt. Und auch ich habe realisiert, dass uns das alle betrifft. Ich habe natürlich für den Verbleib in der EU gestimmt und mich ärgert der Austritt immer noch. Aber wie gesagt, ich weiß zu wenig über das alles, um da wirklich mitreden zu können.
Können wir 2019 ein Jubiläumsalbum von euch erwarten?
Was ist denn 2019?
Dann habt ihr 20 Jahre Musik gemacht.
Ach wirklich? Keine Ahnung. Ich glaube, ich würde dann lieber irgendwo in einer Hütte leben oder so.