King Britt ist eine Legende. Egal ob als DJ der Digable Planets, als Produzent oder als Co-Gründer von „Ovum Records“: Der 1968 geborene Musiker hat Weitblick, Ideen und Erfahrung, um die Bedeutung des Afrofuturismus und der eindeutig in der Schwarzen Community verorteten Entstehung von House und Techno angemessen zu kommunizieren. Genau das tut er auch – im universitären Rahmen. Denn der jungen Generation sind die Zusammenhänge heute gar nicht mehr zwingend klar. Techno? Schwarz? Echt? Politik und Bassdrum? Wirklich? In der neuesten Folge des Electronic Beats Podcasts spricht er mit der EB-Chefredakteurin Whitney Wei über die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation in den USA, über die Kraft der Musik und welchen Stellenwert Bildung zur Veränderung der verfahrenen Situation spielt.
Wo anfangen? Wo bloß anfangen in einer Zeit, in der ein Virus die Weltgemeinschaft bedroht und ein weiteres Mal Polizeigewalt in den USA exemplarisch belegt, wie derartig zerklüftet die dortige Gesellschaft ist. Wie unheilbar zerrüttet das Land ist, das sich einst als „City Upon A Hill“ und später als „Melting Pot“ definierte? Der Riss geht nicht nur durch alle Bevölkerungsgruppen – mit unterschiedlicher Herkunft, eigener Geschichte –, sondern reicht tief ins alltägliche Leben, in die (Sub)kultur hinein. Stichwort Techno, Stichwort House und natürlich: Stichwort HipHop. Genuine Schwarze Erfindungen wurden in den vergangenen Jahrzehnten von den WASPs, den dudes, erst adaptiert, dann kopiert und schließlich pervertiert und patriiert – eingegliedert in den weißen Mainstream, ausgebeutet von Promotern und Plattenfirmen, bis ins Unvorstellbare kommerzialisiert von den kapitalistischen Strukturen, die die USA und fast die ganze Welt fest im Griff hat. Es geht nicht mehr um Awareness, um kulturellen Ausdruck und die Pflege zerbrechlicher Bewegungen, es geht um das profitmaximierte Auspressen eines Quäntchens Hoffnung des musikalischen Aufbegehrens.
„Musik und Politik gehen immer Hand in Hand“, sagt King Britt. Und trifft damit den Nagel auf den Kopf, wenn es um die konkrete Verortung der Entstehung von Sound und der Motivation dahinter geht. Egal ob Motown in den 1960er-Jahren oder dem UK-Rave als Protest gegen die politischen Gegebenheiten in Großbritannien in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren: Musik ist mehr als Eskapismus. Sie ist auch immer Debatte des Zeitgeschehens und eine direkte Reaktion auf einen unerträglichen Status Quo. Natürlich verstehen das die Druffis auf einem 50.000-Menschen-Festival bei Sonnenuntergang heute nicht mehr. Es wird Zeit, genau das zu ändern.
King Britt ist genau die richtige Wahl, wenn es darum geht, die Evolution der Dance Music und ihrer politischen Implikationen heute erneut zu reflektieren und einzuordnen. Denn er kommt nicht aus Detroit, hat nicht ausschließlich Techno produziert und war kein Resident im Tresor. Britt ist ein musikalischer Freigeist. Aufgewachsen ist er in Philadelphia. Sein Vater hatte einen Friseursalon, die Mutter war Hausfrau, Black Panther und gute Bekannte von Sun Ra. Musik spielte immer eine große Rolle in der Familie Britt. Seine ersten DJ-Sets spielte King James Britt, so heißt er mit bürgerlichem Namen, als Fünfjähriger im Friseursalon. Zwei Jahrzehnte später hatte er mit Josh Wink seine erste EP für Nervous produziert, war der DJ der Digable Planets und hatte die Telefonnummern aller Detroiter in seiner Kladde. Festlegen auf einen Style wollte er sich nie. Er sah von Anfang an die Zusammenhänge, den Afrofuturismus als Kitt, der alles zusammenhielt. Wie die Beats klingen, ist letztendlich egal. Das Mindset dahinter entscheidet. Genau deshalb ist er heute auch „Assistant Teaching Professor“ an der University of California San Diego und unterrichtet Computer Music.
Credit where credit is due
Die Lage heute in der elektronischen Musik ist verworren, wenn nicht gar kompliziert. In den guten alten Tagen, sagt King Britt, war alles einfacher. Detroit Techno war eindeutig von deutscher bzw. europäischer Musik beeinflusst. Kraftwerk, Depeche Mode etc.: Diese Einflüsse wurden von den Originators immer klar benannt. Mit der Referenzierung des Detroiter Sounds als wichtigstem Einfluss nahmen und nehmen es die nachfolgenden Protagonist*innen längst nicht mehr so genau. Die Globalität radiert die Stadt am Lake Michigan immer wieder von der Landkarte der Geschichte. Egal ob Detroit, Chicago oder London als Geburtsstätte des Drum and Bass und Jungle. Das ist doch kein EDM. Und EDM ist doch Techno, no? Wer seit 30 Jahren Techno hört, für die oder den gehört genau dieses Wissen zum kleinen Einmaleins. Der heutigen Generation müssen die Zusammenhänge jedoch immer wieder klar gemacht werden. Das ist ein bisschen wie mit der Berliner Mauer. Dinge werden vergessen, ganz egal wie die musikalische oder politische Evolution verläuft.
„Dabei ist die aktuelle Situation vor allem auf großen Festivals fast schon inzestuös“, sagt King Britt. „Es gibt kaum noch Raum für Kreativität. Die gleichen Promoter buchen immer wieder die gleichen Acts. Es ist einfach nicht divers genug. Und damit meine ich nicht nur die Hautfarbe.“
Ist es wirklich ein Überraschung, dass seine neue EP „Back 2 Black“ heißt?
„Ich selbst denke nicht als Afrofuturist, ich bin einer. Ich könnte also auch eine Country-Platte machen: Dieses Bewusstsein würde immer in meiner Musik mitschwingen. Man würde es selbst bei so einer Produktion hören, spüren. Der Titel meiner neuen EP „Back 2 Black“ ist kein offensichtliches politisches Statement. Aber: Unterbewusst spielt das schon eine Rolle. Ich will das Schwarze des Techno und der Blacktronica zurückgewinnen. Ich will den Sound zurückgewinnen.“
Es geht also um Aufklärung und ums Schaffen klarer Verhältnisse, um die Verdeutlichung der Fakten. Wie kann jemand wie King Britt genau das unterstützen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Polizeigewalt gegen Schwarze und der hoffentlich nicht schnell wieder abebbenden BLM-Bewegung weltweit? Für ihn ist Musik der Schlüssel. Um soziopolitische Zusammenhänge aufzuzeigen, zu analysieren und als case studies heranzuziehen, um die Welt zukünftig akkurater betrachten zu können. Politik und Musik sind für Britt immer und unabdinglich verzahnt: Die Politik agiert, die Musik reagiert. Das war in den 1960er-Jahren so, als die Black Panther besonders aktiv waren und der Jazz und die Jazz-Fusion den Soundtrack dazu schrieben. Britt hat das selbst miterlebt: Frank Rizzo war von 1972 bis 1980 Bürgermeister von Philadelphia – ein ausgemachter Rassist. Bis vor wenigen Tagen stand vor dem Gerichtsgebäude noch seine Statue – jetzt nicht mehr. Britt hatte in seinem Uni-Kurs die Rolle Rizzos thematisiert, gerade in Bezug auf die Aushebelung der Black-Panther-Bewegung. „Dass diese Statue jetzt nicht mehr steht, ist ein kraftvolles Statement. Ich muss „Black Lives Matter“ nicht mal explizit sagen. Mein Kurs zeigt das. Wir sind mitten drin. Sie sind da drin. Sie tun etwas dagegen, in Echtzeit.“
Das Gespräch mit King Britt ist eine unbedingte Hörempfehlung. Dass wir die Welt verändern müssen, ist ausgemacht. Dass es dabei die unterschiedlichsten Strategien gibt, auch. Britt ist nicht nur ein begnadeter Musiker, sondern auch ein guter Lehrer. Für junge Menschen, die die Musikgeschichte und deren Impact mit dem heutigen Medienverhalten nur noch bruchstückhaft nachvollziehen können. Es geht nicht nur um die Party. Es geht um das, was hinter den Beats passiert. Britt vermittelt genau das und schafft damit Hoffnung. Das brauchen wir.