Reissues, die lohnen: Solar X – XratedDer russische Aphex Twin kehrt zurück

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In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre war Roman Belavkin so etwas wie der Don der elektronischen Musik in Russland. Nicht nur wegen seiner eigenen Tracks. Auf seinem Label „Art-Tek“ veröffentlichte er ausschließlich Musik russischer Produzenten, die in der Zeit der post-sowjetischen Orientierungslosigkeit alles mit Bassdrums von Soulseek saugten und daraus ihre eigenen Visionen formten. Jetzt wird „Xrated“, eines der Alben von Belavkin, wieder veröffentlicht. Nina Kraviz macht es möglich.

Fizzarum, Novel 23, Lazyfish, EU und Solar X: Das waren in den späten 90er- und frühen Nuller-Jahren Projekte, die in der Fachpresse auf kleiner Flamme groß gefeiert wurden. Alle made in Russia und allesamt eifrige Verfechter der klassischen Electronica – einer Musik, die immer so divers war, dass sich unter dem Begriff all das subsumieren ließ, was kein klassischer Dancefloor war. Vom Breakbeat-getriebenen ADSD-Mash-up bis zum Songwriting-Barock mit Mono-Synths. Aphex Twin lässt nur nicht grüßen, sondern gibt auch die Spannbreite der technischen und ästhetischen Möglichkeiten vor. Es müssen wilde Zeiten gewesen sein damals in Russland. 2001 gab er in einem Interview mit mir zu Protokoll: „Demos erreichen mich aus dem ganzen Land. Der nächste Release auf Art-Tek kommt zum Beispiel von zwei Jungs aus Nowosibirsk. Vor einer Weile bekam ich zwei Tapes von ihnen, und mir war klar, dass ich das rausbringen muss. Also bat ich um ein CD-Master oder eine MiniDisc. Hatten sie aber nicht, die Tracks waren längst wieder von ihrer viel zu kleinen Festplatte verschwunden. Das ist die Realität. Nowosibirsk ... weiter weg vom Rest der Welt geht wirklich nicht, aber da wohnen Leute neben der Fabrik, wo früher die Sprengköpfe für die Mittelstreckenraketen gebaut wurden und machen Musik. Das macht Hoffnung.“

Solar X gif

Roman Belavkin war selbst einer dieser russischen Produzenten. 1994 veröffentlichte er sein erstes Tape, drei Jahre später dann das Album „Xrated“, immerhin schon auf CD. Schließlich schaffte er sogar den Sprung nach Großbritannien, ins Heilige Land der Electronica, und veröffentlichte auf dem Londoner Label Worm Interface, später dann noch eine Platte auf dem dem deutschen Imprint Hymen. Das ist alles lange her und längst in der Reizüberflutung unserer Gegenwart verschwunden, auch wenn es Belavkins Musik sogar auf die Streaming-Plattformen geschafft hat. Ein wenig Aufmerksamkeit tut dem Werk des Moskauers, der die Musik mittlerweile an den Nagel gehängt hat und in Sachen KI forscht und lehrt, also immer gut. Dachte sich auch Nina Kraviz und bringt besagtes Album nun neu auf den Markt – auf ihrem Label Galaxiid.

Solar X Artwork

Die elf Tracks der Platte wirken heute keineswegs alt oder nicht mehr dringlich, ganz im Gegenteil. Es war immer die große Stärke dieser Generation von Produzentinnen und Produzenten, an allen Trends vorbei zu arrangieren und zu träumen – diese Musik ist im besten Sinne des Wortes aus der Zeit gefallen und repräsentiert eine wichtige und prägende Epoche der Elektronik, die nicht in Vergessenheit geraten darf. Das Artwork für die Reissue stammt von Keiichi Tanaami, einem der Begründer der japanischen Pop-Art. Auch zukünftige Veröffentlichungen auf Galaxiid sollen von dem heute 83-Jährigen illustriert werden. Und die Track-Titel? Die hat sich Roman Belavkin von den Postkarten geklaut, mit denen früher Londoner Sexarbeiterinnen die Telefonzellen der britischen Hauptstadt Guerrilla-mäßig zukleisterten.

Die Wiederveröffentlichung erscheint am 4. Februar 2019. Dann steigt der russische Aphex Twin wieder in den Ring – mit alten Tracks, die frischer nicht sein könnten.

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