„Wir haben uns elend viel Zeit gelassen“Im Gespräch mit Harold Faltermeyer zum 25. Geburtstag des Pet-Shop-Boys-Albums „Behaviour“
29.10.2015 • Sounds – Interview: Jan-Peter WulfEnde Oktober 1990, also vor genau 25 Jahren, erschien das Album „Behaviour“ von den Pet Shop Boys. Fans und Kritiker sind sich weitgehend einig darüber, dass es das beste, das geschlossenste Album des britischen Pop-Duos ist. Produziert hat es Harold Faltermeyer aus München, der bis zu diesem Zeitpunkt in erster Linie als Produzent von Filmmusik in Erscheinung getreten war – vor allem sein Theme „Axel F“ für „Beverly Hills Cop“ dürfte jedem Das-Filter-Leser bekannt sein. Weiters: das „Top Gun Anthem“ und den Soundtrack für „Running Man“ oder „Tango & Cash“. Warum Neil Tennant und Chris Lowe, zu dem Zeitpunkt bereits Pop-Weltstars, ausgerechnet den Filmsound-Experten für die Produktion ihres vierten Studioalbums haben wollten? Das und weiteres haben wir Harold Faltermeyer beim Treffen in Heiligendamm an der Ostsee gefragt.
Herr Faltermeyer, wie war das damals. Warum sind die Pet Shop Boys auf Sie zugekommen?
Mir haben sie gesagt: Wir wollen die Art und Weise, wie du mit alten Synthesizern umgehst, aufs Album bannen. Wir haben alles benutzt, was das analoge Vintage-Synthesizerprogramm zu bieten hatte: Frühe Moogs, die Roland 700-Serie, 303, 808, 909.
Ich habe das Album oft gehört. Da ist echt eine 303 drin?
In einer Bassline, ja. Gesteuert wurde das alles von einem Synclavier. Das war unser Haupt-Sequenzer. Alles, was neue Technologien damals ausmachte – Anschlagstärke, gewichtete Tasten – das blieb alles raus. Die Pet Shop Boys wollten nur mit alten Sachen arbeiten. Alles ein, zwei Geräte-Generationen vor dem, was 1990 aktuell war. Das typische Genagel, diese Penetranz der Sequenzer entstand nur durch Fehlen der Velocity-Einstellung.
Wie war die Arbeit mit den beiden?
Für mich fühlt es sich so an, als sei es gestern gewesen, weil es eines der interessanten Alben war, die ich produziert habe. Die Arbeit war von höchster Professionalität geprägt, da sind quasi drei Alphatiere aufeinander gestoßen. Sie hätten ihr Album ja auch alleine produzieren können – sie haben mit Dusty Springfield oder Liza Minelli selbst schon Hit-Scheiben auf den Weg gebracht. Neil Tennant und Chris Lowe haben eine Akribie, die ich selten zuvor noch danach gesehen habe.
Die sich zum Beispiel worin geäußert hat?
Im Synclavier gab es damals ungefähr vier- bis fünfhundert verschiedene Tamburin-Samplefiles. Die haben wir alle durchgehört. Gerade mal zehn bis 20 davon waren vielleicht für eine Pop-Produktion qualifiziert, der Rest war eher was für World-Music-Kompositionen. Obwohl wir das wussten, haben wir uns bei jedem einzelnen Song immer wieder alle Files angehört. Ob nicht doch noch was dabei sein könnte, was wir verwenden konnten.
Wie lange hat die Albumproduktion gebraucht?
Ein halbes Jahr. Nein, insgesamt war das mehr. In meinem Studio in Baldham bei München haben wir einige Wochen lang Tracks gemacht. Dann hatten die beiden Fernsehauftritte, danach gab es noch eine Session von ein paar Wochen. Und schließlich haben wir bei Trevor Horn (der mehrere Pet-Shop-Boys-Alben produziert hat, d. Red.) in seinem Londoner Studio noch mal wochen- bis monatelang gesessen. Dort wurde alles fertig gemischt, Overdubs draufgepackt, Chöre ...
War das nicht zermürbend lang für jemanden, der aus der Filmmusik-Welt kommt?
Beim Film musste ich wegen der Produktionsstruktur, des Ablieferungsdatums, immer fix arbeiten. Nicht wie in der Rock'n'Roll-Ecke, wo man sich elendigst viel Zeit lassen konnte. Aber genau das haben wir damals getan. Und die Kritiker haben es geliebt. Es wurde als das „most highly acclaimed“ Album der Jungs angesehen.
Gab es Outtakes?
Nein. Die Stücke waren vorher komplett geschrieben, die Lieder fertig. Man hat mir die Sachen vorgespielt: „Das ist unser Material. Like it or not.“ Ich fand alles toll. Wobei ich natürlich viele Einwände und Ideen hatte, wie man es besser machen kann.
„Pop kann erhabener nicht sein“, hat mir kürzlich ein enger Freund zu „My October Symphony“ gesagt.
Wir haben dafür mit Schostakowitsch rumexperimentiert und echt wirre Klangstrukturen geschaffen. Das haben wir dann im Abbey-Road-Studio mit dem Londoner Symphonie-Orchester eingespielt. Es war für mich hochinteressant, so was zu machen. Damals war auch noch das Geld für so etwas da. Für die paar Takte solche Strukturen reinzufahren – schon sehr cool ...
Das Folgealbum „Very“ hat Steven Hague produziert. Warum nicht nochmal Sie?
Das war beschlossene Sache: Wir machen einen One-Shot. Wir stehen heute immer noch in lockerem Mail-Kontakt.
Was macht Harold Faltermeyer aktuell?
Schreibt an einem Musical. Und ich will meine alten Filmthemen in ein neues Gewand bringen. „Running Man“ oder „Axel F“ werden ja immer wieder gecovert. Vor ein paar Jahren bin ich mal drauf gekommen, dass die Elemente aus diesen Scores als DJ-Package zu kriegen sein müssten, damit DJs sich ihre Sachen damit selber mischen können. Gespielt von dem, der es damals kreiert hat.
Also Ihnen.
Es gibt sehr subtile Unterschiede in der Art, die Stücke zu spielen. Jedes Mal, wenn ich eine Cover-Version höre, fällt mir auf: Das wird anders gespielt, als ich es eigentlich gedacht habe. Die Summe dieser kleinen Unterschiede macht dann einen vollkommen anderen Sound. Deswegen nehme ich das jetzt noch mal selbst auf und stelle es dann als Stem-Kollektion zur Verfügung. Es wird auch ein Remix-Album der alten Sachen geben, die ich dafür neu aufnehme. Speziell von denen, wo ich die Rechte nicht dran habe. Ich kann leider nicht mit Paramount darüber reden, dass sie mir den alten Score hergeben. Das ist nun mal die Struktur. Aber freilich kann ich es nochmal neu aufnehmen, als „Composer's Cut“, wie ein Regisseur seinen Film noch mal so schneidet, wie er es will.
Die Daten gibt es nicht mehr?
Alles leider verschollen. Das geschah ja mehr oder weniger zwischen Tür und Angel, mit Sequenzern, die es heute nicht mehr gibt. Aber die Synthesizer – Das Thema von „Axel F“ wurde auf einem Jupiter 8 gespielt, das Originalgerät habe ich heute noch. Auch der Sound steht auf meinem Gerät zur Verfügung.
War das ein Preset?
Ja und Nein. Das war ein Sound, den ich aus zwei Standardsounds zusammengewuselt habe, dann kam ein Delay drauf. Das war aber nicht Stereo, weil es nicht genug Spuren gab. Deswegen wurde es auf drei Spuren aufgenommen. Was wiederum genau diesen eigenartigen Sound ausmacht. Heute wird viel zu slick an Sounds herangegangen. Jeder kauft sich für ein paar tausend Euro ein paar Libraries in sein Sackerl, drückt drauf und sagt: cool. Wir hatten damals nichts abgespeichert. Wir mussten die Mischpulte für ein neues Lied immer wieder neu konfigurieren. Die Reglerstände auf dem Mischpult haben wir mit Polaroids abfotografiert. Es war viel mehr Handarbeit. An einem einzigen Morphsound haben wir damals wochenlang gearbeitet.
Hören Sie aktuelle elektronische Musik?
Mit Begeisterung. Es ist für mich interessant, dass gerne die alten Sounds hergenommen werden. Ich werde demnächst mit jungen Produzenten eine Coverversion von „Fire & Ice“ machen, wir werden daraus neue Sounds kreieren. Die Lieder sprechen für sich. Man muss sie einfach nur in ein heutiges Gewand stecken.
Ist das so einfach? Das Giorgio-Moroder-Album ist bei uns in der Redaktion durchgefallen.
Das hab ich mir auch angehört, das ist meines Erachtens etwas zu schnell gegangen. Giorgio (ein Entdecker und Förderer Faltermeyers, d. Red.) ist auch so ein Schnellarbeiter, das ist seine Struktur. Ich habe mal zu ihm gesagt: „Giorgio, ich brauche dafür mehr Zeit.“ Er hat geantwortet: „Warum mehr Zeit? Ein Lied dauert drei Minuten, ich gebe dir sechs.“ Quick and easy hat für mich aber nie funktioniert.