Wochenend-WalkmanDiesmal mit System, J Mascis und Matthew Dear

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Jeden Samstag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Brandneu, wieder entdeckt oder aus der Geschichtskiste ausgebuddelt. Heute mit System, J Mascis und Matthew Dear.

System Plus Artwork

System – Plus

Thaddeus: In meiner Welt sind Thomas Knak, Anders Remmer und Jesper Skaaning Helden. Ob solo oder gemeinsam als Future 3, People Press Play oder eben als System. Die drei Dänen haben seit den 1990er-Jahren die Elektronika erst mit erfunden und dann tapfer daran gearbeitet, dass sie nicht den Dancefloor runtergeht. So viel gute Musik ist dabei entstanden. Das ist bei „Plus“ wieder Fall, auch wenn hier das Kräfteverhältnis unfair aufgesetzt ist. Über Jahre hinweg stand man im engen Austausch mit Nils Frahm, traf sich schließlich zu langen Aufnahme-Sessions und verwendete dessen Klavier- und Synth-Miniaturen dann als eine Art Ausgangspunkt, um dieses Album fertigzustellen. Diese Geschichte wird man in jeder Review lesen. Und den Fokus verschieben. Weg von den Originators hin zum populären Ideengeber, den es so gar nicht gebraucht hätte. Den Frahm’schen Trademark-Sound hört man explizit dann auch nur auf dem Titeltrack, wobei: ein derart generisches Geklimper gehört mittlerweile zum kleinen Einmaleins jedes Praktikanten der Deutschen Grammophon. In den anderen acht Stücken dominiert das Sound Design, made in Copenhagen. Vielschichtig, kleinteilig, offen in alle Himmelsrichtungen, mit präziser Tiefenstaffelung und einer nach wie vor einzigartigen Begabung für das Sich-Verlieren im Hall. Ich bin sehr froh, dass es dieses Album gibt. Weil es beweist, dass Elektronika – die echte, nicht die von Beatport und missverstandenen Sample-Packs – nach wie vor relevant ist. Und die in den vergangenen 20 Jahren grundsaniert wurde ohne dabei einzubüßen, was diese Musik damals so einzigartig machte. Da stört auch nicht der Stuck, den Frahm hier an Neubaudecken pinselt.

J Mascis Elastic Days Cover

J Mascis – Elastic Days

Ji-Hun: J Mascis wird dieses Jahr noch 53. Und er macht immer noch großartige Musik. Mit Dinosaur Jr. hat er seit den 80ern Indie-Rock definiert, aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass die heute junge Generation immer weniger mit ihm und seiner Arbeit in Berührung kommt. Rock der 90er ist heute mehr oder weniger synonym mit Nirvana und Red Hot Chili Peppers, wen interessiert da noch Dinosaur Jr. Entschuldigung, wer? Läuft das auf HR3? Aber wer weiß, ob Nirvana ohne Dinosaur Jr. je so geklungen hätte. Wie ich J Mascis jedoch einschätze, ist ihm das alles vielleicht auch egal. Er muss in keiner Ahnenhalle stehen, wahrscheinlich weiß er dennoch, dass er einer der großen Musiker dieser Generation ist. Denn Mascis war und ist nicht nur ein großer Songwriter, sondern auch einer der besten Gitarristen in diesem Feld. Seine technisch versierten, ausufernden Soli waren schon immer fester Bestandteil von Dinosaur Jr. Bei seinen Solo-Alben hat er sich bislang aber relativ zurück gehalten. Vielleicht wollte es auch nicht passen. Bei „Elastic Days“ ist das anders. Denn hier zeigt sich, was Soli eigentlich sind und sein sollen. Eine eigene, erweiterte Stimme, kein gegniedelter Selbstzweck und die kommt in diesem Setting nun besonders toll zum Tragen. Man mag die Vergleiche vermessen finden. Aber J Mascis spielt hier in einer Liga mit B.B. King und David Gilmour. Die Saiten sind die eigentlichen Stimmbänder. Sie sind ausdrucksvoll, warm, voller Überraschungen und haben viele Geschichten zu erzählen. Große Gitarristen zeichnet nicht aus, dass sie den Hummelflug in doppelter Geschwindigkeit runter tappen. Sie zeichnet aus, wenn sie ein einzigartiges Timbre entwickeln, eine Tonalität, die man sofort erkennt und der man vertraut. Wie bei großen Sängern eben auch. Mascis ist ja beides.

Matthew Dear Bunny Walkman

Matthew Dear – Bunny

Benedikt: Oh my Dear, once again. Erst Ende September rauschte hier das MGMT-Album „Little Dark Age“ im vollständigen Remix von Matthew Dear durch, Anfang Oktober erschien dann schon seine eigene, sechste LP „Bunny“. Zum Glück hat die nun doch noch den Weg in meine Playlists gefunden. Schon nach der ersten Hälfte – ein wenig erschrecke ich vor mir selbst ob dieser Leichtsinnigkeit – habe ich keinen Zweifel mehr, hier die bislang beste Matthew-Dear-Platte auf den Ohren zu haben. Techno, der teils bis zur Schwerfälligkeit hin ausgebremst wird. Die gedoppelte, fast maschinell klingende und für ihn so typische Popstimme, deren Lyrics sich vor keinem Songwriter dieser Welt verstecken müssen. Verzerrt glitzernde Riffs und Melodien aus der Gitarre. Und was Matthew Dear über alle Eben hinweg beherrscht und jedes seiner Alben in ein echtes Erlebnis verwandelt: Wie die Platte abgemischt und gemastert ist. Hier ist jede Spur perfekt platziert, im scheinbar mindestens dreidimensionalen Raum. Selbst ein Rauschen strotzt vor Klarheit. Ich glaub ich bin mit Bunny in love.

Rewind: Klassiker, neu gehörtMax Richter – 24 Postcards In Full Colour (2008)

Leseliste 11. November 2018 – andere Medien, andere ThemenAlexandria Ocasio-Cortez, Klima, das Comeback und John Sinclair