„Zuhören ist sowieso ganz wichtig“Ambient-Pionier Kerry Leimer im Interview
5.5.2014 • Sounds – Interview: Christian BlumbergEs muss nicht immer Brian Eno sein.
Vergangenheit ist ja auch Gegenwart, gerade in der Popmusik. Obwohl deren Währung doch eigentlich das „Jetzt“ ist, hält sich seit Jahren ein regelrechter Wiederveröffentlichungswahn. Die pophistorische Ausgrabung, einst ein mit distinktivem Gestus betriebenes Hobby von Sammlern und Besuchern von Plattenbörsen, hat inzwischen einen festen Platz in den Portfolios unzähliger Labels. Neuerdings auch in dem des New Yorker Labels RVNG Intl., das als Homebase von Gardland, Blondes oder Stellar Om Source eigentlich für sehr zeitgemäße Entwürfe von Clubmusik bekannt ist. Matthew Werth, Macher des Labels RVNG Intl. hat nun einen echten Schatz gehoben: Die Compilation „A Period Of Review“ versammelt unveröffentlichte, zwischen 1975 und 1983 entstandene Stücke von Kerry Leimer – einem hierzulande kaum bekannten Pionier der Ambient Music. Das Filter hat mit Kerry Leimer und Matt Werth gesprochen.
Das Filter: Kerry, ich muss zunächst gestehen, dass ich deine Musik nicht gekannt habe, bevor Matt mir die nun erscheinende Retrospektive geschickt hat. Beim Hören habe ich dann sofort gedacht: Wie kann das sein, dass das zumindest in Europa kaum jemand kennt?
Kerry Leimer: Vielleicht weil ich mich um Bekanntheit nicht gerade bemüht habe. Hauptberuflich habe ich als Designer gearbeitet. Ich war Teilhaber einer Agentur, die Kunden in den gesamten USA und Kanada hatte, die meisten von ihnen aus der Wirtschaft. Meine Auftragsbücher waren ziemlich voll – aber über die Jahre hat diese Arbeit bei mir diesen grundlegenden Verdachtsmoment gegenüber den Mechanismen des Marktes immer wieder bestätigt. Als Designer hängt man immer in einem Konflikt zwischen seinen eigenen und den ökonomischen Interessen der Auftraggeber. Als Musiker wollte ich das nicht, ich habe deswegen nie so etwas wie eine Karriere angestrebt.
Das Filter: Deine Nichtkarriere begann Ende der 70er-Jahre in Seattle.
Leimer: Wo ich Teil einer kleinen Szene war, ja. Viele der beteiligten Musiker veröffentlichten auf meinem Label Palace Of Lights. Aber wir waren echte studio creatures, fast niemand spielte Konzerte. Wir sind also eigentlich weder als Musiker, noch als Label oder Unternehmer angetreten. Allerdings gab es damals noch diese starken, unabhängigen Vertriebsstrukturen. Schon deshalb waren unsere Verkäufe ganz gut: Von einigen Titeln bis zu 3.000 Stück; obwohl wir uns bei Palace Of Lights – das inzwischen wieder existiert – nie für den Markt oder ein breites Publikum interessiert haben. Mit diesen Reglements wollten wir nicht arbeiten. Wir wollten auch kein bestimmtes Genre bedienen.
Das Filter: Wenn wir von Genres sprechen: Es fällt aus heutiger Perspektive leicht, deine Musik ins Ambient-Fach zu sortieren. Ende der 70er-Jahre war dieser Begriff aber noch gar nicht ausformuliert.
Leimer: Den Begriff gab es zwar, er war aber tatsächlich noch nicht so etabliert. Ambient und elektronische Musik waren wichtige Pole, weil Musik in diesen Bereichen als Kunst verstanden wurde. Und unser Umfeld teilte diese Verständnis. Unsere künstlerischen Praktiken überschnitten sich mit denen, die seinerzeit in der zeitgenössischen Kunst angewandt wurden. Einige Veröffentlichungen waren das Ergebnis von Installationen oder Performances, z.B. „Music for Land of Water“, eine Kassette von 1983. Ich habe auch viel mit Zufällen experimentiert. Überhaupt: konzeptuelle Ansätze. Found Sounds, Field Recordings, Musique Concrète oder Klangerzeugung, die auf mechanischen oder organischen Systemen basiert – solche Dinge haben mich gereizt. In der Musikszene von Seattle gab es das damals noch nicht.
Das Filter: Eine wichtige Referenz scheint Brian Eno zu sein.
Leimer: Aber zunächst war für mich Musik aus Deutschland interessant: Harmonia, Neu!, Cluster und – bis zum „Ralf & Florian“-Album – auch Kraftwerk. In diesem Kontext war dann „No Pussyfooting“ von Fripp & Eno ein überwältigendes Album. Aber noch wichtiger war Enos Plattenfirma Obscure Records, gerade wegen seiner musikalischen Bandbreite. Dank Obscure hörte ich zum ersten Mal die Musik von David Toop oder Max Eastley, vom Penguin Café Orchestra und Michael Nyman – eine Erfahrung, die für meine eigene Arbeit essentiell war, weil mich diese Künstler eine neue Art des Hörens lehrten. Das Zuhören ist sowieso ganz wichtig. Immer wenn ich mit meiner Arbeit im Studio nicht weiterkomme, hilft mir dieses konzentrierte Zuhören.
Das Filter: Beim Hören deiner Musik, insbesondere beim Track „Two Voices“, habe ich auch an frühe New-Age-Musik denken müssen. Dank der aktuellen Welle von Re-issues hat sich diese Musik von ihrem Ruf als esoterische Fahrstuhlmusik ja wieder etwas emanzipieren können. Und der Name deines Labels – „Palace Of Lights“ –, der hätte ja auch gut zu einem New-Age-Label gepasst, so zwischen Kitsch und Erhabenheit.
Leimer: Ich glaube, New Age steckt für alle Zeit in der Obsession für Schönheit fest. Oder besser: für Prettyness. Die schleicht sich im Produktionsprozess schon mal ein, aber ich empfinde sie eigentlich als Gefahr für meine Musik und versuche also, sie zu vermeiden. Als die Aufnahmen zu „A Period Of Review“ entstanden, war ich in dem Punkt vielleicht weniger kritisch, aber an New Age war ich trotzdem nicht interessiert. Der Name des Labels sollte dann auch auf eine halbwegs ironische Weise die blinkenden LEDs in meinem Studio beschreiben. Aber wenn du New Age assoziierst, dann habe ich ihn offensichtlich nicht gut gewählt.
Das Filter: Matt, wie hast du Kerrys Musik kennen gelernt?
Matt Werth: Eigentlich zufällig. Ich schaute eine Dokumentation über Rastafarianismus in Jamaika, Land Of Look Behind von Alan Greenberg. Der Film ist von 1982, so eine Art Folgeerscheinung des Todes von Bob Marley. Aber er beginnt eben nicht mit Reggae, sondern mit ganz kühlen Soundscapes. Und die sind von Kerry. Das war so überraschend, dass ich mich augenblicklich auf die Suche nach Kerrys Musik gemacht. Ich habe Discogs und Ebay nach allem abgegrast, was ich von ihm und Palace Of Lights habe finden können. 2011 hat dann Greg Davis auf seinem Label diese Kassette neu aufgelegt, von der Kerry vorhin sprach. Da ging das los: Über Greg Davis habe ich nicht nur Kerry kennen gelernt, sondern mit Greg entstand auch die Idee für die Compilation. Ich habe die gemacht, weil ich wirklich Fanboy bin.
Das Filter: Fand deren Zusammenstellung unter einem bestimmten Fokus statt?
Werth: Kerry hatte mir uneingeschränkten Zugang zu seinem Archivmaterial gewährt. Dabei könnte ich jeden Musiker verstehen, der sein altes Material überhaupt nicht, oder nur ausgesuchte Teile davon herausgeben will. Kerry wollte mich aber gar nicht kontrollieren, er war sehr vertrauensvoll. Und in dieser Phase der Arbeit entstand dann eine gewisse Intimität, die – wie ich nachträglich sagen würde – irgendwie auch den Fokus der Compilation ausmacht, oder vielmehr ihren Grundton.
Das Filter: Kerry, kanntest Du Matts Label RVNG Intl schon zuvor?
Leimer: Leider nicht. Ich versuche jedoch musikalisch auf dem Stand zu bleiben und höre tonnenweise neue Musik. Im Moment gefallen mir Tim Hecker oder Ryoji Ikeda. Sylvain Chauveau fand ich auch toll. Oder Robert Henke! Ach, da könnte ich jetzt Dutzende aufzählen. Es ist wirklich erstaunlich, wie sehr sich musikalische Standards entwickelt haben. RVNG Intl lernte ich dann über Greg Davis kennen. Und die Zusammenarbeit mit RVNG Intl war dann gleich sehr eng und wirklich sehr vertrauensvoll.
Das Filter: Ihr liebt euch ja offenbar sehr. Habt ihr gemeinsame Pläne?
Leimer: Matt will jetzt Aufnahmen meiner Band Savant veröffentlichen. Das war so eine Art Konzept-Rockband, die ziemlich seltsame „Beat“-Musik spielte.
Werth: Kerry stapelt natürlich tief. Savant agierten an der Schnittstelle zwischen Dance- und Rockmusik und experimentierten sehr früh mit Samples. Ihren Platz im popgeschichtlichen Kanon haben sie damit zumindest schon reserviert.