Review: Motorola Moto G6Smartphone in schick, günstig und gut

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Im ausgesprochen unübersichtlichen Mittelklasse-Segment der Android-Smartphones ist Motorola eine sichere Bank. Mit dem neuen Moto G6 beweist das Traditionsunternehmen das eindrücklich. Auch Neil Armstrong sagt yeah!

Es war einmal ein Unternehmen, das hieß Motorola und baute allerhand Radio- und Funk-Equipment und brachte die Welt so ein gutes Stück nach vorne. Ohne Motorola hätte Neil Armstrong auf dem Mond nie sein berühmtes Statement gesendet, die Entwicklung der Transistoren wäre anders gewesen, auf den ersten tragbaren Fernseher hätte man länger warten müssen, Macs und Ataris hätten nicht funktioniert, und auch die Idee des Funktelefons wäre unter Umständen anders verlaufen, wenn in der Entwicklungsabteilung von Motorola die Ideen nicht im Minutentakt vom Band gelaufen.

Wer so unterwegs war, konnte auch fordern. StarTAC und Razr, das waren Handy-Designs, die die damals noch junge Industrie prägten, erste Ausrufezeichen setzen und den Siegeszug des Mobiltelefons überhaupt erst möglich machten. Motorola zeigte damals, dass Handys etwas so Besonderes sein können, dass man sich mit den Geräten auf eine bislang noch nicht da gewesene Art und Weise identifizierte. Dagegen waren viele Designs von Nokia fast schon Comedy. Einzig Sony hielt hier (Z1!) dagegen, hatte damals aber schon genauso wenig Marktanteile wie heute. Ein Trauerspiel. Aber: Es waren gute Zeiten. Wer sich daran erinnert, kann seinen ganz persönlichen Pathos hier reinschreiben – wir lassen zwei Zeilen Platz.

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2018 sind diese Zeiten ein für alle Mal vorbei.

Heute sehen Telefone einfach alle gleich aus. Die Unterschiede sind minimal – Trends werden schneller kopiert denn je – egal ob Glasrückseite oder die Notch-Einkerbung vorne. Alleinstellungsmerkmale sind Mangelware und werden oft genug in der Software entschieden. Heute hat jeder ein Smartphone, die Geräte sind austauschbare Massenware, über die es in der Regel wenig bis gar nichts zu erzählen gibt. Die Technik ist mittlerweile einfach zu gut, und die Fabriken in China so groß und so gut organisiert, dass auch für vergleichsweise wenig Geld enorm hochwertig produziert werden kann. Die dabei interessanteste Preisklasse: um und anbei 250 Euro. Mehr muss ein Telefon heute nicht kosten, und das Moto G6 kostet eben diese 250 Euro.

Die G-Serie steht bei Motorola für die Mittelklasse. Die war im vergangenen Jahr voll okay und ist es dieses Jahr auch. Die Unterschiede liegen jedoch im Vergleich mit der letzten Generation vor allem im Design – technisch hat sich wenig getan: Der Prozessor ist nun ein Snapdragon 450 (sachtes Update), die Basis-Version hat 3 GB RAM und 32 GB Speicher (empfiehlt sich nicht, bei Amazon – und aktuell nur bei Amazon – gibt es 4 GB RAM und 64 GB Speicher für 20 € mehr: bitte das kaufen). Und eine Dualkamera ist nun mit an Bord: Ohne die geht es ja nicht mehr. Die bei Moto sieht aber aus wie ein Smiley, und das ist gut.

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Die Dualkamera auf der Rückseite sieht aus wie ein smilender Smiley.

Für die 6er-Generation des Moto G6 setzt man bei Motorola nun aber hinten auf Glas statt Aluminium (noch so ein Trend-Thema) und vorne auf ein Display im 18:9-Design (schon wieder Trend). So passen aber 5,7 Zoll Bildschirm in einen vergleichsweise kleinen Formfaktor. Und auch wenn Motorola hier sowohl auf OLED-Technik (kein Wunder bei dem Preis) und das Mehr an Pixeln verzichtet, ist der Screen hell und gestochen scharf. Das ist eben heutzutage alles kein Voodoo mehr. Als OS kommt Android 8 zum Einsatz: bis zum Herbst auch noch aktuell. Als Bloatware ist lediglich Outlook von Microsoft vorinstalliert – auch das ist löblich. Nicht ganz so löblich hingegen ist die Tatsache, dass beim Einrichten der Google-ID die auch gleich und ungefragt dort hinterlegt wird. Schwamm drüber.

Dafür gibt es viele kleine Dinge, über die man sich beim G6 freuen kann. Der Lautsprecher ist laut und klar (und sitzt in der Hörmuschel), die Kamera-App wirkt sehr aufgeräumt und responsiv, die Kombination aus 12- und 5-Megapixel-Sensoren schießt gute Bilder, wenigstens immer dann, wenn das Licht auch gut ist. Selfies gehen mit 8 Megapixeln gen Instagram, auf Wunsch auf mit LED-Licht erhellt. Der Akku mit 3.000 mAh hält lange durch. Und in das Telefon lassen sich parallel zwei SIM- und eine Speicherkarte versenken – das passt alles.

Das größte Glück von allem ist bei Moto nach wie vor die Tatsache, dass Android auch wirklich fast so aussieht wie Android, also nicht mit einer eigenen Oberfläche überzogen ist und mit einigen wenigen Features angefettet wird. Das sind einerseits die bekannten Schüttelgesten, um bestimmte Funktionen zu starten. Flache Hand über das Telefon halten, um das Display zu aktivieren. Zwei Mal schütteln, um die Taschenlampe anzuschalten, zwei Mal aus dem Handgelenk drehen, um die Kamera zu starten: Diese Dinge sind nützlich, lassen sich aber auch komplett ignorieren. Bei der Motorola-eigenen „Sprachsteuerung“ empfiehlt sich das sogar unbedingt – die ist einfach garbage und ausgemachte Augenwischerei. Und natürlich kann man auch das G6 jetzt per Gesichtserkennung entsperren – auf eigenes Risiko. Denn auch wenn das gut funktioniert, ist das nur ein Feature, mit dem alle Android-Hersteller dem iPhone X hinterherhecheln, ohne dabei das benötigte Sicherheitsnetz aufzuziehen.

À propos Kamera: Die verspricht generelle Smartheit. Die KI, die verdammte KI, soll es ermöglichen, Dokumente zu scannen und den Text via OCR gleich zu extrahieren (funktioniert sehr lala), aber auch Produkte oder Sehenswürdigkeiten erkennen und die dazu passenden Informationen bzw. Links liefern. Das geht tatsächlich manchmal sehr gut, kann aber auch skurril sein. So spuckte das Telefon sofort weiterführende Links zu einem Buch aus, nachdem die Kamera etwa fünf Sekunden lang das Cover analysiert hatte – wenn auch mit Übersetzungsfehlern: thedas – häh? Und natürlich hilft in Deutschland ein Link auf amazon.com auch nur bedingt, um Prime nutzen zu können. Alles beta eben. Deutlich besser: Hält man die Kamera auf eine 0,5l-PET-Flasche, spuckt das System keine Infos zur Marke aus, sondern Links zur Problematik solcher Plastikflaschen: perfekt, wenn auch bestimmt nicht so gedacht. Wer lieber richtige Bilder macht, kann die im Nachgang bearbeiten, filtern, aufhübschen, den Porträt-Modus nutzen oder Gesichter mit zweifelhaften Snapchat-Derivaten versehen. Auch dies funktioniert alles bestens und tröstet vielleicht darüber hinweg, dass man mit dem G6 natürlich keine 4K-Videos aufnehmen kann. Das wäre ohne Speicherkarte auch ein ziemliches Himmelfahrtskommando.

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Funktioniert, aber natürlich ist der erste Eintrag gleich Werbung – ach, Google.

Für 250 Euro legt Motorola mit dem Moto G6 ein solides Smartphone vor, das hoffentlich genug Aufmerksamkeit bekommt. Preislich darunter liegt das G6 Play (200 Euro) und das G6 Plus (300 Euro), die sich aber nur marginal vom regulären Modell unterscheiden: Mal ist der Akku größer, mal das Display, mal die Speicherausstattung besser, mal der Prozessor schneller oder langsamer. Details, die im Alltag sicher für das eine oder andere Ergebnis sorgen können, im großen Ganzen aber kaum auffallen. Und genau das ist das Problem dieser Mittelklasse. Die Ausreißer werden weniger, die Abweichungen verschwimmen mehr und mehr. Hier kann Motorola mit dem altehrwürdigen Markennamen punkten. Während andere Hersteller die Marketing-Schraube noch fester anziehen, Kunden plötzlich zu Fans machen und sich mit einer erfundenen Community brüsten, steht die alte Tante Moto als irgendwie verlässliche Partnerin da. Auch wenn Neil Armstrong heute mit einem iPhone vom Mond telefonieren würde.

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