Alte Männer und bürgerliche HundeHighlights der Berlinale 2017

Selbstkritik

Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes, © faktura film

Morgen startet die 67. Berlinale. Das Filter wird regelmäßig und tagesaktuell über das Filmfestival berichten, im Vorfeld hat Redakteur Tim Schenkl das Programmheft gewälzt und dabei einige vielversprechende Highlights gefunden.

Der Wettbewerb

Während fast alle großen Filmfestivals sich vorwiegend über ihren Wettbewerb definieren, beweist die Berlinale jedes Jahr aufs Neue, dass man sich ihr besser in ihrer Gesamtheit annähert – will man nicht enttäuscht werden. Das heißt natürlich nicht, dass sich nicht auch im Wettbewerb durchaus sehenswerte Filme finden lassen. Die von Regisseur Paul Verhoeven (RoboCop, Elle) angeführte Jury muss in diesem Jahr ihre Auswahl aus insgesamt 18 internationalen Filmen treffen, darüber hinaus gibt es noch Großproduktionen wie das Wolverine-Sequel Logan und die Trainspotting-Fortsetzung T2 Trainspotting außer Konkurrenz zu sehen.

Ich freue mich natürlich besonders auf den neuen Film meines Lieblings-Regisseurs Hong Sangsoo, der zum zweiten Mal eine Arbeit im Wettbewerb der Berlinale zeigen darf. Nachdem es ihm Ende 2016 mit seinem siebzehnten Film Right Now, Wrong Then erstmals gelang, in Deutschland einen offiziellen Kinostart zu ergattern, präsentiert der notorisch produktive koreanische Filmemacher mit On the Beach at Night Alone in Berlin nun bereits Werk Nr.19. Gedreht wurde nicht nur im koreanischen Gangneung, sondern auch im winterlichen Hamburg. Man darf gespannt sein.

Hong

On the Beach at Night Alone, Kim Jinyoung © 2017 Jeonwonsa Film Co.

Auch Thomas Arslan zeigt nicht zum ersten Mal einen Film im Wettbewerb. Der in Berlin lebende Regisseur und UdK-Professor rief 2013 mit seinem in Kanada gedrehten Western Gold, um es vorsichtig zu sagen, eher gespaltene Reaktionen bei Kritik und Publikum hervor. Sein neuestes Werk Helle Nächte entstand ebenfalls zu großen Teilen außerhalb Deutschlands und scheint eine Art Roadmovie geworden zu sein: Die beiden Protagonisten Michael und sein 14-jähriger Sohn Luis treffen sich nach längere Zeit ohne richtigen Kontakt auf der Beerdigung von Michaels Vater in Norwegen und beschließen, ihren Aufenthalt zu verlängern und einen gemeinsamen Trip zu unternehmen. Mit dem wunderbaren Georg Friedrich (Wild, Import Export) und Tristan Göbel, einem der jugendlichen Hauptdarsteller aus Fatih Akins Tschick, gelang es Arslan, einen Cast zusammenzustellen, der auf Großes hoffen lässt. Außerdem arbeitete er erneut mit dem Kameramann Reinhold Vorschneider zusammen, mit dem er schon für das Genre-Meisterwerk Im Schatten kooperierte.

Mit Le Havre, einer rührenden und zutiefst humanistischen Ode an die Brüderlichkeit, lieferte der finnische Regisseur Aki Kaurismäki 2011 seinen in meinen Augen bisher besten Film ab. Um so schöner also, dass sein nächster Spielfilm Die andere Seite der Hoffnung nun seine Weltpremiere in Berlin feiern wird. Laut der Kurzbeschreibung im Programmheft erzählt der Film von der Freundschaft eines syrischen Flüchtlings und eines ehemaligen Krawattenvertreters in Helsinki. Klingt doch super!

Kaurismäki

Die andere Seite der Hoffnung, Malla Hukkanen © Sputnik Oy

Sci-Fi und Dokumentarisches

Aus dem Programm des Panoramas interessieren mich wie eigentlich in jedem Jahr vor allem die Dokumentarfilme. Nachdem Villalobos in Deutschland aufgrund von Problemen mit den Musikrechten so gut wie nicht zu sehen war, unternimmt Romuald Karmakar mit Denk ich an Deutschland in der Nacht nun einen weiteren Versuch, sich der Techno-Ikone Ricardo Villalobos anzunähern. Außerdem mit dabei: Sonja Moonear, Ata, Roman Flügel und Move D. Ein Film, wie gemacht für die Das-Filter-Leser.

Darüber hinaus werde ich mir mit Sicherheit Michael Glawoggers Vermächtnis Untitled ansehen. Der österreichische Regisseur verstarb während der Dreharbeiten in Liberia in Westafrika an Malaria, und so musste seine Cutterin Monika Willi den Film alleine fertigstellen. Über den Inhalt von Untitled ist bislang nur wenig zu erfahren. Von einer „ziellosen Reise“ und „der Poesie des Zufalls“ ist im Programm die Rede. Wir werden sehen.

Einer der heimlichen Stars der Berlinale 2017 ist der DFFB-Absolvent Raoul Peck. Sein Film I Am Not Your Negro über den US-amerikanischen Schriftsteller James Baldwin ist ebenfalls im Panorama zu sehen und wurde zudem gerade für einen Oscar nominiert. Zusätzlich zeigt Peck im Rahmen von Berlinale Special Le jeune Karl Marx mit August Diehl in der Hauptrolle. Ob Letzterer etwas taugt? Da habe ich doch eher meine Zweifel.

Karmakar

Denk ich an Deutschland in der Nacht, © Arden Film

Die Retrospektive der Berlinale widmet sich in diesem Jahr unter dem Titel „Future Imperfect. Science - Fiction - Film“ filmischen Zukunftswelten. Neben New-Hollywood-Meisterwerken wie THX 1138 und Close Encounters of the Third Kind gibt es frühe Sci-Fi-Klassiker wie The War of the Worlds (1953) zu sehen. Da kann man eigentlich nicht viel falsch machen.

Man ist so alt, wie man sich fühlt

Aus dem Programm des Forums habe ich vor allem Golden Exit von Alex Ross Perry ins Auge gefasst. Dessen letzter Film Queen Of Earth war 2015 ebenfalls im Forum zu sehen und entwickelte sich damals schnell zum Geheimtipp. Das Forum entstand in den späten 1960ern unter dem Namen Internationales Forum des jungen Films. Sieht man sich die Geburtsjahre der deutschen Teilnehmer 2017 an, so fragt man sich, ob sich hier wirklich junges Filmschaffen abbildet. Der jüngste deutsche Teilnehmer, den ich finden konnte, wurde 1979 geboren und wird somit in diesem Jahr bereits 38 Jahre alt. Nicolas Wackerbarths Film Casting über den fiktiven Casting-Prozess für ein Fassbinder-Remake klingt zwar ganz vielversprechend, mit 43 Jahren ist der Regisseur jedoch auch kein wirklicher Jungspund mehr. Dazu kommen noch 4!!! Filme von Heinz Emigholz (Jg. 1948) sowie der Dokumentarfilm Offene Wunde deutscher Film von Dominik Graf (Jg. 1952).

Ein Film, der eigentlich wunderbar in das Anforderungsprofil des Forums gepasst hätte, ist der DFFB-Abschlußfilm von Julian Radlmaier Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes, der seine Weltpremiere beim Festival von Rotterdam feierte und nun als Deutschlandpremiere in der besonders international deutlich weniger beachteten Nachwuchs-Sektion Perspektive Deutsches Kino läuft. Radlmaiers Film, in dem der Regisseur selbst eine der Hauptrollen spielt, über das Berliner Kunstprekariat und die vergebliche Suche nach einem kommunistischen Paradies nennt sich eine politische Komödie und ist nicht nur äußerst eigenständig und intelligent, sondern auch wirklich saukomisch.

Hier findet ihr das komplette Programm.

Audio: 10 Stunden festgefrorener Arktis-EisbrecherKlirrende Kälte, rauschendes Nichts

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